Das Mountainbike 2030Scheffer und Scholz über Super-Mullet, E-Segen und Getriebe-Potenzial

Laurin Lehner

 · 07.12.2025

Vision 2030 von Lutz Scheffer: ​Kategorie E-Enduro (Carbon) Federweg 170/170 Millimeter Batterie 1000 Wh Festkörper- Akku, hohe Ladegeschwindigkeit, Quick-Release  Hinterbausystem Midhigh-Pivot Laufräder Super-Mullet 32 Zoll vorne, 27,5 Zoll hinten, Quick-Release-Wheelsets, Zahnriemen und Scheibe bleiben am Rahmen. Ein zweiter, anders bereifter Laufradsatz kann im Handumdrehen umgesteckt werden; vorne 2,35“, hinten 2,5“ Reifen  MGU (Motor Gear Unit) 500 % Spreizung, Zahnriemen, zehnfach Planetengetriebe, E-Freilauf, 100 % Entkopplung, wahlweise Automatik-Schaltung  Leistung 100 Nm/ 1000 W Spitze, bei 3 Kilo  Gewicht 22 Kilo.
Foto: Lutz Scheffer
Das Mountainbike gibt es nun seit über 40 Jahren – und noch immer arbeitet die Industrie am Ideal. Stehen uns noch echte Innovationen bevor, und wie werden wir in Zukunft über die Trails rollen? Ein Blick in die Glaskugel mit den Konstrukteuren Lutz Scheffer und Fabian Scholz.

​Das Jahr neigt sich dem Ende zu, und aktuell scheinen 32-Zoll-Laufräder sowie das Revival der Upside-Down-Gabeln die größten Innovationen der Saison zu sein. Ob sich 32 Zoll flächendeckend durchsetzen, nur eine Nische bedienen oder ebenso sang- und klanglos verschwinden wird, wie die einst aufstrebenden Plus-Reifen, bleibt abzuwarten. Konstrukteur Bodo Probst kommentiert: „32-Zoll-Laufräder? Für mich nur ein Trend, an dem sich die Industrie festklammert – in der Hoffnung, den Kunden einen Grund für ein neues Bike zu liefern.“

Unsere beiden Interviewpartner sehen das anders. Lutz Scheffer (59), ein Urgestein der Branche, konstruierte 15 Jahre lang Bikes für Canyon und entwirft seit 2017 Räder für Rotwild. Fabian Scholz (40), Deutscher Enduro-Meister von 2015, baute lange Zeit Rahmen für Focus und arbeitet seit kurzem als Senior Product & Innovation Manager bei Cannondale. Wir wagten zusammen mit den beiden einen Blick in die Zukunft und haben sie gebeten, ihre Vision für 2030 zu skizzieren.

Blick nach vorne: mit Lutz Scheffer und Fabian Scholz

Unsere Interview-Partner: Links: Lutz Scheffer, Rotwild ; Rechts: Fabian Scholz, Cannondale.Foto: Axel Brunst / RotwildUnsere Interview-Partner: Links: Lutz Scheffer, Rotwild ; Rechts: Fabian Scholz, Cannondale.

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BIKE: MTBs ohne E-Antrieb sollen in Zukunft in vielen Kategorien aussterben. Welche Art von Bio-Bikes wird es 2030 noch geben?

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SCHEFFER: Cross-Country bis All-Mountain-Plus bleiben relevant – besonders dort, wo Bio-Bikes ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber E-Bikes haben. Die Freude am Bio-Bike liegt im geringen Gewicht, nicht in der Kategorie. Bei schwereren Bikes konkurriert man direkt mit leichter werdenden E-Bikes.

SCHOLZ: Ich sehe in fünf bis zehn Jahren Bikes ohne Motor nur noch in den Extremen – also Cross-Country- und Downhill-Bikes. Und dann noch bei Trail- und All-Mountain-Bikes im Einsteigersegment. Alles andere wird Nische.

Was ist mit Minimal-Assist-Bikes – gibt’s die in Zukunft noch?

SCHOLZ: Sie bleiben eine Nische. Wir haben mit dem Moterra SL gezeigt, dass Full-Power-Bikes auch leicht sein können. Damit verlieren Minimal-Assist-Bikes ihr Hauptargument.

SCHEFFER: Minimal-Assist-und Power-E-Bikes verschmelzen. Motoren werden stärker, leichter und leiser. Minimal-Assist-Bikes der Zukunft sind technisch leistungsfähig, unterscheiden sich vielleicht nur in der Akku-Größe und damit in der Reichweite. Der Kunde kann dann den großen oder den kleinen, leichten Akku ins Unterrohr stecken.

Bestimmt bald nur noch die Akku-Größe ob Minimal oder Full-Power? ”Feststoff-Akkus mit höherer Energiedichte werden irgendwann auf den Markt kommen und mehr Kapazität bei gleichem Gewicht bringen”, sagt Fabian Scholz.Foto: Max FuchsBestimmt bald nur noch die Akku-Größe ob Minimal oder Full-Power? ”Feststoff-Akkus mit höherer Energiedichte werden irgendwann auf den Markt kommen und mehr Kapazität bei gleichem Gewicht bringen”, sagt Fabian Scholz.

Ist bei der Entwicklung von Motoren noch Luft nach oben?

SCHOLZ: Motoren sind nahezu ausgereift. Vielleicht werden sie noch 100 bis 200 Gramm leichter, aber das war’s. Spannender sind die Akkus: Feststoff-Akkus mit höherer Energiedichte werden irgendwann auf den Markt kommen und mehr Kapazität bei gleichem Gewicht bringen. Die Autoindustrie ist uns da voraus.

SCHEFFER: Da ist noch nichts zu Ende entwickelt. Motoren werden noch viel leichter. Mit neuen Getriebeformen und besserem Wärmemanagement liegt die physikalische Grenze bei Motoren bei etwa 2000 Gramm Gewicht und 1200 Watt Spitzenleistung. Zudem werden sie leiser. Vielleicht gehören Motorengeräusche im Jahr 2030 der Vergangenheit an – ähnlich wie das Geräusch von 56K-Modems damals.

Was kommt nach DJI? Lutz Scheffer sagt: “Noch sehr viel”.Foto: Max FuchsWas kommt nach DJI? Lutz Scheffer sagt: “Noch sehr viel”.
Die Freude am Bio-Bike liegt im geringen Gewicht, nicht in der Kategorie. Cross-Country bis All-Mountain-Plus bleiben relevant.

Aktuell sprechen alle über 32-Zoll-Laufräder. Rollen wir in naher Zukunft alle auf den Riesenrädern?

SCHEFFER: Ich glaube schon – egal ob beim Mountainbike mit oder ohne Motor. Hoffentlich als Mullet-Aufbau, also 32 Zoll vorne und 27,5 Zoll hinten – so wird der Hinterbau nicht zu lang. Das ist primär bei mehr Federweg und im groben Gelände sinnvoll. Für große Fahrer kommt vielleicht eine Kombi aus 32 Zoll und 29 Zoll infrage.

SCHOLZ: Ja, das wird wahrscheinlich kommen – man muss aber ausprobieren, inwieweit es fahrdynamisch sinnvoll ist. Ich hatte bereits die Gelegenheit 32 Zoll zu fahren und wollte es eigentlich doof finden, weil ich solchen Trends kritisch gegenüberstehe. Doch siehe da, ich war positiv überrascht: Es fuhr sich ziemlich geil. Trotzdem: Man kann das nicht einfach adaptieren. Für 32 Zoll muss man fast auf einem weißen Blatt Papier anfangen und die Geometrien der Bikes komplett neu denken.

32 Zoll Laufräder werden kommen, da sind sich beide Interview-Partner einig.Foto: Bike ahead projekt 3232 Zoll Laufräder werden kommen, da sind sich beide Interview-Partner einig.

Werden E-Fahrwerke praktikabler und erschwinglicher?

SCHEFFER: Elektronische Fahrwerke bleiben ein Nischenprodukt. Für Cross-Country-Racing ist ein blockierbarer Dämpfer interessant, verschiedene Zwischenmodi je nach Gelände sehe ich eher nicht – zu komplex, zu langsam, zu unzuverlässig.

​SCHOLZ: Ich meine schon. Ich sehe vor allem für Einsteiger Potenzial. Viele fahren mit völlig falschem Setup. Ein System, das Luftdruck oder Zugstufe überwacht, würde helfen – das wird es in Zukunft dann vielleicht auch in günstigeren Bikes geben. Aber klar, die Hersteller müssen ihre Hausaufgaben in Sachen Aufklärung und Tutorials machen. Der Kunde wird das Fahrwerk weiterhin teils manuell einstellen müssen, um das Maximum herauszuholen.

Systeme wie Flight Attendant von Rockshox sind aktuell noch sündhaftteuer.Foto: Max FuchsSysteme wie Flight Attendant von Rockshox sind aktuell noch sündhaftteuer.

Welche Rolle wird KI beim Thema Mountainbiken spielen?

SCHOLZ: Sie wird helfen – etwa bei smarter Reichweitenermittlung oder bei der Berechnung von Kinematiken. Das ist jetzt schon der Fall. Bikes sind jedoch emotionale Produkte – von Menschen für Menschen. Das sollte so bleiben. Zu viel KI macht das Bike nicht besser.

SCHEFFER: Bei Bikefitting, Ergonomie, Größenwahl oder Geometrieempfehlungen bietet KI großes Potenzial, um diese Aufgaben schneller und effizienter zu erledigen als herkömmliche Methoden.

Zurück ins Hier und Jetzt: Welcher aktuelle Trend geht in die falsche Richtung?

SCHOLZ: Mehr Power bei den Motoren. Das führt zu größeren Akkus, mehr Gewicht und ist kontraproduktiv. Außerdem gefährdet das die Akzeptanz von E-Bikes im Wald, weil sie so schnell und stark werden, dass man mit 25 km/h den Berg hochsausen kann. Wir dürfen nicht riskieren, aus dem Wald verbannt zu werden.

SCHEFFER: Ich sehe in starken Motoren kein Problem. Wichtig ist, dass es bei 25 Km/h bleibt. Motor-Tuning schadet der Akzeptanz im Wald. Die Motorenhersteller versagen hier, weil sie keine Software integrieren, die genau das verhindert. Die 25-Km/h-Sperre lässt sich zu leicht umgehen. Vielleicht würde E-MTBs auch ein maximales Gesamtgewicht von 25 Kilo helfen, schließlich wollen wir ja weiterhin Radfahren und nicht Mofa. Übrigens: ABS halte ich am Mountainbike für wenig sinnvoll, bewusst herbeigeführtes Rutschen im Gelände kann fahrtechnisch notwendig sein.

“Zu starke Motoren gefährden die Akzeptanz von E-Bikes im Wald, weil sie so schnell und stark werden, dass man mit 25 km/h den Berg hochsausen kann.”, sagt Scholz. Scheffer sieht das Problem nicht im Motor.Foto: Wolfgang Watzke“Zu starke Motoren gefährden die Akzeptanz von E-Bikes im Wald, weil sie so schnell und stark werden, dass man mit 25 km/h den Berg hochsausen kann.”, sagt Scholz. Scheffer sieht das Problem nicht im Motor.

Was könnte das nächste große Ding sein?

SCHOLZ: Getriebe – in Kombination mit Motor oder ohne. Die aktuellen Lösungen sind zu schwer und ineffizient. Da braucht es neue Ansätze. Außerdem bleibt das Thema Individualisierung spannend: Ein Rad, das besser auf Körperproportionen angepasst ist, wäre ein echter Fortschritt. Mit Proportional Response gehen wir einen Schritt in diese Richtung.

​SCHEFFER: Reifen und Laufräder. Es geht darum, mit dem richtigen Luftdruck zu fahren, ohne Durchschläge zu kassieren. Die aktuellen Impact-Systeme überzeugen mich noch nicht: Entweder sind sie zu schwer, arbeiten nicht optimal mit der Felge zusammen, oder die Montage ist kompliziert. Dazu kommen Tubeless-Systeme, die ständig nachgefüllt werden müssen. Getriebe werden vermutlich nur in E-Bikes relevant, weil dort Gewicht weniger kritisch ist. Motor-Getriebe-Einheiten mit mindestens 500 Prozent Spreizung und variabler Gangabstufung – 8, 10 oder 12 Gänge, je nach Einsatz – könnten eine große Rolle spielen.

Man kann das nicht einfach adaptieren. Für 32 Zoll muss man fast auf einem weißen Blatt Papier anfangen und die Geometrien neu denken.

Also keine weitere E-Revolution. Wie elektrifiziert wird das Bike 2030 sein?

SCHEFFER: Die Mehrheit wird elektronische Lösungen nutzen. Federung wird größtenteils mechanisch bleiben, aber Schaltungen werden elektronisch – auch im mittleren Preissegment. Und sie werden besser. Stichwort: elektronisch gesteuerte Freiläufe, kein Pedal-Kickback unter Bremsbelastung.

SCHOLZ: Elektronische Schaltungen sind top, da macht es Sinn. Ich hoffe, dass elektronische Teleskopstützen erschwinglicher werden. Ich mag aber auch Mechanik, sofern sie das Problem genauso gut löst. Und die Federung der Zukunft wird sicher auch elektronisch beeinflusst sein.

Zuviel KI macht das MTB nicht besser, meinen die Konstrukteure. Dennoch haben wir auch AI nach einer Vision 20230 gefragt. Das Ergebnis ist erfreulich ernüchternd: Da wir die Künstliche Intelligenz nach einem Fully gefragt haben, versteckt sich der Dämpfer vermutlich im Rahmen. Die Motor-Akku-Einheit erinnert eher an 2017, als an ein modernes, kompaktes Design. Auffällig sind die Monocoque-Laufräder und die wuchtigen Pneus. Interessant: Der kerzengerade Lenker kommt ganz ohne Rise und Backsweep aus. Die Teleskop-Funktion der Sattelstütze wurde entweder clever integriert, oder aber von der KI als überflüssig angesehen.Foto: KI / Laurin LehnerZuviel KI macht das MTB nicht besser, meinen die Konstrukteure. Dennoch haben wir auch AI nach einer Vision 20230 gefragt. Das Ergebnis ist erfreulich ernüchternd: Da wir die Künstliche Intelligenz nach einem Fully gefragt haben, versteckt sich der Dämpfer vermutlich im Rahmen. Die Motor-Akku-Einheit erinnert eher an 2017, als an ein modernes, kompaktes Design. Auffällig sind die Monocoque-Laufräder und die wuchtigen Pneus. Interessant: Der kerzengerade Lenker kommt ganz ohne Rise und Backsweep aus. Die Teleskop-Funktion der Sattelstütze wurde entweder clever integriert, oder aber von der KI als überflüssig angesehen.
Das „eine Rad für alles“ bleibt ein Traum. Der Wunsch danach ist meiner Meinung nach gar nicht so groß.

Manche sehen bereits einen Trend hin zum Einfachen – weg von der Elektrifizierung, egal ob bei Komponenten oder Antrieb.

SCHOLZ: Der E-Antrieb ist ein Segen und wird es auch bleiben. Puristen wird es immer geben – und für sie wird es auch ein Angebot geben, nur eben ein kleines, als Nische.

SCHEFFER: Klar, da wird es immer Bewegungen geben. Vielleicht auch eine komplett neue Bike-Kategorie, die noch simpler aufgebaut ist und aufgrund ihrer Einfachheit und Zweckmäßigkeit beliebt sein wird.

Welche Trends haben sich in euren Augen zu Unrecht durchgesetzt?

SCHEFFER: Die wichtigsten Dinge sind geblieben, manches hat sich zur Zweckmäßigkeit hin geändert. Sonst fällt mir – bis auf die ins Steuerrohr laufenden Kabel – nichts ein.

SCHOLZ: Ich mag komischerweise die integrierte Kabelführung im Steuersatz. Sie sorgt für Diskussionen, weil sie die Wartung etwas erschwert und dadurch teurer macht – das leuchtet mir ein. Sie hat aber auch Vorteile: Das Bike wirkt aufgeräumter und ist leiser, weil die Züge so nicht klappern. Ich nehme dafür gerne mehr Zeit beim Schrauben in Kauf.

Reizthema Zugverlegung durch den Steuersatz.Foto: Wolfgang WatzkeReizthema Zugverlegung durch den Steuersatz.

Wie seht ihr den aktuellen Trend zu Upside- Down-Federgabeln?

SCHEFFER: Ich fahre seit sieben Jahren dieselbe Upside-Down-Gabel (Intend) – ohne einen einzigen Service. Die läuft noch wie am ersten Tag, weil sie den Dreck rausträgt statt reinzuziehen. Das spart enorm viel Wartung. Technisch ist die Bauweise überlegen: Die hohe Steifigkeit in Fahrtrichtung (laterale Steifigkeit) macht sich beim Bremsen und bei Sprüngen positiv bemerkbar. Niedrige Gleitlagerkräfte ermöglichen ein feineres Ansprechen auch unter Last. Die geringere Verdrehsteifigkeit ist kein Nachteil, sondern ein Vorteil im rutschigen Gelände. Ich will schließlich keine Gullideckel mit dem Vorderrad aus der Verankerung reißen. Das Problem ist nur, dass große Hersteller kaum leichte Upside-Down-Modelle anbieten.

SCHOLZ: Mit der Lefty hat Cannondale bereits seit vielen Jahren ein Produkt auf dem Markt, welches auf die Upside-Down-Technologie setzt. Wir haben mit dieser Bauweise mittlerweile so viel Erfahrung gesammelt und wissen, wie man die Vorteile nutzt, um ein überlegenes Produkt zu entwickeln.

Anfang des Jahres stellte Big-Player Fox seine neue Upside-Down-Gabel Podium vor. Weitere werden folgen, sagen Szene-Experten.Foto: Santa CruzAnfang des Jahres stellte Big-Player Fox seine neue Upside-Down-Gabel Podium vor. Weitere werden folgen, sagen Szene-Experten.

Lange hat die Industrie versucht, das eine Bike für alles zu bauen. Wird es das noch geben – ein Bike, das in jedem Terrain überzeugt?

SCHEFFER: In Sachen Geometrie und Kinematik lässt sich ein Bike so konstruieren, dass es einen enorm breiten Einsatzbereich besitzt. Doch es wird immer an der Bereifung scheitern. Einen Universalreifen wird es nie geben. Eine Möglichkeit wären jedoch zwei unterschiedlich bereifte Laufräder, die man im Nu tauschen kann – vielleicht sogar ohne die Kette oder das Schaltauge anfassen zu müssen.

SCHOLZ: Das „eine Rad für alles“ bleibt ein Traum. Der Wunsch danach ist meiner Meinung nach gar nicht so groß – im Gegenteil, die Leute wollen spezifische Bikes.

Die Bike-Industrie hat ein grünes Image – doch ist sie das wirklich, und was geht besser?

SCHOLZ: Obwohl das Fahrrad an sich schon ein umweltfreundliches Fortbewegungsmittel ist, müssen wir noch einen Schritt weiter gehen, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Nachhaltigkeit steht im Mittelpunkt unserer Beschaffung und Produktion, und bei Cannondale machen wir messbare Fortschritte. Dieses Jahr haben wir bereits die Produktion aller Alu-Rahmen auf 100 Prozent grüne Energie umgestellt. Wir sind uns bewusst, dass noch viel zu tun ist und arbeiten daran, sicherzustellen, dass unsere Fahrräder nicht nur langlebig, sondern auch verantwortungsbewusst hergestellt werden.

SCHEFFER: Bikes sollten funktional bleiben. Ersatzteile verfügbar machen, pflegen, reparieren – das ist der wichtigste ökologische Beitrag. Ein Fahrrad kann 100 Jahre halten, wenn man es nutzt und instand hält. Hersteller sollten keine Wegwerfware produzieren, sondern Wartung erleichtern: durch Explosionszeichnungen, Tutorials, Workshops. Das Schlimmste ist, ein Rad im Keller vergammeln zu lassen, anstatt es weiterzuverkaufen. Der größte Effekt liegt beim Menschen: weniger Autofahren, weniger Fliegen, lokal fahren. Mountainbiker leisten aktiv Naturschutz: Sie erkennen illegale Kahlschläge, achten auf Tiere, fördern soziale Akzeptanz im Wald. Der schlimmste Umweltsünder im Wald ist die Forstwirtschaft, nicht wir Biker.

Die Zeit der Garagenfirmen-Bosse schien vorbei. CEOs aus Großkonzernen übernahmen in den Boom-Jahren bei vielen Marken das Ruder. Doch bald waren wieder die Gründer am Zug – etwa bei Canyon oder YT. Eine gute Entwicklung?

SCHEFFER: Ja, der Chef muss die Botschaft glaubhaft verkörpern. Er muss Rad fahren, Leidenschaft und Historie haben. Manager ohne Bike-Background verstehen oft nicht, worum es wirklich geht. Beispiele wie Roman Arnold von Canyon zeigen, dass Herzblut entscheidend ist – nicht nur Wirtschaftlichkeit.

​SCHOLZ: Das Fahrrad mit all seinen Anbauteilen ist enorm komplex. Wer das verstehen will, muss passionierter Biker sein. Dennoch kann die Branche bestimmt viel von Experten aus anderen, größeren Sektoren lernen.

Die Marktsättigung setzt der Branche gerade sehr zu. Insider behaupten, das könne dazu führen, dass Bike-Labels die Lebensdauer ihrer Produkte bewusst limitieren – so wie man es bei Waschmaschinen vermutet.

SCHOLZ: Bei Waschmaschinen scheint das tatsächlich so. Ich kann nur sagen: Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Testprogramme sind über die Jahre härter geworden. Rahmen werden stabiler und haltbarer. An Wegwerfprodukten hat unsere Branche kein Interesse.

SCHEFFER: Eine traurige Entwicklung, die seit einigen Jahren in vielen Bereichen zu beobachten ist – bei uns aber sicher nicht. Dafür halte ich meine Hand ins Feuer.

Wann normalisiert sich die Lage, und was muss die Branche dafür richtig machen?

SCHEFFER: Normalisieren wird sich die Lage, sobald die Überbestände abgebaut sind und die Firmen wieder normal wirtschaften können. Anfangs dachte man, das dauere zwei Jahre – aber es dauert länger. Viele Firmen sind ausgepowert, weil sie sowohl Neuentwicklungen vorantreiben, als auch Lagerbestände abbauen müssen. Ich schätze, wir müssen uns noch gut zwei Jahre gedulden, bis alles wieder in geregelten Bahnen läuft – also in drei Jahren sollten wir wieder auf Normalniveau sein.

SCHOLZ: Die nahe Zukunft wird wahrscheinlich weiter herausfordernd bleiben – der Markt erholt sich langsamer als erhofft. Die Lagersituation hat sich zwar etwas entspannt, aber die Konjunktur bleibt schwach. Für uns als amerikanische Marke kommen noch die Strafzölle hinzu. Auch wir haben leider keine Kristallkugel und können nicht die Zukunft vorhersagen. Die Branche sollte jetzt Produkte bringen, die wirklich „on point“ sind, und sie sollte nicht jedem Trend hinterherrennen.


Die Zukunfts-Bikes von Lutz Scheffer und Fabian Scholz

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Foto: Lutz Scheffer
Vision 2030 von Lutz Scheffer.
  • Kategorie: E-Enduro (Carbon)
  • Federweg: 170/170 Millimeter
  • Batterie: 1000 Wh Festkörper- Akku, hohe Ladegeschwindigkeit, Quick-Release
  • Hinterbausystem: Midhigh-Pivot
  • Laufräder: Super-Mullet 32 Zoll vorne, 27,5 Zoll hinten, Quick-Release-Wheelsets, Zahnriemen und Scheibe bleiben am Rahmen. Ein zweiter, anders bereifter Laufradsatz kann im Handumdrehen umgesteckt werden; vorne 2,35“, hinten 2,5“ Reifen
  • MGU (Motor Gear Unit): 500 % Spreizung, Zahnriemen, zehnfach Planetengetriebe, E-Freilauf, 100 % Entkopplung, wahlweise Automatik-Schaltung
  • Leistung: 100 Nm/ 1000 W Spitze, bei 3 Kilo
  • Gewicht: 22 Kilo
Bild 1
Foto: Fabian Scholz
​Vision 2030 von Fabian Scholz.
  • Kategorie: Down-Country-Bike (Carbon)
  • Federweg: 130/130 Millimeter
  • Hinterbausystem: 4-Bar Flexpivot mit Proportional Response
  • Laufräder: 32/29“ Mullet; vorne 2,4“; hinten 2,4“ Reifen
  • Antrieb: Stufenloses Getriebe mit Belt
  • Gabel: Lefty
  • Gewicht: 11 Kilo

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