Laurin Lehner
· 26.04.2017
Mit dem Erfolg kam der Kanadier nicht immer klar. Was dann folgte, ist Tippies dunkelstes Kapitel. Nun geht die Legende auf die 50 Jahre zu. Zeit, seine Karriere Revue passieren zu lassen.
Laut, schrill und immer gut drauf. Brett Tippie redet an einem Tag so viel, wie andere in drei Tagen nicht.
Woher die Energie kommt, weiß keiner. Dass sie dem Kanadier zum Erfolg verholfen hat, scheint dagegen einleuchtend. Geboren in Vancouver, aufgewachsen in Kamloops, fuhr Brett in frühen Jahren Snowboard und adaptierte seine Fähigkeiten irgendwann aufs Mountainbiken. Es war die Zeit, in der der MTB-Sport hauptsächlich durch Rennen definiert wurde. Davon wollte Brett bald nichts mehr wissen. Ihn reizten Trails und Steilabfahrten, keine Bestzeiten. Und so cruiste er mit seinen Schulfreunden Richie Schley und Wade Simmons Schotterhänge auf dem Mountainbike hinunter, sprang über Felsvorsprünge und bezwang schier senkrechte Steilwände, in die er sich sonst nur im Winter auf dem Snowboard traute. Die Mountainbike-Schmiede Rocky Mountain bekam Wind davon und witterte einen Trend. Die drei Freunde wurden unter Vertrag genommen. Weil Cannondale die Patentrechte am Begriff "Freerider" für sich beanspruchte, wurde ihnen der ironische Namen "Frorider" verpasst. Seither gelten sie als Erfinder des Freeride-Gedankens. Während Richie Schley und Wade Simmons die Glanzzeiten des Sports erlebten, schlug Tippie den falschen Weg ein. Doch es gibt ein Happy End. Tippie ist zurück. Verrückter denn je.
Brett, was bereust Du, wenn Du auf Deine MTB- Karriere zurückschaust?
Ich bin gespalten. Auf der einen Seite bereue ich den Punkt, an dem ich mich für den falschen Weg entschieden habe, Drogen nahm und alles verlor. Auf der anderen Seite glaube ich auch daran, dass es manchmal so laufen muss, wie es läuft. Wer weiß, hätte ich die Scheiße ausgelassen, wäre vielleicht alles ganz anders gekommen. Ich hätte meine Frau nicht kennen gelernt und wäre eine andere Person.
Dabei hatte alles so gut angefangen. Du giltst zusammen mit Richie Schley und Wade Simmons als Erfinder der Freeride-Disziplin. Hättest Du damals gedacht, dass Ihr so eine große Sache ins Rollen bringt?
Nein. Aber klar wusste ich, dass es cool ist, was wir da machen. Damals verdiente ich mein Geld als gesponsorter Snowboard-Racer – und machte das gleiche Zeug bald mit dem Mountainbike. Ich droppte bereits 1983 in Kiesgruben – lange bevor die Industrie Mitte der 90er-Jahre Potenzial in dieser neuen Disziplin sah. Wir waren Typen, die verrücktes Zeug auf dem Bike machten, uns gegenseitig pushten und einen Mega-Spaß daran hatten. Die Frage, um die sich mein Leben damals drehte, war: Kann ich noch von etwas Höherem springen?
Du warst unter den Froridern immer der verrückte Typ – derjenige, der sich alles traute.
Stimmt, ich liebte es, große Sprünge als erster zu wagen. Während sich die anderen noch am Kinn rieben, schob ich mein Bike die Anfahrt hoch, bereit, überall runterzudroppen. Doch irgendwann verlor ich diesen Nimbus. Auf einmal trauten sich Typen wie Wade Simmons oder Josh Bender größere Dinger.
Der noch junge Sport war auf dem Weg zu seinem Höhepunkt. Du warst ein Star. Warum hast Du damit begonnen, Drogen zu nehmen?
Ich glaube, es war eben dieser Punkt, als andere genauso verrücktes Zeug wie ich machten. Das mag sich jetzt komisch anhören, doch mich beschäftigte das damals sehr. Und dann kam das eine zum anderen. In Whistler war ich ein bunter Hund, überall hieß es: "Tippie, trink ein Bier mit uns." Ich finde Typen blöd, die ein Bier ausschlagen, also trank ich immer mit. Zu der Zeit trennte sich mein Freundin von mir. Ich war frustriert, und von da an machte ich nur noch Party, übertrieb es mit dem Alkohol und probierte das erste Mal Drogen aus.
Was für Drogen?
Harte Drogen. Ich zog mir alles durch die Nase, was ich finden konnte. Ich glaube, ich nahm so ziemlich alles – nur von dem Zeug, dass man sich mit einer Nadel spritzt, ließ ich die Finger. Ich erinnere mich, wie ich mal für zehn Tage nicht geschlafen habe. Sobald ich müde wurde, schmiss ich mir was ein.
Kannst Du Dich an den Moment erinnern, als Du es nicht mehr im Griff hattest?
Ich glaube, ich war mir darüber überhaupt nicht im Klaren. Ich machte das, was ich zu der Zeit am liebsten machte, nämlich Party. Natürlich vernachlässigte ich meinen Job als Profi-Biker, und es dauerte nicht lange, bis mich meine Sponsoren kickten. Ich verlor mein Job und die meisten meiner Freunde. Ich schämte mich so sehr, dass ich mich nur noch versteckte, Drogen nahm und mit zwielichtigen Typen abhing.
Was machten Deine Profi-Freunde Wade Simmons und Richie Schley zu der Zeit?
Es waren die glorreichen Tage des Freeridens. Sie waren mit Foto- und Video-Produktionen beschäftigt. Mich vergaßen sie trotzdem nicht. Sie versuchten, mir klarzumachen, dass ich gerade den falschen Weg einschlage. Ich erinnere mich, wie mir Richie Selbsthilfebücher vorbeibrachte, oder wie Wade mich auf Bike-Touren schleppte, in der Hoffnung, mich zu bekehren. Doch ich wollte zu der Zeit nichts von ihnen und ihren Ratschlägen wissen. Mir war es scheißegal.
War das der Tiefpunkt?
Leider kam es noch schlimmer. Meine Großmutter starb. Mein Vater machte sich daher mal wieder auf die Suche nach mir, um mich zur Beerdigung zu holen. Diesmal fand er mich – zu der Zeit hing ich in verlassenen Häusern mit fragwürdigen Typen ab. Mein Dad schleppte mich ins Auto und fuhr mich nach Hause. Also ich daheim war, wurde mir bewusst, dass ich dabei draufgehe, wenn ich so weitermache. Es war so, als hätten zwei Stimmen mit mir gesprochen. Die Eine sagte: Scheiß drauf! Zieh dir die nächste Line rein. Die andere sagte: Schau, dass du so schnell wie möglich sauber wirst, sonst gehst du daran kaputt! Ich hörte auf die zweite Stimme. Kurz darauf lieferte ich mich selbst in eine Entzugsklinik ein. Nach 40 Tagen war ich clean. Danach ging es aufwärts. Ich traf meine zukünftige Frau, heuerte auf dem Bau an, besorgte mir eine Wohnung und versuchte, meine Miete pünktlich zu zahlen – ein stinknormales Leben.
Wann hast Du das letzte Mal harte Drogen genommen?
Am 15. Dezember 2008. Nach meinem Entzug wurde ich einige Male rückfällig, doch bald merkte ich: echtes Verlangen nach Drogen spürte ich nur dann, wenn ich Alkohol trank. Also hörte ich auch damit auf. Alles schien sich zum Guten zu wenden, bis mein Dad starb. Das traf mich wie ein Blitz. Mein Dad war und ist alles für mich.
Heute reist Du wieder als Bike-Profi und Moderator um die Welt. Wie hast Du den Fuß zurück in MTB-Szene gebracht?
Mein Ex-Sponsor Rocky Mountain gab mir 2008 ein Bike, in der Hoffnung, dass ich wieder anfange zu fahren. Im nächsten Jahr gaben sie mir ein Neues und den Auftrag, mit einem Fotografen Fotos zu produzieren. Mir wurde bewusst, was ich verloren hatte. Nämlich den geilsten Job der Welt: Profi-Biker.
Davon konntest Du aber nicht leben, oder?
Nein. Zu der Zeit verdiente ich mein Geld mit harter Arbeit auf dem Bau oder als Holzfäller. Ich hing mit engstirnigen Typen ab, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ich erinnere mich an die Mittagspausen, bei denen sie sich Geschichten erzählten, wie sie anderen Typen die Fresse poliert haben. Ich dachte mir nur: Was zur Hölle mache ich hier? Ich muss hier weg.
Wie ist es Dir gelungen?
Ich grübelte, welche Fähigkeiten ich noch besitze. Bevor ich mich als Profi-Snowboarder zur Ruhe setzte, moderierte ich Snowboard-Worldcups. Leute zu unterhalten, lag mir schon immer. Also heuerte ich bei der Internet-Plattform Pinkbike als Moderator von Festivals an. Anscheinend gefiel ihnen meine Show, und ich bekam neue Aufträge. Mein Ex-Sponsor Rocky Mountain merkte, dass ich es ernst meinte und holte mich zurück ins Team. Auf einmal war ich wieder ein Frorider.
Hört sich nach einem Happy End an.
Oh ja, es ist ein Happy End. Doch von alleine kam das nicht. Meine Wille war groß. Ich arbeitete hart an meinem Comeback und gab alles. Ich hatte zu der Zeit eine Familie zu versorgen. Ich schmiss den Job auf dem Bau und im Wald und war verdammt froh, nicht mehr mit den dunklen Gestalten abhängen zu müssen.
Du hast vorhin gesagt, dass es manchmal so laufen muss, wie es läuft. Gibt es dennoch Momente, in denen Du Deinen Absturz bereust?
Mmh, wenn Du mich so fragst: Klar hätte ich gerne die Scheiße ausgelassen. Ich war so ein Idiot. Ich verlor kostbare Zeit mit meinem Dad, und durch die harten Drogen wahrscheinlich Jahre an Lebenserwartung.
Jetzt bist Du zurück, scheinst immer gut gelaunt und nennst Dich selbst "Director of Good Times". Bist Du wirklich immer happy?
Das werde ich oft gefragt. Natürlich spiele ich nichts. Ich war schon immer eine Frohnatur – das muss ich von meinem Dad geerbt haben. Außerdem gibt es keine Gründe, mit Miesepetergesicht durchs Leben zu laufen. Mein Hobby ist mein Job. Ich habe eine wunderbare Frau, zwei gesunde Kinder, hänge mit guten Typen ab. Warum sollte ich schlecht drauf sein?
Viele Menschen haben das auch, plagen sich aber trotzdem mit Zweifeln herum.
Solche Lebensverneiner habe ich nie verstanden. Ich glaube, es lässt sich steuern, ob man komisch drauf ist und alles hinterfragt, oder unbeschwert durchs Leben geht. Ich habe für mich herausgefunden, dass es mir besser geht, wenn ich mit gut gelaunten Leuten abhänge. Noch besser, wenn ich merke, dass die Menschen um mich herum meine Anwesenheit genießen oder über meine Witze lachen. Das gibt mir viel.
Trotzdem muss es doch Dinge geben, die einen Tippie zum Nachdenken bringen.
(Denkt lange nach). Das Älterwerden vielleicht. Ich wäre gerne für immer jung. Dass ich körperlich irgendwann nicht mehr in der Lage bin, so zu biken, wie ich es jetzt tue, macht mir Angst. Mich beschäftigt auch, dass ich ein verhältnismäßig alter Vater bin. Überhaupt habe ich Angst davor, Zeit zu verschwenden. Gut, dass mir fünf Stunden Schlaf reichen – manchmal mache ich ganze Nächte durch. Ich hasse es zu schlafen. Was für eine Zeitverschwendung.
Wirklich? Nur fünf Stunden.
Ja, es ist ideal. Ich kann Sachen am Computer wegarbeiten, wenn meine Mädels schon im Bett liegen. Seit ein paar Jahren liebe ich Nightrides. Die Natur hat nachts ein ganz anders Gesicht, außerdem habe ich keine Angst, etwas zu verpassen, schließlich schlafen alle anderen ja.
Der Lautsprecher Brett Tippie alleine im Wald. Verträgst Du so viel Stille überhaupt?
(Lacht) Glaub’s oder glaub’s mir nicht. Auch wenn ich es liebe, mit Leuten abzuhängen, Geschichten zu erzählen und rumzualbern, bei meinen Nightrides genieße ich auch mal die Stille.
PROFIL BRETT TIPPIE
Geboren: *31. Januar 1969 in Vancouver, BC
Erfolge
Snowboard-Profi von 1994 bis 2002, Canadian National Boardercross Champion, Filmauftritte in der Filmreihe "Kranked", Member der Mountainbike Hall of Fame
Sponsoren
YT Industries, SRSuntour, Maloja, IXS, Magura, Armour Ryders, Ergon, Spank, Enve, Vittoria, OneUp, BicycleHub Shop, Painthouse Custom Airbrush Aava Hotel Whistler
Webseite www.bretttippie.com