Brage Vestavik zählt zu den charismatischsten Freeride-Profis der Welt. Der junge Norweger wirkt wie eine Figur aus dem Filmcast „Vikings“, seine selbstgebauten Stunts muten ebenso brachial an. Vestavik wurde durch die Teilnahme an dem Video-Wettbewerb X Games Real MTB bekannt. 2021 reichte der Red-Bull-Athlet ein spektakulären 30-Sekunden-Clip ein mit nie gesehenen Mutproben. Brage wurde mit der Silbermedaille prämiert, das weltweite Publikum sah ihn allerdings auf Platz 1 und verlieh ihm den Publikums-Award. Immer wieder überrascht Brage Vestavik die Szene mit Freeride-Videos und scheint im Filmen und Stuntbau seine Mission gefunden zu haben. Denn an Wettkämpfen wie früher (Downhill-Worldcups, Red Bull Hardline, Red Bull Rampage u. a.) nimmt Vestavik nicht mehr teil.
BIKE: Brage, du hast gerade ein spektakuläres Youtube-Video veröffentlicht. Es heißt Trolldom. Was bedeutet das Wort?
BRAGE VESTAVIK: Troll ist Norwegisch und bezeichnet – ich glaube wie im Deutschen auch – einen Kobold oder Walddämon. Also eine Kreatur, die früher in den Bergen lebten. Und das Wort Trolldom kann als Hexerei übersetzt werden.
Treffend, denn was du da in dem Edit zeigst, gleicht Hexerei. Ein irrer Balance-Akt auf dünnen Holzbalken über dem Abgrund. Was fasziniert dich an den sogenannten Skinnies?
Ich bin damit aufgewachsen, kann man fast sagen. Damals waren diese schmalen Hühnerleitern ein fester Bestandteil des Freeriding. Mit den Northshore-Skinnies hat alles angefangen. Sie wurden in den Filmen wie “New World Disorder” in Szene gesetzt. Diese Filme prägten mich als Kind.
Und du baust sie auch selbst.
Ja, das Bauen macht mir viel Spaß. Und noch mehr Freude macht mir, Bäume zu finden, die schon richtig daliegen. Es geht mir darum, das zu nutzen, was mir die Natur anbietet. So war es auch hier. An diesem Hang hatte es einen Waldbrand gegeben. Ich nutzte nur tote Bäume. Deswegen war es auch legal, dort Stunts zu bauen.
In deinem Film beeindruckt, mit welchem Speed du über diese schmalen Leisten bretterst. Man kann kaum zuschauen. Einmal stürzt du und rutscht auf dem rauen Zedernholz dahin. Das sieht übel aus. Hast du dich dabei nicht verletzt?
Es passierte beim ersten Versuch, diese Line zu fahren. Ich war zu schnell und wurde aus der Kurve getragen. Ich hatte den Drop davor etwas zu schnell genommen, war zu weit gesprungen. Du musst bedenken, dass die ganze Line nur aus Holz und Fels besteht. Da war es sehr schwer einzuschätzen, wie viel Grip der Fels erzeugt und wieviel das Holz.
Verlierst du deine „Ich schaffe das alles“-Einstellung, wenn dir so ein Crash passiert?
Ja, da rebelliert dein Kopf. Dazu kam, dass ich mich bei dem Crash ziemlich verletzt hatte. Es hatte mir den Finger übel gestaucht und beim Aufprall hatte ich mir das Bein geprellt. Ich bin zwar gleich noch mal hoch geklettert und habe diesen Teil der Line gefahren, doch dann war das Licht weg.
Wie das?
Tagsüber war es viel zu windig in dem Tal. Wir hatten nur ein enges Zeitfenster am Abend, denn erst dann legte sich der Wind. Am nächsten Tag war mein Bein aber dick angeschwollen, dass ich es kaum bewegen konnte. Ich legte das Bein hoch, packte Eis drauf und wartete bis zum Abend – dann fuhr ich die gesamte Line.
Wow. Trotz Verletzung.
Ja (lacht). Das musste sein, nach all der Vorbereitung.
Demnach bist du die gesamte Line nur einmal gefahren.
Ja. (Lacht).
Welcher Teil der Line hat dir den Puls besonders hoch getrieben?
Der letzte Doppeldrop war am krassesten. Denn du hast von oben gar nichts sehen können. Es war komplett „blind“. Und es gab kein Halten mehr. Einmal reingefahren, musste ich es durchziehen. Dazu kam: Vom ersten Drop aus, konntest du die Landung des zweiten Drops nicht sehen, weil sie verdreckt war. Von da oben hast du nur den flachen Boden ganz unten gesehen, das war ziemlich furchterregend. Als wäre das alles nicht schon schwierig genug, wusste ich überhaupt nicht wie ich die letzte Sektion fahren sollte. Der Fels hing zu allen Seiten, war von Rissen zerfurcht und es standen Wurzeln raus. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde.
Die Holzkonstruktionen sahen irre aufwändig aus, vor allem in so schwierigem Gelände. Wie lang habt ihr gebraucht, das alles zu bauen?
Wir haben da zweieinhalb Monate rumgewerkelt bis alles fertig war – gottseidank hatte ich ein großes Team, sonst hätte es viel länger gedauert.
Was passiert damit jetzt? Wird es verrotten wie die alten „New World Disorder“-Stunts?
Wir haben jetzt schon die Landungen rausgenommen und werden auch den Rest abbauen. Ich will nicht, dass sich da jemand verletzt.
Du fährst noch immer mit deinem GT Fury. Bist du noch in deren Team?
Bein, GT gibt es in der alten Form ja nicht mehr. Ich habe keinen Bike-Sponsor momentan, kann also fahren, was ich will.
Ich nehme an, die Kosten waren hoch, dieses Projekt umzusetzen. Wer bezahlt das alles?
Meine Sponsoren, doch ich übernehme auch einen Teil selbst. Denn mir liegt so viel dran. Ich will die Projekte unbedingt umsetzen.
Dein Edit „The Sound of pure MTB Mayhem“ wurde 2 Millionen Mal geklickt. Orientierst du dich daran, was erfolgreich war, wenn du weitere Projekte planst?
Nein, das ist mir eigentlich egal. Mir macht es Spaß, Stunts zu bauen und zu filmen und mich von spontanen Einfällen inspirieren zu lassen.
Wie waren die Reaktionen auf dein Edit „Trolldom“ – hat sich Derek Westerlund gemeldet, der Macher der legendären „New World Disorder“-Serie.
Derek hat sich tatsächlich gemeldet und mich beglückwünscht zu der Line. Ich habe Feedback bekommen außerhalb der Szene, von Skifahrern, Snowboardern und Leuten aus dem Musik-Business. Das hat mich sehr gefreut, dass der Film ein bisschen weiter reicht als nur in der Core-Szene. Gefreut deswegen, weil ich mich selbst von so vielen Dingen inspirieren lasse, die mit Biken gar nichts zu tun haben.
Deinen Durchbruch hattest du mit deinem X Games Real Edit 2021. Würdest du da gerne noch mal mitmachen?
Gerade gefällt es mir, meine eigenen Ideen umzusetzen, ohne Zeitplan von außen und Vorgaben. Also ein Freerider zu sein in der wahren Bedeutung des Wortes.