Andi WittmannRaus aus dem Rollstuhl nach dem Sturz

Ludwig Döhl

 · 01.02.2016

Andi Wittmann: Raus aus dem Rollstuhl nach dem SturzFoto: Georg Grieshaber
Andi Wittmann: Raus aus dem Rollstuhl nach dem Sturz

30 Brüche, beide Beine fixiert mit Schrauben! Die Ärzte machten Andi Wittmann nach dessen Horrorsturz nur wenig Hoffnung. Über seinen Kampf zurück aus dem Rollstuhl sprach der Freeride-Star mit uns.


Nach Deinem schweren Sturz Anfang August hieß es, Du würdest vielleicht nie wieder richtig laufen können. Wie hast Du den Schock verkraftet?
Die erste Diagnose war niederschmetternd. Die Füße waren Matsch. Keiner wusste, ob ich je wieder gehen, geschweige denn mountainbiken kann. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hab’ geweint. Mein Geschäftsmodell, das Profi-Freeriden, schien am Ende zu sein. Aber friss oder stirb. Ehe ich mich versah, lag ich mit Fixateuren und zahlreichen Schrauben in den Füßen im Bett. Es war mein einziges großes Ziel, in drei Monaten wieder laufen zu können. Die Ärzte waren da anderer Meinung. Während der vier Monate im Rollstuhl war mir das aber egal. Anfang Dezember bin ich auf Krücken umgestiegen. Mittlerweile kann ich, wenn auch nur langsam, wieder zu Fuß gehen.


Seitdem gibt es um Deine Person richtig Rummel. Der Focus und auch das ZDF haben über Dich berichtet. Ist es nicht traurig, dass die Allgemeinheit nur an Deinem Sturz und dem damit verbundenen Leiden interessiert ist, nicht aber an Deiner sportlichen Leistung?
Sicherlich ist es auf der einen Seite traurig, aber auf der anderen Seite völlig verständlich. Diese Medien sprechen ein sehr breites Publikum an. Unsere Sportart stellt immer noch eine Nische dar. Die Massen können sich nicht mit einem Freerider identifizieren oder sich in diesen Sport hineinversetzen. In die Lage eines Rollstuhlfahrers dagegen schon. Menschen sind sensationsgeil. Dennoch glaube ich, dass ich den Sport mit meiner Botschaft einer breiten Masse näherbringen kann.


Wie lautet Deine Botschaft?
Mir ist was Schlimmes widerfahren, aber ich will sportlich gesehen wieder dorthin zurück, wo ich vor der Verletzung war. Warum? Mountainbiken ist der geilste Sport, den ich mir vorstellen kann. Es ist mein Leben.


Wie willst Du einen so schweren Unfall in einen positiven Zusammenhang mit Mountainbiken bringen?
Trotz der Schmerzen, die ich wegen des Sports im letzten halben Jahr durchlitten habe, will ich nicht auf die Momente mit dem Bike verzichten. Der Sport hat meinem Leben mehr gegeben, als er mir jemals, egal durch welche Verletzung, nehmen könnte. Um sich so zu verletzen, musst du nicht unbedingt Mountainbiker sein. Das kann auch im Alltag passieren. Das muss man auch mal in Relation sehen.


Du selbst hast bei Freeride-Events den Extremsport verkörpert. Dass man sich bei großen Sprüngen einem hohen Risiko aussetzt, ist nicht abzustreiten. Was muss man da in Relation sehen?
Was auf jeden Fall stimmt, ist, dass die Dimensionen, in die wir uns beim Freeriden gepusht haben, in keinem Verhältnis zu den Sicherheitsvorkehrungen stehen. Beim Suzuki Nine Nights zum Beispiel habe ich aber immer Wert darauf gelegt, dass alle Stunts sicher sind. Bei weiten Distanzen legen wir die Landung höher als den Absprung, um bei einem Crash möglichst wenig Höhenenergie mitzunehmen. Das beugt unnötigen Risiken vor. Dort gab es nie krasse Verletzungen. Der Boom "Größer – Weiter – Schneller" birgt natürlich Gefahren in sich. Deshalb muss man Sprünge sicherer bauen. Jedem passieren Fehler, ob im Alltag oder beim Sport. Aber bei schlecht gebauten Sprüngen können die Konsequenzen fatal sein.

  Andi Wittmann: "Die Füße waren Matsch. Für mich brach eine Welt zusammen."Foto: Georg Grieshaber
Andi Wittmann: "Die Füße waren Matsch. Für mich brach eine Welt zusammen."


Dein missglückter Sprung hatte fatale Konsequenzen. Er passierte auf Deiner eigenen Show-Rampe. Wie konnte er überhaupt passieren?
Der Sprung vor dieser Show war absolut Standard für mich. Ich war aber offenbar nicht richtig konzentriert und nahm den Testsprung auf die leichte Schulter. Rückenwind und eine abschüssige Anfahrt kamen obendrein hinzu. Ich war zu schnell, dachte mir in der Luft noch: "Jetzt rollst’ dich halt normal ab, wie immer." Ich bin dann aber aus zirka fünf Metern Höhe ungebremst in den Boden eingeschlagen. Abrollen? Fehlanzeige. Ich wusste sofort, dass ich diesmal nicht einfach aufstehen würde. Der Notarzt kam erst zwanzig Minuten später. Das waren die abartigsten Schmerzen meines Lebens.


Du hast Dich nicht unterkriegen lassen. Woher nimmst Du die Energie?
Ich habe ein super Team um mich rum. Mein Trainer Lorenz Westner von der Sportschule Fürstenfeldbruck hat sich noch in den Stunden vor der Operation mit meiner Verletzung auseinandergesetzt und mich während der Reha immer wieder motiviert. Die Ärzte haben durch die erfolgreichen OPs die Weichen gestellt. Das Reha-Team, speziell meine Physio-Therapeuten, sind derzeit die Basis meiner Motivation. Der Unfall hat in meinem Leben einmal die Reset-Taste gedrückt. Ich habe unnötige Dinge aussortiert und mich mit dem klaren Ziel, wieder auf eigenen Beinen zu stehen, voll auf meine Genesung konzentriert. Ich habe den Unfall als Herausforderung gesehen, nicht als Schicksal. Mit kleinen Zwischenzielen habe ich meinen wöchentlichen Fortschritt überprüft. Das hat mir am meisten geholfen.


Du bist finanziell abhängig vom Biken. Hast Du Angst um Deine Existenz?
Mein Vertrag bei Giant ist unabhängig vom Unfall drei Wochen nach meiner OP ausgelaufen. Dummes Timing. Im Moment ist das aber eher zweitrangig für mich. Wieder fit zu werden, ist das Ziel Nummer eins. Die restlichen Sponsoren stehen weiter hinter mir.


Wie sieht Deine Zukunft aus?
Eins steht fest: So krasse Sprünge wie früher kann ich nicht mehr abziehen. Ich habe Ideen, wie ich zurückkommen will. Aber es wird auch noch etwas Zeit vergehen, bis ich wieder biken kann. Nur nichts überstürzen.

Zur Person: Andi Wittmann

Der 28-Jährige aus Bad Aibling lebt für seinen Sport. Neun Jahre lang fuhr er als Freeride-Profi für Giant. Wittmann organisiert jährlich das Suzuki Nine Knights in Livigno, bei dem sich die Crème de la Crème der Freeride-Szene trifft. Ein Leichtsinnsfehler bei einer Dirtjump-Show brachte den Bayer in den Rollstuhl. Doch es geht bergauf! www.andiwittmann.com

  Nine Knights in LivignoFoto: Markus Greber
Nine Knights in Livigno

Auf der Facebook-Seite von Andi Wittmann kann man seine Reha ganz gut nachverfolgen und sieht, wie hart er gekämpft hat, um aufs Bike zurückzukommen.


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