Florentin Vesenbeckh
· 22.09.2019
Brauchen E-Biker einen speziellen Sattel? Wir sagen: Ja. Ein geeigneter E-MTB-Sattel verbessert die Klettereigenschaft markant. Wir haben drei Modelle getestet.
E-spezifische Produkte haben mit Vorurteilen zu kämpfen. "Reines Marketing-Brimborium", sagen Kritiker. Halbgare Argumente feuern diese Diskussion an. Beispiel gefällig? "E-Biker sitzen länger auf dem Rad als Bio-Biker." Das ist so natürlich Quatsch. Fakt ist hingegen: E-Mountainbiker haben in mancherlei Hinsicht andere ergonomische Anforderungen. Für uns war es zum Beispiel ein echter Aha-Moment, als wir zum ersten Mal auf dem Canyon Spectral:On mit hauseigenem E-MTB-Sattel Platz nahmen. Der große Unterschied: Der Sattel ist am Heck hochgezogen und bietet dem Fahrer eine starke Abstützung nach hinten. An steilen Anstiegen, wo man mit dem normalen Bike scheitern würde, gibt das viel Kontrolle und spart Kraft. Immer, wenn wir auf Test-Bikes mit rund gewölbten Sätteln ohne Heckaufbiegung steigen, wird der Unterschied besonders klar. An steilen Rampen hat man das Gefühl, nach hinten abzurutschen.
Legende zum Bild ganz oben:
1. Hohes Heck: Steilere Anstiege, mehr Schub nach hinten, höhere Trittfrequenz: Auf dem E-MTB wirkt mehr Kraft nach hinten. Hochgezogene Sattelenden machen steile Anstiege komfortabler.
2. Mehr bringt mehr: Gewichts-Tuning ist am Sattel fehl am Platz. Die Einbußen, die man durch einen rutschigen, wenig abgestützten Sattel hat, holen die paar Gramm Gewichtsersparnis definitiv nicht raus.
3. Lange Nase: Extrem steile Anstiege sind das Salz in der Suppe einer E-MTB-Tour. Wer die Grenzen auslotet, muss sein Gewicht weit nach vorne schieben. Eine lange, breite Sattelnase hilft.
Und warum braucht es die Wundersättel nur bei Motorunterstützung? Erstens: Mit dem E-MTB sind deutlich steilere Anstiege möglich (und üblich) als mit reiner Muskelkraft. Zweitens: Die Extra-Power des Motors sorgt für Schub nach hinten – und zwar ohne maximale Muskelspannung im Körper, die bei Vollgasfahrten mit reiner Körperkraft den Biker zentral auf dem Rad fixiert. Das ermöglicht es dem E-Mountainbiker, eine entspanntere Sitzposition beizubehalten. Kontrolle der Fahrsituation und Grip am Hinterrad steigen.
Eines gilt es allerdings zu beachten: Was bringt der beste E-Bike-Sattel, wenn längere Ausfahrten mit Gesäßschmerzen enden? Um das zu verhindern, betreiben Sattelhersteller viel Aufwand, bieten aufwändige Messmethoden für den Sitzknochenabstand und Sättel in verschiedenen Breiten oder andere Individualisierungen. Diesen ergonomischen Ansatz zeigen in diesem Testfeld Ergon und SQlab. Da die Geschmäcker und Biker-Hinterteile so unterschiedlich sind, wie die Auswahl an verschiedenen Sattelmodellen, bleibt der Sitzkomfort eine sehr persönliche Variable. Endgültigen Aufschluss können nur ausgiebige Testfahrten liefern.
Alle drei Modelle im Test bieten gegenüber flachen Standardsätteln spürbare Vorteile – gerne mehr davon. Canyon zieht das Konzept mit erhöhtem Heck am konsequentesten durch, das funktioniert. Allerdings braucht das spezielle Sitzgefühl etwas Gewöhnung. Eines gilt für E-Sättel genauso wie für alle anderen Fahrrad-sättel: Am wichtigsten ist ein angenehmes Sitzgefühl, auch auf langen Touren. Und das ist individuell sehr unterschiedlich. Hier hilft nur: ausprobieren!
Neigung: Gerade an normalen Sätteln ohne erhöhtes Heck kann es sinnvoll sein, den Sattel etwas nach vorne zu neigen. Das ist an steilen Anstiegen angenehmer und verhindert ein Abrutschen nach hinten. Nach hinten geneigte Sättel sind kontraproduktiv. Auch bei spezifischen E-MTB-Sätteln lohnt sich das Tüfteln an der optimalen Neigung.
Lage: Weit ausgezogene Sattelstützen und softe Fahrwerke können an steilen Anstiegen den Hinterbau in die Knie zwingen. Der Dämpfer sackt ein, das Vorderrad steigt früher. Wer den Sattel nach vorne schiebt, wirkt diesem Effekt entgegen und kann die Steigfähigkeit seines E-MTBs verbessern. Achtung: Das Bike fühlt sich dadurch im Sitzen kürzer an.
Höhe: Wer viel in technischem Gelände bergauf fährt, kann mit der richtigen Sattelhöhe am E-MTB noch etwas herausholen. EMTB-Fahrtechnikexperte Stefan Schlie rät: "Stellen Sie den Sattel am E-MTB ruhig etwas tiefer ein als am normalen Bike. Etwa einen Zentimeter. Das bringt in kniffeligen Passagen mehr Bewegungsfreiheit."
Preis 69,95 Euro / www.canyon.com
Gewicht 272 Gramm (Herren)
Größen Damen, Herren
EMTB-BEWERTUNG
Abstützung 6 von 6 Punkten
Sattelnase 5 von 6 Punkten
Komfort 4 von 6 Punkten
FAZIT: Canyon hat den SD:On zur Einführung seines ersten E-MTBs Spectral:On mitentwickelt – und damit ins Schwarze getroffen. Beim Aufsitzen wird sofort klar, dass man auf einem speziellen Sattel sitzt, das fordert einen Moment Gewöhnung. Man nimmt fast wie in einer Sitzschale Platz, und die Sitzposition ist klar definiert. Die Abstützung nach hinten ist dadurch super, da kann kein anderer Sattel mithalten. Die Sattelnase könnte etwas bequemer ausfallen, insgesamt kamen die meisten Tester mit dem Sitzkomfort sehr gut klar. Den Sattel gibt’s nur in einer Breite als Herren- oder Damenmodell. Fairer Preis, dazu leicht.
Preis 89,95 Euro / www.ergon-bike.com
Gewicht 305 Gramm (S/M)
Größen S/M: 9–12 cm, M/L: 12–16 cm
EMTB-BEWERTUNG
Abstützung 4 von 6 Punkten
Sattelnase 4 von 6 Punkten
Komfort 5 von 6 Punkten
FAZIT: Wer auf dem SM E-Mountain Platz nimmt, wird mit Sofa-Feeling verwöhnt, denn der Sattel ist sehr weich. Das ist für einen sportlichen MTB-Sattel etwas ungewöhnlich und definitiv Geschmackssache. Den meisten Testern fiel der Komfort aber positiv auf. Das Heck wölbt sich stark nach oben und unterstützt dadurch ordentlich, allerdings fällt auch die Wölbung weich aus. Kommt viel Druck nach hinten, kann man dadurch über das Heck hinwegrutschen. Die Sattelnase fällt eher schmal aus. Der Sattel ist für eine Befestigung von Topeak-Satteltaschen vorbereitet.
Preis 149,95 Euro / www.sq.lab.com
Gewicht 274 Gramm (13 cm)
Größen 13, 14, 15, 16 cm
EMTB-BEWERTUNG
Abstützung 4 von 6 Punkten
Sattelnase 6 von 6 Punkten
Komfort 5 von 6 Punkten
FAZIT: Einige unserer Testfahrer schwören auf die ausgeklügelte Ergonomie der SQLab-Sättel, das ist allerdings eine individuelle Sache. Der 60X fällt relativ breit und hart aus, dennoch ist er komfortabel. Die Abstützung nach hinten ist im Vergleich zum Canyon deutlich weniger ausgeprägt, aber trotzdem sehr hilfreich und effektiv. Ob die Anti-Rutsch-Aufsätze einen großen Teil dazu beitragen, konnten unsere Popometer nicht erspüren. Super: Die breite Sattelnase ist sehr bequem, wenn in steilsten Anstiegen weit nach vorne gerutscht wird. Auf langen Ausfahrten ist sie allerdings nicht jedermanns Sache. Die Kevlar-Verstärkungen und die einstellbare Seitenflexibilität zeigen die Liebe zum Detail – die allerdings auch einen stolzen Preis hat.