Stefan Frey
· 15.06.2024
Dieser Artikel erschien erstmals im Juli 2020 und wurde im Juni 2024 überarbeitet.
Um den Fahrradsattel ranken sich die Mythen wie um griechische Gottheiten: Ein weicher Sattel fährt sich komfortabler. Das Loch in der Mitte entlastet den Dammbereich. Oder: Frauen sitzen bequemer auf einem speziellen Damensattel. Legenden, die inzwischen allesamt widerlegt sind oder zumindest nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Fakt ist: Je länger ein Fahrer im Sattel sitzt, desto härter darf der Sattel gepolstert sein. Schon nach 30 Minuten sinkt der Körper so tief in ein zu weiches Polster, dass sich der Druck auf die empfindlichen Weichteile und tiefer liegende Muskelschichten unangenehm erhöhen kann. Ein Loch in der Satteldecke kann die sensiblen Nervenbahnen entlasten, klar. Unsere Druckmessungen und eine Studie der Deutschen Sporthochschule Köln zeigen aber, dass an den Rändern der Aussparungen dafür hohe Lastspitzen auftreten können. Im Gelände kann das zu schmerzhaften Tritten in den Genitalbereich führen. Die Wahrheit ist: Der passende Fahrradsattel ist so individuell wie der persönliche Fingerabdruck. Je sportlicher Sie auf dem Mountainbike sitzen, desto schmaler darf übrigens der Sattel sein.
Bei gestreckter Sitzposition verlagert sich der Druck zunehmend auf die schmaler zulaufenden Schambeinäste. Ist der Sattel dagegen zu breit, rutscht der Fahrer automatisch nach vorne und muss sich aktiv wieder zurück auf die Sitzfläche schieben. Doch auch wenn die Sattelbreite zum Körperbau passt, sind Druckschmerzen und Taubheitsgefühle nicht auszuschließen. Auf einer stark gewölbten Satteldecke liegen die Sitzhöcker eventuell tiefer als der Dammbereich, und die Nerven werden irritiert. Eine Vertiefung in der Mitte des Sattels entlastet die Nervenbahnen und lässt das Blut besser zirkulieren. Unsere Testbriefe zeigen zwar die nutzbare Breite, die Härte der Polsterung und wie gut der Dammbereich beim jeweiligen Modell entlastet wird. Den perfekten Sattel finden Biker aber nach wie vor nur durch eine ausgiebige Probefahrt. Auf einen Test spezieller Damenmodelle haben wir übrigens bewusst verzichtet. Solange der Sattel zur Anatomie und der individuellen Sitzposition der Fahrerin passt, kommen Frauen auch bestens mit Unisex-Sätteln zurecht.
Druckverteilung Der SM Men bringt viel Druck auf die Sitzhöcker und entlastet spürbar den sensiblen Dammbereich. Auch im Anstieg hält sich der Druck im Rahmen.
Fazit: Der Ergon trifft bei der Polsterung die goldene Mitte und ist so auch auf langen Ausfahrten komfortabel. Die breite und flache Sitzfläche bietet Platz für Positionswechsel, das leicht ansteigende Heck stützt im Uphill. Die leicht geriffelte Oberfläche gibt dem Fahrer Halt im Sattel, dank großem Verstellbereich lässt sich der Ergon sehr gut auf die individuelle Position einstellen. Eine gute Wahl für Touren-Biker.
Druckverteilung Durch die halbrunde Sitzfläche liegt der Druck eher auf den Schambeinästen und passt Fahrern, die empfindlich auf Druck an den Sitzhöckern reagieren.
Fazit: Die straffe Polsterung des Scoop verlangt nach einem gut eingefahrenen Gesäß. Die leicht geschwungene Form unterstützt Positionswechsel und lässt verschiedene Sitzpositionen zu. Einen Entlastungskanal gibt es nicht, so lastet bereits in der aufrechten Haltung etwas Druck im Dammbereich, der sich im Anstieg spürbar erhöht. Je nach Sitzposition, aufrecht oder sportlich, stehen drei Sattelformen zur Wahl.
Druckverteilung Dank flacher Sitzfläche und harter Polsterung lastet viel Druck auf den Sitzknochen. Im Anstieg erhöht sich jedoch der Druck auf den Dammbereich spürbar.
Fazit: Der Gravita Alpaca ist ein kurzer, schmaler Sattel, der mit seiner flachen Form und dem abgerundeten Design viel Bewegung auf dem Bike zulässt. Die breite Sattelnase bietet eine gute Auflage bei steilen Anstiegen. Die harte Polsterung und wenig nutzbare Breite legen den Fokus eher auf Enduro-Einsätze als auf die Abfahrt. Beim Gravita kommt man leicht hinter den Sattel.
Druckverteilung Gute Verteilung um die Sitzknochen herum, ohne allzu hohe Druckspitzen, in aufrechter Haltung wird der Damm noch ausreichend entlastet.
Fazit: Komfortabel gepolsterter Sattel für Touren-Biker mit eher aufrechter Sitzposition. Auf langen Ausfahrten kann sich die Polsterung etwas durchsitzen. Der Venec+ fällt sehr kurz und eher breit aus. Muskulöse Oberschenkel streifen beim Treten schnell an der breiten Sattelnase. Das leicht ansteigende Heck stützt den Fahrer im Anstieg. Die kurze Nase erleichtert das Auf- und Absteigen vom Bike.
Druckverteilung Die dicke Polsterung verteilt den Druck großflächig um die Sitzhöcker herum und verhindert Druckspitzen. Besonders angenehm für Gelegenheitsfahrer.
Fazit: Der extrem preiswerte Procraft kommt breit und voluminös daher, baut auf der Sattelstütze recht hoch. Die breite, weich gepolsterte Sitzfläche eignet sich gut für eine aufrechte Haltung und für Fahrer, die eher wenig Zeit im Sattel verbringen. Nach längerer Fahrzeit und im steilen Gelände nimmt der Druck an den Rändern des Dammbereichs zu. Komfortabler Touren-Sattel für kurze Ausritte. Geringer Verstellbereich.
Druckverteilung Durch die Aussparung lastet wenig Druck im Dammbereich, rutscht man im Anstieg weiter nach vorne, kann es an den Rändern zu Druckspitzen kommen.
Fazit: Wer auf dem Trail richtig Gas geben will, ist mit dem Turnix gut bedient. Durch die etwas geschwungene Form finden bewegliche Fahrer guten Halt im Sattel. Die straffe Polsterung sitzt sich auch auf langen Strecken komfortabel. Die lange, schmale Sattelnase und die seitlich etwas abfallende Sitzfläche verhindern Reibung an den Oberschenkeln. Der Turnix ist sauber verarbeitet, aber recht schwer.
Druckverteilung Beim SLR wandert der Druck stärker Richtung Schambein, das entlastet die Sitzhöcker etwas. Am Rand der extra großen Aussparung deutlich erhöhter Druck.
Fazit: Durch seinen kurzen, schmalen Schnitt lässt der SLR viel Bewegung auf dem Trail zu. Neben der straffen Polsterung bringen die flexible Sattelschale und ein Dämpfer am Gestell etwas Komfort. An den Kanten der riesigen Aussparung ist der Druck deutlich spürbar. Nach hinten gibt der flache SLR kaum Halt. Die Flanken sind gegen Stöße verstärkt. Teures Modell für sportliche, flexible Fahrer mit wenig Positionsänderung.
Druckverteilung Die geschwungene Form verschiebt den Druck eher Richtung Schambein. Gut für unempfindliche Fahrer, die etwas Entlastung für die Sitzknochen suchen.
Fazit: Mit seiner leicht geschwungenen Form hält der GND den Fahrer stabil in Position und gibt im Anstieg guten Halt. Trotz gelgepolstertem Entlastungssteg und softer, breiter Nase lastet spürbar Druck im Dammbereich. Eher geeignet für Fahrer mit sportlicher Haltung, aber kurzer Touren-Dauer. Der Verstellbereich fällt mit 50 mm sehr klein aus. Den GND gibt es auch als Lochsattel oder mit Carbon-Gestell.
Druckverteilung Das Stufenkonzept entlastet selbst im Anstieg fast vollständig den Dammbereich und lenkt das Fahrergewicht komplett auf die Sitzbeinhöcker.
Fazit: Die doppelte Stufe des 60X entlastet nahezu komplett den Dammbereich und gibt dem Fahrer enorm viel Halt im Anstieg. Für zusätzlichen Grip sorgt die Gummierung der Satteldecke. Die bewegliche Sattelschale folgt der Tretbewegung und entlastet so den Rücken. Haben sich die Sitzbeinhöcker an die straffe Polsterung gewöhnt, ist der 60X die perfekte Wahl für Biker mit Druckbeschwerden im Damm.
Druckverteilung Die ebene Sitzfläche nimmt sehr viel Druck auf und entlastet die Weichteile spürbar. Erst im steileren Gelände wird etwas Druck am Dammbereich spürbar
Fazit: Sportlich-straffer und leichter Sattel für Vielfahrer und lange Touren. Die kurze, breite Nase lässt viel Bewegung im Gelände zu und bietet eine gute Auflagefläche im Anstieg. Für bewegliche Fahrer mit sportlicher Sitzposition ist der V 1.0 eine gute Wahl. Für eine aufrechtere Haltung ist der R 1.0 die bessere Alternative. Beiden fehlt etwas Halt am Heck. Überzeugendes Konzept mit gutem Preis-Leistungsverhältnis.
Druckverteilung Durch die fehlende Aussparung und die leicht geschwungene Form liegt schon im Flachen spürbar Druck im Dammbereich an. Eher für unempfindliche Fahrer
Fazit: Edler und aufwändig gefertigter Race-Sattel. Das Carbon-Gestell wird direkt in die Sattelschale laminiert. Die spartanisch aufgeklebte Polsterung drückt das Gewicht auf knapp 140 Gramm, verlangt aber nach abgehärteten Sitzknochen. Die leicht ansteigende Form stützt im Anstieg. Das flache und breite Profil passt auch Fahrern mit breiterem Sitzknochenabstand. Die Kante an der Sattelnase kann in Sprint-Position drücken.
Druckverteilung Der Tundra verteilt den Druck über eine große Fläche, vermeidet Druckspitzen und entlastet eher die Sitzknochen. Deutlich erhöhter Druck an den Rändern der Vertiefung.
Fazit: Der Race-Klassiker aus dem Fizik-Sortiment gehört zu den schmalen Sätteln am Markt und bietet weniger sensiblen Fahrern auch auf langen Strecken Komfort. Der Tundra VS entlastet trotz flachem Kanal den Dammbereich kaum, kann dafür für Fahrer mit empfindlichen Sitzknochen eine gute Lösung sein. Die lange, schmale Nase gibt viel Kontrolle und bietet ausreichend Platz für kräftige Oberschenkel.
Druckverteilung Bei empfindlichen Sitzhöckern kann der Merida eine gute Wahl sein. Der Druck lastet eher auf den Schambeinästen und im Dammbereich.
Fazit: Der günstige Merida ist ein Race-Sattel mit klassischer Form – lange, schmale Sattelnase für gute Führung und Beinfreiheit und halbrunder Sitzbereich, der die Last eher auf die Schambeinäste verteilt. Die Polsterung fällt nicht zu straff aus, die flexible Sattelschale dämpft kleinere Stöße. Die flache Aussparung entlastet kaum den Intimbereich, sodass dort schon im flachen Gelände recht viel Druck auftritt.
Druckverteilung Der großflächige Sitzbereich verteilt den Druck auf Sitzknochen und Schambeinäste. An den Rändern des Entlastungskanals entsteht aber deutlicher Druck.
Fazit: Die kurze, breite Nase des Stealth bietet auch in aggressiver Sitzposition noch ausreichend Auflagefläche. Dabei sorgt die großzügige Aussparung für gute Entlastung. Auf der breiten, ebenen Sitzfläche finden auch Fahrer mit größerem Sitzknochenabstand Platz. Die nach hinten ansteigende Sitzfläche hält den Fahrer auch bei harten Antritten in Position. Recht komfortabel für einen Race-Sattel.
Druckverteilung Beim X-LR lastet viel Druck auf den Schambeinästen, trotz der großen Aussparung auch im Dammbereich. Gut für Fahrer mit empfindlichen Sitzknochen.
Fazit: Durch die stark gewölbte Sitzfläche fällt der X-LR effektiv sehr schmal aus und ist auf eine sehr sportliche Fahrposition ausgelegt. Die flexible Satteldecke ist straff gepolstert, erleichtert aber die Beweglichkeit auf dem Bike und bietet den Oberschenkeln viel Platz beim Pedalieren. Trotz wasserabweisender, rutschfester Oberfläche gibt das flache Heck nur wenig Halt. Extrem leicht, minimaler Verstellbereich.
Druckverteilung Die große Aussparung entlastet den Dammbereich gut und lenkt den Druck auf die knöchernen Bereiche. Die Kanten der Aussparung bleiben spürbar.
Fazit: Hochwertig verarbeiteter und leichter Race-Sattel. Die geschwungene Form platziert den Fahrer wie in einer leichten Mulde und gibt ihm sehr guten Halt, auch nach hinten. Im Anstieg ist trotz großer Aussparung etwas Druck im Dammbereich spürbar. Die schlanke Form, mit leicht nach außen abfallender Sitzfläche lässt dem Fahrer viel Bewegungsspielraum. Straff, aber nicht unkomfortabel gepolstert.
Druckverteilung Die geschwungene Sitzfläche verteilt den Druck großflächig und verhindert Druckspitzen. Der Dammbereich wird sehr gut entlastet.
Fazit: Auch wenn die Optik gewöhnungsbedürftig und das Gewicht für einen Race-Sattel recht hoch ist, ist der Drakon eine sehr gute Wahl für Fahrer mit Beschwerden im Dammbereich. Durch die geschwungene Form sitzt man fest wie in einem Reitsattel, mit hervorragendem Halt aufgrund des erhöhten Hecks. Der Verstellbereich ist riesig, so lässt sich der Drakon individuell einstellen. Optional mit Carbon-Gestell erhältlich.
Druckverteilung Trotz hartem Polster wird der Druck gut um die Sitzknochen herum verteilt, ohne hohe Druckspitzen. Der Dammbereich wird dabei sauber entlastet.
Fazit: Ungewöhnlich kurzer, aber trotz harter Polsterung sehr komfortabler Sattel. Die Sitzknochen finden auf der breiten, nur leicht abfallenden Sitzfläche sehr gut Platz. Für zusätzlichen Komfort sorgt die flexible Sattelschale. Im harten Antritt stützt das leicht ansteigende Heck den Fahrer. In steilen Anstiegen bietet die kurze Nase aber nur wenig Spielraum. Bequemer, aber teurer Racer für lange Strecken.
Druckverteilung Durch die Stufe und eine große Mulde wird der Dammbereich optimal entlastet. Auch im Anstieg ist kein erhöhter Druck im Genitalbereich spürbar.
Fazit: Mit dem 612 R haben die Ergo-Spezialisten einen reinrassigen und extrem leichten Race-Sattel im Programm. Die kurze und stark taillierte Form schafft sehr viel Bewegungsfreiheit, die erhöhte Stufe am Heck gibt maximalen Halt beim Antritt. Für Racer mit Taubheitsgefühlen kann der 612er die Lösung sein. Etwas gewöhnungsbedürftig bleiben der beschränkte Bereich für die Sitzknochen und die straffe Polsterung.
Druckverteilung Beim Belcarra lastet der Druck fast ausschließlich auf den Sitzknochen, der Dammbereich wird sauber entlastet. An den Druck am Knochen muss man sich gewöhnen.
Fazit: Der Belcarra ist sportlich-komfortabel gepolstert und richtet sich an Fahrer , die etwas weniger Sattelüberhöhung mögen. Die Sitzhöcker ruhen gut auf der ebenen Sitzfläche, nach vorne hin wird der Damm sauber entlastet. Die Oberschenkel haben ausreichend Platz, um beim Treten nicht unangenehm am Sattel zu streifen. Die Version mit Loch richtet sich an Fahrer mit sportlicherer Sitzposition. Gut und preiswert.