Christian Artmann
· 12.09.2015
Lange hatten Schlauchlos-Systeme einen schlechten Ruf. Zu inkontinent, zu kompliziert. Die Zeiten haben sich geändert. Doch erst mit der richtigen Milch fahren Biker wirklich pannensicher.
"Ich fahre nie schlauchlos. Zu viel Aufwand. Und dann die Sauerei mit der Latex-Pampe", so die Worte meines
Biker-Freundes vor einem Kurzurlaub im Bayerischen Wald. Zwei Tage, etliche Platten und einen aufgebrauchten Vorrat an Ersatzschläuchen später, musste er es dann doch probieren. Bis zum Ende des Urlaubs war er überzeugter Schlauchlos-Fahrer. So oder ähnlich ergeht es vielen, die ihre Berührungsängste mit Schlauchlos-Systemen überwinden und die Vorteile am eigenen Bike erfahren. Was die Pannenstatistik angeht, liegen die Vorteile auf der Hand. Die lästigen Durchstiche (etwa durch Dornen) werden meist sofort und vom Fahrer unbemerkt abgedichtet. Durchschläge treten wegen des fehlenden Schlauchs viel seltener auf. Zudem kann man getrost auch niedrige Drücke fahren. Zugunsten des Komforts und der Traktion. In den Rollwiderstandsmessungen belegen Tubeless-ready-Systeme zusammen mit Latex-Schläuchen die Spitzenposition. Mittlerweile sind fast alle Neuentwicklungen bei Reifen und Felgen tubeless oder tubeless-ready.
Die Erfolgs-Story hat, wie so oft, auch hier eine Schwachstelle: die noch nicht einheitlich genormte Passung von Reifen und Felge – in der Automobilindustrie schon lange eine Selbstverständlichkeit. Doch dank der intensiven Zusammenarbeit von Reifen- und Felgenherstellern in den letzten Jahren sind gut funktionierende Kombinationen heute keine Ausnahme mehr, sondern schon eher die Regel. Die Vorzeichen sind also durchaus viel versprechend, auch wenn es selbst 2014 noch Ausnahmekombinationen gibt, die einem durch Montageprobleme oder ein erschwertes Aufpumpen die Freude rauben können. Im nachfolgenden Workshop, dem Auftakt unserer Schlauchlosreihe, zeigen wir, wie sich die meisten Laufräder auf schlauchlos umrüsten lassen und stellen eine Auswahl der aktuellen Dichtmilch-Produkte verschiedener Hersteller vor.
• Geringere Pannenanfälligkeit
• Durchstiche werden oft sofort und unbemerkt abgedichtet
• Kaum mehr Durchschläge
• Geringerer Rollwiderstand
• Gewichtsvorteil
• Geringer Luftdruck fahrbar, mehr Komfort und Traktion
• Vor allem bei ungünstigen Reifen/Felgen-Kombinationen noch aufwändige Montage
• Milch muss regelmäßig nachgefüllt werden
• Hoher Preis im Vergleich zum Schlauch
Nach ihren Schlauchlos-Eigenschaften unterscheidet man drei Typen von Felgen: Nicht für den Schlauchlosbetrieb ausgelegte Felgen erkennt man an ihrem gleichmäßig runden Felgenbett bis hin zur Felgenwand. Sie sind nur mit Tricks sicher umzurüsten (siehe unten).
Tubeless-ready-Felgen werden erst mit Hilfe eines Dicht-Tapes luftdicht. Sie haben aber bereits ein spezielles Querprofil, das für tubeless optimiert ist.
"Echte" Tubeless-Felgen haben keine Speichenbohrungen und sind damit von Haus aus luftdicht. Durch die besonderen Herausforderungen bei der Herstellung sind sie aber meist schwerer und teurer. Wie genau das Querprofil der Tubeless-ready und der Tubeless-Felgen aussieht, bestimmt jeder Hersteller selbst.
Bei der Auswahl eines Abdicht-Tapes ist es wichtig, dass es breit genug ist, um auch die Felgenschulter abzudecken. Auch bei den Tubeless-Ventilen hat man die Qual der Wahl. Fast alle sind Presta-Ventile. Kleiner Helfer: Dieses kleine Werkzeug hilft einem, den Ventilkern bei Bedarf zu entfernen und wieder sicher zu verschrauben.
Grundsätzlich kann man fast jede Felge auf Schlauchlos umrüsten – allerdings geht man bei Felgen, die nicht für tubeless konstruiert sind, zum Teil ein erhebliches Sicherheitsrisiko ein. Diese Felgen haben keine erhöhten, abgeflachten Schultern und keine speziellen Felgenflanken, in denen die Reifenwulst einrasten kann. Damit besteht bei niedrigen Drücken, starken Schräglagen oder harten Landungen die Gefahr, dass schlagartig Luft entweicht.
Aus diesem Grund bieten diverse Hersteller (Notubes, Zero Flats, Bontrager, Dt-Swiss und weitere) profilierte Dichtbänder an, oft aus elastischem Gummi oder aber auch aus härteren Kunststoffen. Sie sollen die Felge nicht nur abdichten, sondern vor allem dabei helfen, den Reifen sicherer auf der Felge zu fixieren. Tipp: Die Praxis zeigt, dass es auch hier sinnvoll ist, die Felgen noch zusätzlich mit einem Tape (wie oben) luftdicht zu präparieren.
TIPP: Auch nach erfolgreicher Umrüstung unbedingt eine kurze Probefahrt unternehmen, ehe man mit dem Bike so richtig ins Gelände geht.
Dicht- und Pannenschutzmittel sorgen dafür, dass Tubeless-ready-Reifen luftdicht werden. Sie reparieren aber auch kleinere Defekte wie Durchstiche und Löcher von wenigen Millimetern Größe selbstständig. Zur genauen Wirkungsweise der einzelnen Mischungen halten sich die Hersteller bedeckt. Was wegen seines milchigen Aussehens oft lapidar als "Latex-Milch" bezeichnet wird, ist aber ein echtes Hightech-Produkt.
Wie lange hält die Dichtmilch im Reifen?
Das hängt stark von der Porosität der Reifen und den Nutzungsbedingungen ab und kann zwischen zwei und zehn Monaten variieren. Ist die Flüssigkeit ausgetrocknet, erlischt jede Dichtfunktion. Daher regelmäßig durch Schütteln überprüfen, ob die Milch im Reifen noch flüssig ist.
Was tun, wenn die Standpumpe nicht ausreicht?
Bei guten Felgen/Reifenkombinationen sollte eine Standpumpe reichen. Wenn nicht, hilft ein Druckluftstoß aus dem Kompressor oder einer CO²-Kartusche (wenn freigegeben). Aber: immer mit dem Ventil nach oben anwenden. Einige Dichtlösungen reagieren auf den Temperaturschock der Druckluft.
Tipp 1
Fast alle Lösungen enthalten Feststoffe oder Partikel, die zum Teil die Löcher physikalisch abdichten oder als Katalysatoren für eine Dichtreaktion agieren. Da diese sich am Boden absetzen, muss man die Lösung vorher gründlich schütteln, um eine homogene Mischung zu erhalten. Nur so ist die volle Funktion der Pannenmilch wirklich gewährleistet.
Tipp 2
In den Dichtlösungen laufen chemisch/physikalische Reaktionen ab, die durch Kontakt mit Luft und Licht sowie Wärme beschleunigt werden. Ohne eine kühle, dunkle Lagerung in einem fest verschlossenen Behälter altert das Dichtmittel sehr schnell und wird damit unbrauchbar.
Was, wenn doch ein Platten passiert?
Zuerst gilt es, die Milch an die beschädigte Stelle zu bringen. Dazu das Laufrad so halten, dass die Milch sich dort sammeln kann. Das reicht oft schon. Zusätzlich gibt es spezielle Produkte, wie das GEAX Pit Stop Magnum (10,90 Euro), die gleichzeitig abdichten und den Reifen aufpumpen.
Wenn das nicht reicht?
Dann ist es oft am einfachsten, einen Reserveschlauch einzuziehen. Vorher aber unbedingt alle Dornen im Reifen entfernen, sonst ist der nächste Platten vorprogrammiert. Neuerdings gibt es auch spezielle Reparatur-Sets. Eine smarte Lösung bei kleinen Löchern ist das Genuine Innovations Repair Kit. Größere Löcher oder Schnitte müssen von innen repariert werden, zum Beispiel mit dem Tubeless Rep’Air Kit (9 Euro).
Kann die Dichtmilch einfrieren?
Durch die Beigabe von Glycol (typisches Frostschuztmittel beim Auto), sind die Emulsionen fast alle bis Minus 15 Grad freigegeben. Allerdings erfolgt die Abdichtreaktion bei niedrigen Temperaturen träger.
Kann die Flüssigkeit meine Reifen oder die Felgen angreifen?
Die Dichtmittel der ersten Generation haben über das enthaltene Ammoniak zum Teil noch die Reifen oder blanken Felgen angegriffen. Bei den aktuellen Lösungen besteht diese Gefahr kaum noch.