Stefan Frey
· 21.09.2024
Erst der Umwerfer, dann der Schaltzug, jetzt das Schaltauge. Der US-amerikanische Komponentenriese Sram schickt mit seinen Antrieben ein Bauteil nach dem anderen in den Ruhestand. Zusammen mit der einstigen Sollbruchstelle zwischen Rahmen und Schaltwerk gehen mit der neuen Sram GX Transmission auch gleich die Einstellschrauben in Rente.
Sram ändert damit nicht nur die Art und Weise, wie das Schaltwerk am Rahmen angebracht wird, sondern revolutioniert gleich den gesamten Einstellvorgang. Handy-App statt Inbusschlüssel, lautet hier die Devise. Gleichzeitig verspricht Sram eine nie da gewesene Schalt-Performance – vor allem beim Gangwechsel unter Volllast. Wir wollten wissen: Lohnt sich der Umstieg von Mechanik auf Elektronik, und wenn ja, muss es gleich die teure Transmission sein, oder wechselt die etwas ältere AXS-Technologie die Gänge genauso geschmeidig?
Am Beispiel der “Volksgruppe” Sram GX sind wir dieser Frage auf den Grund gegangen. Sie bietet den preiswertesten Einstieg in Srams Elektro-Universum, verfügt aber gleichzeitig über alle wichtigen Technologien, die auch die teuren Antriebe auszeichnen.
Wo Licht ist, ist auch Schatten: Denn mit den Transmission-Antrieben hat Sram auch einen neuen Standard – genannt T‑Type – eingeführt. Was heißt, dass die neuen Komponenten nicht rückwärtskompatibel sind und somit ein Upgrade erschwert, zumindest aber teuer ist. Doch dazu später noch mehr.
Bowdenzug hin, Funksignal her: Das Schaltauge war bisher einer der Hauptverantwortlichen für ratternde Zwölffach-Antriebe. Die geringen Ritzelabstände, sowohl bei der mechanischen als auch der elektronischen Eagle AXS, erforderten eine penible Ausrichtung des Schaltwerks unterhalb der Kassette.
Nicht wenige dürfte der Versuch, eine Eagle-Schaltung mit schief stehendem Schaltauge korrekt zu justieren, schier in den Wahnsinn getrieben haben. Mit der Einführung des UDH-Standards und dem Verzicht auf das Schaltauge nutzt Sram nun die Radachse als Grundkonstante und schafft so eine festgelegte Position für das Schaltwerk.
Die Einstellschrauben für die Endanschläge fallen weg, die Schablone für den Abstand der Leitrolle zum Ritzel – überflüssig. Das reduziert die Montage auf wenige, leicht nachvollziehbare Schritte. Über die Länge der Kettenstreben und die Größe des Kettenblatts kalkuliert man die Kettenlänge. Das rot markierte Setup-Ritzel dient dem Schaltwerk als Bezugspunkt, den Rest regelt die Software. Solange man sich an die richtige Reihenfolge hält, sind Fehler nahezu ausgeschlossen. Nur das Feintuning über die Zugspannung war in der analogen Welt schneller erledigt. Sollte die Transmission wider Erwarten doch mal rasseln, muss man die Gänge über den Pod Controller feintunen.
Bisher fungierte das Schaltauge quasi als Bodyguard für das Schaltwerk. Bei einem harten Treffer – von einem Stein oder Ast – sollte es brechen, bevor das Schaltwerk Schaden nimmt. Mit der neuen Sram GX Transmission hat das Schaltwerk selbst einen Schutzpanzer angelegt: Es ist wesentlich massiver konstruiert, was sich auch im höheren Gewicht widerspiegelt – ganze 193 Gramm mehr hat das Transmission-Schaltwerk im Vergleich zum Eagle-Pendant auf den Rippen. Der eigentliche Clou aber ist die integrierte Ausweichfunktion, über die auch schon die AXS verfügt. Die kann man eindrucksvoll selbst ausprobieren: Tritt man mit dem Fuß gegen das Schaltwerk, weicht es wie ein Boxer einem Haken in Richtung Speichen aus – und kehrt anschließend wieder in seine Ausgangsposition zurück.
In Verbindung mit der verstärkten Aufhängung verleiht das der Transmission eine enorme Stabilität. Sollte dennoch mal ein Teil kaputtgehen, lässt sich die Sram GX Transmission als erste Schaltung überhaupt kleinteilig reparieren: Musste man bisher bei einem Defekt das komplette Schaltwerk ersetzen, sind hier vom Schaltkäfig über das Parallelogramm bis hin zur Aufhängung die meisten Bauteile als Ersatzteil verfügbar – bei einem Straßenpreis von etwa 350 Euro für das Schaltwerk eine sinnvolle Entwicklung. Manko: Hat die Elektronik Schaden genommen, ist das nach wie vor der Todesstoß fürs Schaltwerk.
Eines der auffälligsten Merkmale der Transmission-Antriebe ist die neue Flattop-Kette. In Verbindung mit der ebenfalls neu konstruierten Kassette soll sie bisher nicht gekannten Schaltkomfort liefern. Wie schon die Kettenblätter verfügen ihre Zähne über das X-Sync Design, mit abwechselnd schmalen und brieten Zähnen. Beide Komponenten sind jedoch auch hauptverantwortlich dafür, dass Transmission und AXS nicht mehr matchen. Beim Schalten in der Ebene spürt man von der Revolution erst mal wenig. Die Transmission gleitet sanft und leise über die Ritzel, doch das konnten die bisherigen Zwölffach-Antriebe auch schon – vorausgesetzt, sie waren optimal eingestellt. Das Aha kommt erst, wenn man mitten im Sprint die Gänge wechselt. Selbst unter Volllast bergauf hievt die Transmission die Kette geschmeidig auf die Ritzel, und zwar egal ob hoch oder runter – gerade auch an starken E-Antrieben ein Gewinn. Wo die Schaltungen früher knallten wie Silvesterböller, wird die Sram GX Transmission nur von einem leisen Knacken begleitet.
Was Hersteller und Händler gerade ordentlich zum Schwitzen bringt, birgt eine Chance für alle Upgradewilligen: Die vollen Lager haben die Preise in den Keller getrieben. Laut unserer Recherche gibt es die Sram GX Transmission gerade mal ein Jahr nach ihrer Einführung im Schnitt für satte 40 Prozent unter dem UVP. Selbst die “alte” Sram GX AXS wandert kaum billiger in den Einkaufswagen. Wer also über eine Komplettsanierung seines Bikes nachdenkt und die Voraussetzungen erfüllt, sollte zur Transmission greifen. Haben Komponenten, wie Kassette und Kette, ihr Haltbarkeitsdatum noch nicht überschritten und will man sich nur der unschönen Schaltzüge entledigen, kann man bereits ab 425 Euro ins Elektro-Universum eintauchen. Dann nämlich reicht ein Upgrade-Kit der GX AXS aus Schaltwerk und Controller, weil Kette, Kassette und Kurbel hier identisch sind.
Wer für wenig Geld Elektro-Luft schnuppern möchte, erhält mit der GX AXS ein sehr preiswertes Upgrade – das übrigens auch mit den höherwertigen Sram-Antrieben kompatibel ist. Wenn allerdings sowieso ein Austausch von Kette und Kassette nötig ist, empfiehlt sich der Wechsel zur GX Transmission – sofern das Bike dafür ausgelegt ist. Zum annähernd gleichen Preis bekommt man hier die bessere Elektro-Schaltung. - Stefan Frey, BIKE-Redakteur
Mit der neuen Transmission bietet Sram gleich drei Optionen im Zwölffach-Bereich. Was zwei Fragen aufwirft: Lohnt sich der Umstieg von der klassischen GX auf Funk? Und wenn schon elektrisch, warum nicht gleich die brandneue Transmission?
Im Schnitt kostet die mechanische GX gerade mal halb so viel wie eine Sram GX AXS – ein enormer Preisunterschied in Anbetracht dessen, dass bereits die analoge GX hervorragend schaltet. In der Ebene sind hier kaum Unterschiede festzustellen. Auch per Schaltzug sitzen die Gänge knackig und präzise. Der GX-Trigger lässt sich intuitiv bedienen. Drückt man den großen Hebel komplett durch, hievt das Schaltwerk die Kette ganze fünf Etagen nach oben. Die Anzahl der zu schaltenden Gänge lässt sich dank des Widerstands am Hebel fein dosieren. Man spürt förmlich, wie die Kette über die Ritzel wandert. Der AXS Controller dagegen gibt keinerlei Rückmeldung, und auch beim etwas definierteren Pod Controller der Transmission muss man sich darauf verlassen, dass der Stellmotor am Schaltwerk seinen Job erledigt. Im Werksmodus muss man jeden Gang einzeln schalten. Der stufenlose Modus lässt sich aber einfach per App aktivieren und passt besser. Bei der mechanischen GX geht es runter zwar nur Klick für Klick, doch mit einem flinken Daumen lassen sich im Großen und Ganzen Gänge kaum schneller wechseln als mit einer klassischen Schaltung – auch wenn es dabei unter Last mal etwas lauter werden kann.
Obwohl sich das neue Transmission-Schaltwerk umfangreich reparieren lässt, ist das mechanische Pendant mit einem Preis von gut 100 Euro noch immer unschlagbar günstig und lässt sich im Fall eines Defekts auch ohne Bauchschmerzen ersetzen. Beim Gewicht herrscht nahezu Gleichstand, lediglich die GX Transmission wiegt mit 2000 Gramm etwas mehr. Wer sich an den Kabeln nicht stört und die etwas aufwendigere Montage nicht scheut, bekommt mit der mechanischen GX noch immer einen verlässlichen Partner.
Es gibt einen Aspekt der Sram GX Transmission, der selbst nach zahlreichen Touren noch überrascht: das nahezu geräuschlose Schalten unter Volllast – selbst beim Wechsel in schwerere Gänge kann man mit voller Kraft ins Pedal treten. Die Transmission erledigt den Job anstandslos, lässt sich dabei aber oft etwas Zeit. Durch die leichte Verzögerung sollen die Schalthilfen besser getroffen, die Schaltvorgänge optimiert und Beschädigungen verhindert werden. Generell ist der neue Antrieb noch mal deutlich leiser als die GX AXS. Selbst über Wurzelteppiche unterbindet die stärkere Kupplung ein Kettenschlagen sehr effektiv.
Auch die neuen Pod Controller überzeugen. Durch die Aufteilung in zwei voneinander unabhängige Druckknöpfe ist die Bedienung intuitiver, und gerade in hektischen Situationen geben die Tasten deutlicheres Feedback, während die Gangwechsel sowohl mit der „Wanne“ als auch mit dem Rocker Paddle des AXS Controllers stets etwas undefiniert blieben. Kleiner Wermutstropfen: Fahrer mit großen Händen finden mit der Matchmaker-Schelle nur schwer eine passende Position und müssen auf die separate Infinity-Schelle ausweichen.
Ungewohnt ist allerdings die Geschwindigkeit, mit der die Transmission mehrere Gänge am Stück wechselt – kontrolliert und extrem präzise, aber etwas langsam. Das zeigt sich vor allem im Multishift-Modus. Beim Runterschalten im Sprint oder beim schnellen Wechsel zwischen Down- und Uphill ist die GX AXS deutlich flotter.
Zwar hat die GX AXS beim Gewicht knapp die Nase vorn. Die Transmission punktet dafür mit der einfacheren Montage und der Möglichkeit, das Schaltwerk umfassend zu reparieren. Auch der Preis ist nahezu identisch. Bis auf die etwas langsameren Gangwechsel spricht also kaum mehr etwas für die ältere Eagle AXS.
Wir konnten die GX Transmission bereits einem ausführlichen Dauertest unterziehen. 2000 Kilometer durch Staub, Matsch und Schnee - hier lest ihr unser Fazit.
Nach harten Enduro-Einsätzen oder Stürzen musste ich früher häufig das Schaltauge richten. Das fällt mit der Transmission komplett weg. Die Schaltung ist absolut robust. Dennoch nervt mich das Akku-Management. Gäbe es eine mechanische Version der Transmission, würde ich sofort tauschen.
Mit der klassischen AXS hat Schalten mehr Computerspiel-Charakter. Ihre Elektronik arbeitet blitzschnell und hörbar. Im Rennen ist die Transmission meine erste Wahl. Sie braucht mehr Zeit und Schmackes, verträgt aber auch mehr Power-Input.
Mit den Transmission-Schaltungen hat Sram ein neues System geschaffen, das nicht mit alten Teilen kompatibel ist. Auf diese Punkte muss man beim Wechsel achten:
Nein. Voraussetzung hierfür ist, dass der Rahmen über ein UDH Schaltauge verfügt. Nur damit lässt sich das Transmission-Schaltwerk direkt mit dem Rahmen verbinden.
Auch bei der Kurbel gibt es mit der Transmission eine Veränderung: Hier wurde die Kettenlinie von 52 auf 55 Millimeter angepasst, um mit weniger Schräglauf den Verschleiß zu verringern. Die sogenannten DUB-MTB-Wide-Kurbeln passen nur auf dafür ausgelegte Rahmen. Hersteller, die ihren Rahmen mit einem UDH-Schaltauge ausstatten, verwenden in der Regel auch den DUB-MTB-Wide-Standard für die Kurbel.
Das hängt vom System ab: Beim Umstieg von einer mechanischen GX auf eine GX AXS reichen im Prinzip Schaltwerk und Controller, da Kassette, Kette und Kurbel identisch sind. Wer auf eine Transmission-Schaltung umsteigen möchte, muss in ein komplettes Set inklusive Kassette und Kette investieren. Wegen der sogenannten X‑Sync-Technologie sind die Transmission-Komponenten nicht abwärtskompatibel.
Nein. Transmission funktioniert ausschließlich als eigenes System aus Schaltwerk, Kassette, Kette und Kettenblatt. Sram nennt den Standard T‑Type. Die Komponenten sind nicht rückwärtskompatibel. Kette und Kassette können aufgrund des speziellen X‑Sync-Profils nicht untereinander getauscht werden.
Im Unterschied zu den reinen Antriebskomponenten sind die unterschiedlichen Controller mit allen Funkschaltungen von Sram kompatibel. Hier hat man die freie Wahl: Will man lieber mit den alten AXS Controllern oder den neuen Pods die Gänge wechseln? Das gilt für Transmission- wie für AXS-Antriebe gleichermaßen.
Nein. Die Kassetten wurden zwar von Grund auf neu entwickelt, werden aber auf den gewohnten XD-Freilauf geschraubt. Dennoch können sie nicht mit den klassischen Eagle-Komponenten kombiniert werden.