Als Shimano 2014 seine erste elektronische Mountainbike-Schaltung präsentierte – damals noch elffach und kabelgebunden – glich das einer Revolution. Das Schalten via Elektrotechnik faszinierte schon damals mit müheloser, direkter Reaktion. Doch der Weg in den Massenmarkt blieb der ersten Di2 verwehrt. Selbst erfahrene Schrauber verzweifelten nicht selten beim Entwirren des Kabelsalats oder beim Handling der separat platzierten Energieträger, Display und Steuereinheit. Den Todesstoß aber versetzte „Uncle Sam“ der Konkurrenz aus Japan, als die Amis 2019 ihrerseits eine elektronische MTB-Schaltung zur Marktreife brachten: die XX1 Eagle AXS. Sie wechselte kabellos zwölf statt elf Gänge an einer Kassette mit enormer Bandbreite. Ergebnis: Kabel abgeschafft, Umwerfer überflüssig, Montage vereinfacht.
Noch bevor Shimano der AXS eine Funk-Version der XTR entgegenstellen konnte, überraschte Sram 2023 mit der nächsten Innovation. Die neue Transmission-Technologie machte das Schaltauge obsolet, fixierte das Schaltwerk direkt am Rahmen und schaffte so einen direkten Bezugspunkt zur Kassette – womit auch die Einstellschrauben am Schaltwerk der Vergangenheit angehörten. Das Setup einer Mountainbike-Schaltung war noch nie so simpel. Punkt für Sram.
Beim großen Comeback von Shimano Mitte des Jahres waren wir deshalb fast etwas enttäuscht: Die neue XTR Di2 kommt zwar nun endlich ohne Kabel aus, wird aber klassisch am Schaltauge fixiert, wodurch sich das Einstellen des Schaltwerks etwas aufwändiger gestaltet als bei Sram. Dafür verzichten die Japaner komplett auf neue Standards. Ähnlich einfach gelingen die Erstmontage sowie das Koppeln der Komponenten. Das Feintuning der Gangsprünge per App ist ein echter Gewinn, verglichen mit der Feinabstimmung über die Zugspannung bei mechanischen Gruppen. Während die AXS App verfügbare Komponenten jedoch automatisch erkennt, muss die Di2 manuell in den Verbindungsmodus versetzt – und auch wieder getrennt werden. Nervig, wenn das Smartphone schon vorher zurück in die Hosentasche gewandert ist.
Der erste große Unterschied zeigt sich direkt beim Losfahren. Während die AXS sofort schaltbereit ist, braucht die Di2 ein paar Meter, um aus dem Schlafmodus zu erwachen. Mit dem kompakten Pod Controller bekennt sich Sram konsequent zum Digitalen, denn das Schalten über die beiden knackig definierten Taster ist fast schon wie Gaming. Der etwas klobige Shimano-Shifter dagegen besitzt eine echte Mechanik und erinnert eher an das Gefühl klassischer Schalthebel. Beide Wippen lassen sich umfangreich einstellen, liegen aber recht nah aneinander und fühlen sich wenig definiert an. Einigkeit herrscht bei der Funktion: Hält man einen der Hebel gedrückt, hiefen beide Schaltwerke die Kette bei Bedarf einmal quer über alle zwölf Ritzel. Etwas mehr Funktionsvielfalt bietet insgesamt der Shimano-Shifter: Drückt man die Taster durch, schaltet die Di2 zwei Gänge am Stück - die Funktion lässt sich bei Bedarf auch deaktivieren. Außerdem verfügt der Di2-Hebel über eine dritte Taste, die sich individuell belegen lässt. Etwa für die Steuerung eines Bike-Computers.
Schon im mittleren von fünf wählbaren Geschwindigkeits-Modi ist die Di2 extrem schnell. In der höchsten Stufe fliegt die Kette über die Ritzel wie ein Wiesel auf Speed. Bei geringer Trittfrequenz ist das aber zuviel des Guten und die Schaltung verhaspelt sich leicht. Dass die AXS in Sachen Geschwindigkeit nicht ganz mithalten kann, liegt am Aufbau ihrer Kassette. Geschaltet wird nur an klar definierten Schaltgassen – X-Sync nennt Sram diese Technologie. In Verbindung mit der extrem stabilen Anbindung des Schaltwerks am Rahmen resultieren daraus jedoch ultimativ geschmeidige Gangwechsel.
Überhaupt hebt die XX Eagle Transmission die Kette mit nahezu chirurgischer Präzision auf die Ritzel. Hoch wie runter, im Rollen ebenso wie unter Vollast. Auch mehrere Gänge am Stück sortiert die Sram zuverlässig ein – einen nach dem anderen – und das nahezu geräuschlos. Die leichte Verzögerung von Gang zu Gang ist dabei mehr Gewöhnungssache als Nachteil, denn in der Praxis findet man kaum eine Situation, in der die XX zu langsam wäre – erst recht nach dem letzten Update, welches das Schalten bei mehr als drei Gängen nun etwas beschleunigt. In Sachen Präzision zieht die Shimano mit ihrer Hyperglide+Kassette, die wir bereits von der mechanischen XTR kennen, den Kürzeren. Nicht falsch verstehen: Auch die Di2 wechselt die Gänge extrem zuverlässig. Gerade unter Last und beim schnellen Durchschalten knallt es aber schon mal am Heck.
Wer sich vor allem am E-Bike etwas geschmeidigere Gangwechsel unter der hohen Last des Motor-Drehmoments wünscht, der sollte einen Blick auf Shimanos Linkglide-Komponenten werfen. Diese wurden extra für den Einsatz am E-MTB entworfen, robuster konstruiert und mit ähnlichen Schaltgassen versehen, wie die Transmission-Antriebe. Wir konnten Linkglide an der neuen XT Di2 bereits testen. Die Gangwechsel laufen hier tatsächlich etwas geschmeidiger und ruhiger. Dafür ist die Schaltgeschwindigeit selbst in der höchsten Stufe spürbar langsamer als mit der “normalen” Di2-Schaltung. Zudem muss man mit Linkglide auf den zwölften Gang verzichten. Das System läuft auf einer Kassette mit nur elf Gängen.
Beide Schaltwerke verfügen im Übrigen über eine Ausweichfunktion, welche die teure Technik schützen soll. Dafür setzen Shimano und Sram auf eine Rutschkupplung, die es dem Schaltwerk ermöglicht, etwa bei Felskontakt nach innen auszuweichen. Anschließend kehrt das Schaltwerk wieder in die Ausgangsposition zurück. Während Shimano für ein besseres Abgleiten an Hindernissen auf abgerundete Formen setzt, ermöglicht Sram seinem Schaltwerk, über die Full-Mount-Anbindung auch nach hinten auszuweichen.
In der Praxis haben wir mit beiden Systemen bisher gute Erfahrungen gemacht. Besonders praktisch ist die Möglichkeit, das Sram-Schaltwerk nach einem Crash über einen einfachen Reset per Hand oder über das Öffnen der Steckachse wieder in die korrekte Position zu bringen. Aus unserer Sicht die bessere Lösung, als weiterhin auf das Schaltauge als Sollbruchstelle zu setzen.
Ein ähnliches Bild wie beim Schalten zeigt sich in rumpeligen Abfahrten, wo der straffe Dämpfer das Sram-Schaltwerk zuverlässig auf Spannung hält und damit für Ruhe sorgt, während sich das Shimano-Schaltwerk mit doppelter Spannfeder leichter aufschaukelt und auch mal klappert. Überhaupt sind es die Kleinigkeiten, die den Unterschied machen: Der Schaltkäfig lässt sich zum Laufradausbau nicht wie bei Sram entkoppeln.
Der Akku sitzt zwar gut geschützt im Schaltwerkskäfig, doch die Entnahme ist fummelig. Zudem wird der Akkustand nicht automatisch am Schaltwerk angezeigt. Es sind Nuancen – und doch geben sie den Ausschlag dafür, dass 16 Jahre nach Erfindung der ersten elektronischen Schaltung die nächste große XTR-Revolution ausbleibt.
Beide Hersteller bieten in meinen Augen absolute Top-Schaltungen. Mir persönlich gefällt die Haptik am neuen XTR-Drücker. Außerhalb des Rennens kann ich aber auf den Speed der Shimano verzichten und würde mich eher für die Geschmeidigkeit des Sram-Antriebs entscheiden. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur
+ hohe Schaltgeschwindigkeit
+ Shifter umfangreich einstellbar
+ an allen Rahmen nachrüstbar
- aufwendigeres Setup
- wenig definiertes Schaltgefühl
- weniger präzise unter Last
- höhere Geräuschkulisse
Shimano verpasst mit der XTR Di2 die Chance, eine richtig innovative Funkschaltung zu liefern. In Sachen Setup und Schaltpräzision hat die Transmission klar die Nase vorn. Geschmeidiger wechselt aktuell keine Kettenschaltung die Gänge. Ich kenne nur eine Situation, in der die XX Eagle vom Speed her an die Grenzen kam, doch dieses Problem wurde mit dem aktuellsten Update behoben. Stefan Frey, BIKE-Testredakteur
+ klares und einfaches Setup
+ höchste Schaltpräzision
+ starker Reibungsdämpfer
+ sehr geräuscharm
+ Ausweichfunktion Schaltwerk
+ Ersatzteile für Schaltwerk
- sehr teuer
- passt nur an Rahmen mit UDH-Schaltauge