Adrian Kaether
· 19.09.2025
Das klassische Rad gilt als ausentwickelt. Vor allem Trends wie Gravel oder breiteren Reifen ist die Dynamik der letzten Jahre zu verdanken. Umso erstaunter waren wir, als Shimano kurz vor der Eurobike die erste große Innovation seit langem präsentiert hat: Die erste automatische Kettenschaltung für Fahrräder ohne Motor.
Klar ist: Elektronisches Schalten ist im Trend. Bei Rennrädern schaltet mittlerweile selbst die “Volksgruppe” 105 Di2 mit Servos statt Schaltzügen. Und auch beim Mountainbike ist Srams AXS Schaltung an fast allen High-End-Bikes vertreten. Shimanos neue XT und XTR Di2 ziehen mittlerweile nach. Das Argument: Elektronische Schaltungen sind besonders schnell und knackig zu bedienen und können zusätzliche Features, wie eben eine Automatik bieten.
Doch es gibt auch ein großes Nerv-Thema: Das ständige Laden der Schalt-Akkus. Shimano bessert jetzt mit einer gleichzeitig simplen wie genialen Lösung nach. Die Q’Auto-Schaltung ist die erste E-Schaltung speziell für Trekking- und Urban-Bikes und setzt auf einen kleinen Nabendynamo im Hinterrad als Energiequelle. Dadurch ist die E-Schaltung immer mit Strom versorgt und man steht nie ohne Energie da.
Geschaltet wird per kabellosem E-Trigger. Auf Wunsch schaltet die Cues Di2 die Elf Gänge auch komplett automatisch. Dass die Schaltung nur elf statt zwölf Gänge hat, liegt an Shimanos Linkglide-Technik. Kassetten und Ketten sind hier auf weicheres Schalten unter Last und auf Haltbarkeit optimiert. Mit Blick auf die Automatik-Funktionen von Q’Auto ergibt diese Wahl absolut Sinn.
Kontrolliert wird die Shimano-Schaltung über den hauseigenen Algorithmus, der schon länger bei der Schaltautomatik für E-Bikes zum Einsatz kommt. Speziell für Q’Auto hat Shimano die Software aber nochmal angepasst. Im Automatik-Modus lassen sich drei Fahrprofile für schnelle, mittlere und langsame Trittfrequenz vorwählen. Die Automatik kann zu jedem Zeitpunkt manuell durch den Fahrer überstimmt werden. Auf Wunsch soll sie dadurch lernen, sich an die Vorlieben des Fahrers bezüglich Trittfrequenz und Schaltzeitpunkten anzupassen.
Hat Shimano das Problem mit den leeren Schalt-Akkus also endlich gelöst? Und wie steht’s sonst um die Automatik-Schaltung aus Japan? Als wir unser Testbike von Rose aus dem Karton ziehen, ist die Schaltung natürlich erstmal leer. Klar, schließlich ist das Rad noch keinen Meter gefahren. Doch schon nach kaum zwei Radlängen im Rollen reagiert die Schaltung schon. Klick, klack schaltet der Shimano-Trigger knackig die Gänge hin und her. Dass das so schnell funktioniert, ohne dass man den Dynamo erst “aufladen” muss, das hätten wir nicht gedacht.
Aus Neugier verbinden wir direkt Shimanos E-Tube App, über die sich die Schaltung auch feinjustieren lässt. Bewegt man das Hinterrad, werden die Komponenten zuverlässig und sofort von der App gefunden. Allerdings muss man für die Verbindung tatsächlich erst den Q’Auto-Akku durch den Dynamo auf 80 Prozent aufladen. Eine kleine Spritztour reicht dafür aus, oder man hängt das Rad wie wir in den Montageständer und lässt ein paarmal das Hinterrad sausen. In der App kann man die verschiedenen Automatik-Parameter einstellen oder relevante Informationen wie den Radumfang eintragen. Er hilft dem Automatik-Algorithmus bessere Entscheidungen für die Schaltautomatik zu treffen.
Soweit zur Theorie. In der Praxis begeistert die Cues Di2 mit dem knackigen und intuitiven E-Trigger von XT und XTR. Über einen dritten Knopf am Trigger kann die Automatik ein- und ausgeschaltet werden. Wünschenswert wäre vielleicht noch eine Mini-Anzeige in Form einer farbigen LED am Trigger für die ein- oder ausgeschaltete Automatik. Aber auch so merkt man natürlich schnell, ob die Automatik gerade aktiv ist, oder nicht.
Und tatsächlich: Egal ob sportlich oder gemütlich, auf Touren und in der Stadt kann man sich auf Shimanos Automatik in der Tat verlassen. Zuverlässig schaltet der Algorithmus die elf Gänge durch und wirkt dabei selten hektisch oder überfordert. Wie bei jeder Automatik-Schaltung lässt auch Shimano die Gänge lieber etwas länger stehen, statt den Fahrer mit unnötigem Hin- und Her zu nerven, wenn die Trittfrequenz mal gerade nicht ideal passt. Daran muss man sich erst gewöhnen. Wer möchte, kann in solchen Moment aber auch einfach selbst auf Knopfdruck den nächsten Gang nachlegen.
Dass man zumindest die drei Voreinstellungen für schnelle, mittlere und langsame Trittfrequenz in der App einmal ausprobiert ist entscheidend für den Erfolg von Q’Auto. Wir starteten mit dem mittleren Voreinstellung und ernteten dann oft für unsere Begriffe etwas zu schwere Gänge. Das schnelle Preset passte besser zu unseren persönlichen Vorlieben. Das ist auch insofern entscheidend, als die Automatik sonst unausgewogen agiert.
Ist etwa die Schalteinstellung auf eine zu langsame Trittfrequenz gepolt, schaltet sie beim Beschleunigen zu schnell hoch und reagiert an Anstiegen zu spät. Bei zu schneller Einstellung hat man das Gefühl, beim Beschleunigen erst sehr lange und schnell Kurbeln zu müssen, bis die Automatik den schwereren Gang nachlegt. Passte die Einstellung, muss man auf normalen Touren aber wenig manuell eingreifen. So wenig, dass wir schon ins Grübeln gekommen sind. Gibt’s Q’Auto eigentlich auch ohne Trigger? Das würde das System für Schaltfaule nochmal bezahlbarer machen.
Gravierende Nachteile hat Q’Auto kaum. Dank Linkglide-Kassette bleiben die Schaltvorgänge auch dann noch relativ weich, wenn die Automatik gerade in einem Moment mit viel Last auf der Kette den Gang wechselt. Der Algorithmus scheint insgesamt relativ ausgereift. Obwohl die Schaltung die Trittfrequenz nur über Hinterrad-Umdrehungen und Gangwahl erschließen und nur reagieren, nicht vorausschauen kann, klappt die Gangwahl im Automatik-Modus erstaunlich gut. Die Technik macht unser Testbike von Rose nicht übermäßig schwer oder teuer. Im Gegensatz zu manchen Nabendynamos vorne läuft das Hinterrad bei Q’Auto fast komplett frei durch. Viel Energie scheint hier also nicht verloren zu gehen.
Dem System bleibt eine zentrale Schwäche: Anders als beim E-Bike mit separatem Freilauf vorne kann Q’Auto nur schalten, solange sich die Kurbel auch dreht. Schalten im Rollen mit stehender Kurbel ist also nicht möglich. Wer vor der Ampel einfach mit stehenden Pedalen abbremst, erntet also einen zu schweren Anfahrtsgang. Technisch gesehen ist das auch gar nicht anders möglich. Für den besten Fahrfluss gewöhnt man sich deswegen an, im Automatik-Modus beim Abbremsen leicht mit zutreten. Das müsste man ohne Automatik für den Gangwechsel schließlich auch und das Vorwählen eines kleinen Anfahrtsgangs klappt dann recht zuverlässig. Nur beim harten Abbremsen ist die Automatik manchmal nicht ganz schnell genug.
Wenig überraschend: Wie alle elektronischen Schaltungen ist Q’Auto auf eine optimale Einstellung der Technik angewiesen. Unstimmigkeiten im Setup kann man nicht mit Feingefühl am Schalthebel ausgleichen. Dann kracht die Schaltung schonmal. Und wegen der festgelegten Zähnezahl passt der Gang auch nicht immer perfekt zur Trittfrequenz. Kein exklusives Q’Auto-Problem. Im Automatik-Modus mit unvorhersehbaren Schaltvorgängen fallen entsprechende Probleme erfahrungsgemäß mehr auf, als wenn man selbst die Kontrolle übernimmt. Kleinigkeit oder No-Go? Das bleibt Geschmackssache.
Niemand braucht eine elektronische Schaltung, oder gar eine Automatik. Uns bei MYBIKE hat Q’Auto trotzdem beeindruckt. Die Idee mit dem Nabendynamo als Energiequelle ist genauso simpel wie effektiv und hebt die Shimano-Schaltung von der Technik-Spielerei zur echten Innovation empor. Ohne separate Energiequelle ist das Fahrrad trotz E-Schaltung endlich wieder mehr Fahrrad nach dem Motto: Unkompliziert draufsitzen und losfahren!
Der Automatik-Modus funktioniert nach etwas Eingewöhnung so gut, dass wir uns das System sogar ganz ohne den manuellen Schalthebel vorstellen könnten. Klar ist aber: Nur mit der richtigen Zieltrittfrequenz und optimaler Einstellung gibt’s auch gute Ergebnisse. Und vorausschauen oder schalten ohne Treten kann Q’Auto nicht. Wie gut man mit kleinen Imperfektionen beim Schalten leben kann, sollte man idealerweise einmal selbst ausprobieren. - Adrian Kaether, Testleiter MYBIKE