“Eigentlich geil, wie schnell die Shimano XTR Di2 damals schon war!” Karl Platt nickt anerkennend in Richtung seines neun Jahre alten Bulls-Bikes. Auf dem Wild Edge Team gewann der heute 47-Jährige 2016 das legendäre Cape-Epic-Etappenrennen in Südafrika. Mit an Bord: die ursprüngliche Shimano XTR Di2 mit Kabelanbindung. Platt hat auch sein aktuelles Arbeitsgerät mitgebracht. Den performanten Nachfolger von Bulls, welches natürlich die grundsanierte XTR-Gruppe mit Funktechnik bei sich trägt. Auch dieses Bike heimste unter Platt bereits einen Cape-Epic-Sieg ein, nämlich den aktuellen des laufenden Jahres. Zweimal Weltklasse-Racebike, zweimal Shimano XTR Di2: Wir wollen herausfinden, wie sehr sich die Highend-Schaltung wirklich verbessert und ob sich das lange Warten gelohnt hat.
2014 übertrug Shimano seine Di2-Technologie vom Rennrad ans Mountainbike. Die M9000 war die erste Großserien-Schaltung für den Geländeeinsatz, welche die Gänge via elektrischem Signal wechseln konnte. Funk-Schaltungen, wie die Sram Eagle AXS schlummerten damals noch als Prototypen in den Hinterzimmern der Entwickler und kamen erst fünf Jahre später zur Marktreife. Das Schalten via Elektrotechnik faszinierte mit müheloser, direkter Reaktion, hatte jedoch auch seine Tücken. So konnte man den Mechanikern in manchem Shop regelmäßig dabei zusehen, wie sie gleich eines Marionettenspielers Bike-Teile an einer Vielzahl von Kabeln jonglierten. Während das Fahrverhalten der Shimano XTR Di2 M9000 2014 also bereits überzeugte, mussten ihre Einzelteile jedoch mit Hardware verbunden werden. Bei separat platzierten Schaltwerk und -hebel, Energieträger, Display und Steuerungseinheit kein Spaß für Schrauber und Rahmenbauer. Sieben Jahre lang tüftelte Shimano nach eigenen Angaben an einem Nachfolger ohne Kabel. Die neue Funk-XTR Di2 M9200 lässt sich einfach ans Rad schrauben, via Bluetooth koppeln und via Smartphone-App einstellen: ein großer Schritt in Richtung Zukunft der E-Schaltung!
Mit strammer Kette prescht Karl Platt vor mir über den Trail. Dass die Technik unter ihm ein knappes Jahrzehnt auf dem Buckel hat, ist leicht zu vergessen. Schon nach dem ersten Wechsel aber sind zwei Dinge klar. Erstens: Die neue Shimano XTR Di2 fühlt sich am Daumen erstaunlich nach einer mechanischen Highend-Schaltung an. Grund dafür ist der vollständig überarbeitete Schalthebel, welcher dem Körper beim Gangwechsel ein knackig-sattes Feedback gibt. Dagegen wirkt der Vorgänger binär, weich und erinnert mehr an eine Spielekonsole als an ein hochwertiges MTB-Teil.
Zweitens: Unter Last setzt die aktuelle Generation die Kette präziser auf die Ritzel. Verspringer? Fehlanzeige! Insgesamt wirkt die XTR Di2 M9200 dank abgerundetem Design, verstärkter Hardware, automatischer Rückstellung im Crash-Fall und durch den Wegfall der Kabel deutlich robuster als die alte Technik. Gut so, denn beim teuren Anschaffungspreis von 665 Euro allein fürs Schaltwerk sollten Biker auch lange Freude an ihrer elektronischen Gangschaltung haben. Auch wenn es schwer zu glauben scheint, so ist die neue XTR Di2 doch nicht teurer geworden, denn bereits das alte Schaltwerk kostete 670 Euro.
Eine verbesserte Haltbarkeit und mehr Präzision unter rauen Bedingungen hat die neue Shimano XTR Di2 Schaltung ihrer Vorgängerin also voraus. Doch zurück zu Karl Platt: “Mit meinem Siegerbike von 2016 machte ich den Zebra-Look beim Cape Epic populär!” Ob ihn das wilde Design schneller gemacht hat? Vermutlich nicht. Was aber damals schon schnell war: Die Schaltgeschwindigkeit der Shimano XTR Di2. Damals allen mechanischen Schaltungen voraus, überträgt Shimano den Speed auf die neue XTR M9200. Das macht nicht nur Laune, sondern soll auch in stressigen Rennsituationen punkten, wenn jede Millisekunde zählt. Übrigens lässt sich die aktuelle XTR von Hebelbelegung bis Automatikschaltung am E-Bike vielseitig individualisieren. Dank großer Übersetzungsbandbreite auf zwölf Ritzeln fällt eine Umwerfer-Option weg.
Mit der neuen XTR-Generation legt Shimano aber nicht nur die Antriebsteile neu auf. Die Schaltung hat natürlich neue Kurbeln und Kettenblätter aber auch neue Laufräder und Bremsen im Gepäck. Fürs Cape Epic setzte Karl Platt 2016 voll auf gewichtsoptimierte XTR-Scheibenbremsen mit zwei Kolben. Zwischenzeitlich wechselte der Marathon-Profi auf die Vierkolben-Version, die eigentlich für Trail- und Enduro Bikes vorgesehen ist: “Bei der Bremspower will ich keine Kompromisse eingehen.” Jetzt ist Platt zurück auf zwei Kolben. Die neuen XTR-Stopper versprechen dank überarbeiteter Hebelergonomie, neuem Bremsmedium auf Mineralöl-Basis und Detailverbesserungen im Innenleben eine konstantere Funktion. Auch wir können bestätigen: Obwohl die “alten” Shimano-Bremsen bereits fein dosierbar und kräftig waren, legen die Nachfolger nochmals eine kleine Schippe drauf. Auch, dass das Klappern der Bremsbeläge endlich der Vergangenheit angehört, freut die Tester.
Natürlich ließen wir uns die Gelegenheit nicht entgehen das originale Cape-Epic-Bike 2016 von Karl Platt etwas genauer zu untersuchen. Am Arbeitsgerät des Vollprofis sind wir nämlich auf einige feine Details gestoßen, die Normalos auf Tour eher nicht montieren.
Das knapp ein Jahrzehnt alte Racebike von Karl Platt macht eindrücklich klar, welch langen Weg der Marathon-Sport in dieser zeit gegangen ist. Statt Dropper-Post und Federwegs-Reserven zählten damals schneller Vortrieb und Aerodynamik noch mehr. 29 Zoll hatte sich zwar bereits durchgesetzt, an funkgesteuerte Einfach-Antriebe, wie der neuen Shimano XTR Di2, dachte man auf der Langstrecke aber noch nicht.