Jan Timmermann
· 24.09.2024
Mit Fox Live Valve Neo heben die Vorreiter der allgemein verfügbaren elektronischen Mountainbike-Fahrwerke ihr System auf ein völlig neues Level. Die 2018 in Serienreife vorgestellten Gabeln und Dämpfer mit Live Valve Technologie vertrauten noch auf eine Datenübertragung via Kabeln. Damit alle Komponenten des Aufbaus in ausreichender Geschwindigkeit miteinander kommunizieren konnten, war man damals auf diese Hardware angewiesen. Die existierenden Funk-Protokolle waren einfach nicht schnell genug.
Sechs Jahre später stehen dem elektronisch gesteuerten MTB-Fahrwerk ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung. Erst recht, seitdem Fox ein eigenes Übertragungs-Protokoll mit dem Namen Neo entwickelt hat, welches bis zu 200 Mal schneller sein soll als Bluetooth. Kabel und zusätzliche Bohrungen im Rahmen werden mit dem Fox Live Valve Neo überflüssig. Nach der funkgesteuerten Dropper-Post bringen die Fahrwerks-Experten jetzt zwei Dämpfermodelle an den Start, die das Fahrerlebnis von Trail- und Enduro-Bikern revolutionieren soll.
Dass das neue Fox Live Valve Neo System mit Funk arbeiten sollte, stand außer Frage. Fox wünschte sich ein möglichst unkompliziertes Handling bei trotzdem höchster Fahrwerksleistung. Bei der Entwicklung des hauseigenen Neo-Protokolls ging es den Ingenieuren und Programmierern vor allem um eines: Speed. In ihren Augen ist nur ein Dämpfer mit unkontrollierten Fahreigenschaften noch miserabler als ein Dämpfer mit schlechten Fahreigenschaften.
Um dem vorzubeugen, muss ein elektronisches MTB-Fahrwerk maximal schnell sein. Änderungen im Setup müssen schneller passieren, als man es beim Fahren bemerken kann. Zwischen dem Feedback vom Untergrund und der Reaktion des Federelements darf keine wahrnehmbare Pause existieren. Bis die als Funkstandard etablierte Bluetooth-Technologie ein Datenpaket übertragen hat, vergehen bis zu 200 Millisekunden - etwas weniger als ein durchschnittlicher Wimpernschlag.
Was sich erst einmal nicht nach viel anhört, war den Fox-Entwicklern noch deutlich zu langsam. Sie entschieden sich, das Thema der drahtlosen Datenübertragung am Mountainbike-Fahrwerk neu zu denken und dafür ein eigenes Protokoll zu schaffen.
Um die Geschwindigkeit des Neo-Protokolls zu maximieren, rationalisierte man bei Fox alle unnötigen Funktionen eines typischen Drahtlos-Protokolls weg. Tempo war die Maxime, der alles andere untergeordnet werden musste. Das Ergebnis ist ein Kommunikationsweg zwischen der Steuereinheit des Dämpfers und den zugehörigen Sensoren, welcher einen Datenaustausch in rund einer einzigen Millisekunde ermöglicht.
1000 Befehle pro Sekunde - mit einer solchen Geschwindigkeit müssen mechanische, beziehungsweise hydraulische Komponenten erst einmal mithalten können. Die neuen Fox Live Valve Dämpfer sollen sich pro Sekunde immerhin bis zu 200 Mal verstellen können. Und damit das immer in die richtige Richtung funktioniert, liefern die Sensoren ihre Daten sogar doppelt so schnell, bis zu 400 Mal pro Sekunde.
In der Praxisanwendung sollen zwischen dem Auftreffen des Reifens auf ein Hindernis und der Reaktion der Dämpfersteuerung so lediglich das Siebzigstel einer Sekunde verstreichen. Damit soll Live Valve Neo das aktuell schnellste Funk-Protokoll im Radsport sein - gar zehn bis 20 Mal schneller als das konkurrierende Produkt von Rockshox, dem Flight-Attendant-System.
Damit die Sensoren des Fox Live Valve Neo Systems wirklich keine noch so kleine Unebenheit auf dem Trail verpassen, werden sie jeweils an der vorderen sowie der hinteren Bremsaufnahme montiert. Dort sitzen sie an ungefederten Positionen möglichst nah an den Achsen. Die Teile sind kaum viel größer als ein Zwei-Euro-Stück und sammeln zwar allerlei Daten, treten aber nur mit der Steuerung des Dämpfers in Kommunikation, wenn sich das Federbein für einen Schlag öffnen soll.
Je eine CR2032 Knopfzellen-Batterie soll die Sensoren rund ein Jahr lang mit Energie versorgen. Im vorderen Sensor steckt ein Beschleunigungsmesser, der sowohl die Geländeneigung als auch die auf den Vorderreifen wirkenden Kräfte misst. Der hintere Sensor erfasst nur die Kraft der Schläge auf den Hinterreifen. Die Bauform der Sensoren wurde so gewählt, dass sie mit allen Postmount-Bremsaufnahmen und Hinterbau-Designs kompatibel sein soll.
Gesendet werden die Daten der Sensoren an das Steuergerät am Dämpfer. Dieses öffnet oder schließt den Druckstufenkreislauf des Federbeins je nach Bedarf mittels eines magnetischen Verriegelungsventils mit zwei Positionen. Das Ventil kann wiederum deutlich schneller agieren, als dies ein kleiner Elektromotor bewerkstelligen könnte und funktioniert völlig geräuschlos.
Die Energieversorgung des Steuergerätes stellt ein kompakter, wiederaufladbarer Akku sicher. Es handelt sich um den gleichen Energieträger, wie er auch an der elektronischen Fox Transfer Neo Variosattelstütze zum Einsatz kommt. Eine Ladung soll für etwa 20 bis 35 Fahrstunden ausreichen. Sollte der 24 Gramm leichte und 99 Euro teure Akku einmal leerlaufen, schaltet der Dämpfer automatisch ins offene Setting. Aufsetzen und kontrollieren lässt sich alles am Smartphone über die Fox Bike App. Für Pairing und Kalibrierung muss das Bike nicht bewegt werden, sondern einfach nur aufrecht stehen.
Fox entwickelt auch auf höchstem Niveau Fahrwerke für Race-Trucks. Die meisten Menschen glauben, dass Motorsport-Technik wahnsinnig komplex ist. In Wirklichkeit sind Fahrwerke für Mountainbikes viel schwerer zu entwickeln. Am Bike steht viel weniger Bauraum zur Verfügung, das Verhältnis von Krafteinwirkung und Gewicht ist ein ganz anderes und ein MTB-Dämpfer muss viel sensibler sein. Wenn sich der Fahrer eines Trucks rüberbeugt, um die Coladose zu greifen, hat das keinen nennenswerten Einfluss aufs Gesamtsystem. Auf einem Fahrrad kann jede Positionsveränderung des Piloten einen großen Unterschied machen. Die Integration von schneller Elektronik in ein MTB-Fahrwerk ist deshalb ein großer Schritt in Richtung optimale Performance. - Michael Staab, Produktmanager bei Fox
Anders als noch beim ursprünglichen, kabelgebundenen Fox Live Valve System, bringt Fox die neue Technologie vorerst nur an den Dämpfer. Für den anvisierten Einsatzbereich von Trail bis Enduro bestünden laut Fox derzeit keine Vorteile durch eine elektronisch gesteuerte Federgabel. Bereits die Standard-Fox-Gabeln würden an der Front bereits alles bieten, was Gravity-orientierte Mountainbiker brauchen.
Beim Heck gäbe es dagegen noch Optimierungspotential, da Hinterbauten mit ganz unterschiedlichen Kinematiken und Kräften funktionierten. Abweichend vom elektronischen Fahrwerks-Pendant von Rockshox, verzichten die Fox Live Valve Neo Dämpfer auf eine Mittel- oder auch “Pedal”-Position und verstellt sich nur zwischen den zwei Extremen Offen (Open) und Geschlossen (Firm). Allerdings geschieht dies so schnell und vollautomatisch, dass laut Fox keine dritte Position mehr notwendig sei.
Gerade im Trail- und Enduro-Einsatz können Geländeübergänge sehr plötzlich sein, sodass die Schnelligkeit des Neo-Systems laut Fox absolut notwendig sein soll. Auch in der Abfahrt könne ein blitzschneller Wechsel in den Firm-Mode Performance-Vorteile mitbringen, das Fahrwerk effizienter und das Bike schneller machen.
Live Valve Neo ist jedoch kein elektronischer Lockout. Der entsprechende Lenker-Remote soll erst 2025 in Serie gehen. Ähnlich wie bei einem Race-Truck habe ein klassischer Lockout im Gelände auch beim Gravity-Einsatz mit dem MTB kaum eine Daseinsberechtigung.
Vielmehr habe man sich vom lange bemühten Glaubenssatz “blockiert ist schnell” getrennt und ihn durch “geschmeidig ist schnell” ersetzt. Auch steckt hinter Live Valve Neo keine lernende Software, da die Technologie laut Fox von Anfang an schnell genug sei, um immer auf alles zu reagieren.
Fox Live Valve Neo soll seinen Piloten dabei unterstützen, Geschwindigkeit und Schwung in herausfordernden Fahrsituationen beizubehalten. Beim Pushen durch eine Kurve kann sich der Dämpfer beispielsweise in der Kurvenmitte zugunsten einer höheren Traktion kurz öffnen. Beim Verlassen der Kurve wird er wieder härter, um mehr Gegenhalt für den Geschwindigkeitserhalt oder -ausbau bereitzustellen.
Oder auf dem Absprung eines Kickers: Hier verhärtet der Dämpfer, um keine Kraft versumpfen zu lassen. Einmal in der Luft, erkennen die Sensoren den Sprung und befehlen dem Federbein, sich für mehr Reserven bei der Landung zu öffnen.
Unterwegs auf einem einfachen Uphill ist der Dämpfer hart gestellt, um die bestmögliche Kraftübertragung zu gewährleisten. Trifft das Vorderrad im Anstieg auf ein Hindernis, wie etwa eine Wurzelkante, so kann sich der Dämpfer öffnen, um die Unebenheit zu schlucken, nur um sich sofort danach wieder zugunsten der Beschleunigung zu straffen.
Die echte Stärke des Live Valve Neo Systems sieht Fox in einem Plus an Traktion. Vor allem den Fahrern von E-MTBs versprechen die Amerikaner einen deutlichen Performance-Gewinn. E-Biker erklimmen Rampen schneller und bleiben in der Regel länger im Sattel sitzen, was zu größeren Schlägen im Anstieg führen kann. Durch das rasant schnelle Öffnen des Dämpfers soll eine geschmeidigere Fahrweise möglich werden.
E-MTB-Hersteller könnten zudem den Shim-Stack im Innern des Dämpfers anpassen, um auf die steife Pedalier-Plattform eines E-Bikes zu verzichten und die uneingeschränkte Abfahrtsleistung zu priorisieren. Die Basis jedes Live Valve Neo Federbeins ist ein konventioneller Fox Dämpfer. So ist auch eine Travel-Verstellung weiterhin möglich und Volumenspacer können in gewohnter Weise verbaut werden.
Das Fox Live Valve Neo System aktiviert sich von selbst, wenn das Bike bewegt wird, und schaltet sich nach fünf Minuten automatisch ab, um Energie zu sparen. Diese Shake-To-Wake-Funktion kann in der Fox Bike App auch deaktiviert werden, um die Elektronik zum Beispiel auf Reisen ruhig zu halten. Bei jeder Unebenheit leuchtet am Dämpfer eine runde LED auf, um anzuzeigen, dass das System arbeitet. Auch diese Funktion kann natürlich abgeschaltet werden. Wird der Akku in den Dämpfer eingesetzt oder der An-Knopf kurz gedrückt, zeigen vier LED-Balken den Ladezustand an. BIKE hat bereits einen der neuen Dämpfer zum Test vorliegen. Der Bericht folgt in Kürze.
Für ein besonders unkompliziertes Handling an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine setzt Fox auf eine eigene App. Auch, wenn die Software nützlich sein soll, will man nicht, dass Biker ständig ihr Handy zur Hand haben müssen. Die Steuereinheit am Dämpfer merkt sich stets die zuletzt gewählten Einstellungen. Auf der Garage-Page lassen sich Profile für unterschiedliche Bikes mit dem elektronischen System anlegen.
Das dortige Dashboard gewährt einen schnellen Überblick über die aktuellen Stati von Verbindungen und Batterieständen. Mit Namen und Fotos lassen sich die einzelnen Profile individualisieren. Auf der Service-Page kann die Arbeit der Neo-Komponenten in Echtzeit getrackt werden. Wie viele Stunden sind die Komponenten bereits im Einsatz? Wann ist der nächste Service fällig, was kostet dieser und wo kann er durchgeführt werden? Auf der Tune-Page kann das Verhalten der Automatik angepasst werden.
Bei den Tunes für das Fox Live Valve Neo System handelt es sich um individualisierbare Algorithmen. Ausgangsbasis jedes Tunes sind drei Fahrsituationen: Climb, Flat und Descend. Der Sensor an der Gabel erkennt, in welcher Situation sich das Bike gerade befindet.
Jeder der Situationen ist eine Kraftschwelle und ein Timer zugeordnet. So kann für jede einzelne Position eingestellt werden, bei welcher Kraft und wie lange sich die Druckstufe des Dämpfers öffnet. Trifft ein weiterer Schlag auf das Bike, der die Kraftschwelle überschreitet, während der Timer noch läuft, startet die Zeit der offenen Einstellung von Neuem. Voreingestellt sind werksseitig fünf verschiedene Tunes, die Biker überall auf der Welt das Beste aus ihrem Live Valve Neo Dämpfer herausholen lassen sollen:
Für Biker, die tiefer in die Thematik eintauchen wollen, können die einzelnen Tunes im Precision-Mode via Schieberegler feingetunt werden. Wer zum Beispiel in der nähe vieler steiler Strecken wohnt, kann den Winkel manipulieren, in dem Live Valve Neo in die einzelnen Gelände-Stati wechselt. Tunes können auch für spezifische Trails optimiert werden.
Die fünf Werks-Tunes sind also erst der Anfang der Individualisierungsmöglichkeiten für Dämpfer mit dem Fox Live Valve Neo System. In der App können unendlich viele Tunes selbst erstellt und gespeichert werden. Zusätzliche Tunes des Herstellers lassen sich direkt in der App herunterladen. Zudem können Tunes einfach via QR-Code zwischen Fahrern geteilt werden. Wenn ein Kumpel also ein besonders gutes Setup gefunden haben will, kann man das ganz einfach ausprobieren.
Zusätzlich werden die Tunes von Fox-Athleten zur Verfügung stehen. Wer beispielsweise immer schon mal die Fahrwerks-Einstellungen von Enduro-Profi Richie Rude ausprobieren wollte, dem steht jetzt die Möglichkeit offen.
Zu Beginn wird Fox Live Valve Neo in Komplettbikes von Specialized, Pivot und KTM erhältlich sein. Prinzipiell soll die Technologie aber in allen Trail- und Enduro-Bikes funktionieren und so auch als Nachrüst-Option interessant sein, um zum Beispiel älteren Bikes ein Update zu verschaffen.
Verfügbar sind sowohl Fox Float X Luftdämpfer als auch Fox DHX Stahlfederdämpfer mit Live Valve Neo. Beide Dämpfer sind für Standard-und Trunnion-Mount verfügbar und lassen ihren Hub in 2,5 Millimeter-Schritten bis zu 75 Millimeter verstellen. Auch das empfohlene Service-Intervall ist identisch und beläuft sich auf 125 Fahrstunden.
Dass die Preise für das neue Funk-Fahrwerk von Fox gesalzen sein würden, war abzusehen. Für den Betrieb braucht es jedoch nicht nur einen der fast 1300 Euro teuren Dämpfer, sondern zusätzlich auch das Live-Valve-Neo-Kit, welches die beiden Sensoren, den Akku und ein Ladegerät enthält und satte 499 Euro kostet. Einzeln schlägt ein Akku mit 99 Euro, ein Ladegerät mit 79 Euro zu Buche. Mindestens beläuft sich ein betriebsfähiges Live-Valve-Neo-System also auf knapp 1800 Euro.