Adrian Kaether
· 15.02.2017
Moderne Federelemente sind Wunder der Technik, aber häufig kompliziert. Der Quarq ShockWiz soll automatisch jedem Fahrwerk zum perfekten Setup verhelfen. Ganz ohne Profi-Know-How.
Moderne Federelemente sind echte Wunderwerke der Technik. Sie müssen es sein, denn die Anforderungen, die heute an Mountainbikes und deren Fahrwerkskomponenten gestellt werden sind enorm. Sie dürfen sich nur möglichst wenig beim Bremsen und Lenken verwinden, müssen den ständigen Beschuss mit Schlamm und Sand genauso klaglos hinnehmen wie die ein oder andere Lastspitze, wenn der Biker doch mal einschlägt. Ach ja, und möglichst leicht sollen sie auch noch sein. Doch die Kombination aus Steifigkeit, Stabilität und geringem Gewicht ist nicht die eigentliche Leistung moderner MTB-Dämpfer und Federgabeln.
Erst ihr Innenleben macht die Federelemente zu echten Technik-Wundern. Die Dämpfer sollen möglichst antriebsneutral beim Pedalieren bleiben, dürfen bei hohen Stufen nicht wegsacken und bei Sprüngen nicht durchschlagen. Guten Komfort und ein sensibles Ansprechverhalten sollen sie aber auch liefern. Damit das funktioniert, sind die hochwertige MTB-Gabeln und Dämpfer in ihrem Inneren mit einem komplizierten System aus Ölkreisläufen ausgestattet. Der Highspeed-Kreislauf regelt Ein- und Ausfederverhalten bei schnellen Schlägen wie Stein- und Wurzelfeldern sowie harten Landungen, der Lowspeed-Kreislauf regelt das Verhalten bei Gewichtsverlagerung beim Pedalieren oder anderen langsamen Ein- und Ausfedervorgängen. Die Federvorspannung wird über den Luftdruck geregelt, an vielen Fahrwerkskomponenten lässt sich sogar das Luftkammervolumen mit Hilfe von Volume-Spacern verändern.
Sag (Negativfederweg), Volume-Spacer, Highspeed und Lowspeed sowie Zug- (Rebound) und Druckstufe (Compression). Da kann einem schon mal der Kopf schwirren. Das wissen auch die Hersteller und überlassen dankenswerterweise dem Biker nur noch die Einstellung der Parameter, die jeder leicht überblicken kann – insbesondere bei weniger Downhill-orientierten Fahrwerkskomponenten. Das sind meist Negativfederweg und Zugstufe. Aber bereits die beliebte Rock Shox Pike bietet auch eine Einstellung der Lowspeed-Druckstufe, bei der Fox 36 lassen sich sogar Highspeed- und Lowspeed-Druckstufe separat verstellen. Dämpfer wie die Cane-Creek Double-Barrel-Reihe, der Fox X2 und der Rock Shox Vivid Air bieten gar die ganze Bandbreite an möglichen Einstellparametern an.
Spätestens jetzt ist nicht nur der Durchschnittsverbraucher, sondern auch mancher Mechaniker im Bike-Shop wirklich überfordert. Denn auch wenn die Einstellungen einen echten Mehrwert bringen können, so braucht es fast schon ein Maschinenbaustudium und in jedem Fall ein extrem sensibles „Popometer“, um das Maximum aus solchen Fahrwerkskomponenten herauszuholen. Schade eigentlich, denn ein gutes Setup ist nicht nur Selbstzweck und lediglich für Profis interessant, sondern würde auch normale Biker schneller und sicher machen.
Seit mehreren Jahren nun arbeitet man in Australien an einer Lösung, die gleichzeitig einfach wie genial ist. Eine kleine Messkammer wird an die Gabel oder den Dämpfer angeschlossen und misst die Druckunterschiede, die durch das Ein- und Ausfedern in der Luftkammer der Gabel oder des Dämpfers entstehen. Diese Werte werden via Bluetooth an eine App weitergeleitet. Sobald die eine ausreichend große Datenmenge gesammelt hat, spuckt sie mittels eines Algorithmus' einen Vorschlag zur Optimierung des Setups aus. Nun muss der Fahrer nur noch nach den Vorschlägen der App die Stellknöpfe an Gabel und Dämpfer drehen, beziehungsweise den Luftdruck in der Luftkammer anpassen. Die App macht dabei genaue Angaben, beispielsweise um wie viele Prozent der Druck angepasst oder wie viele Klicks welches Stellrädchen gedreht werden muss.
Das System soll so gut funktionieren, dass ein nahezu perfektes Setup für die jeweilige Teststrecke erreicht wird, das auch echte Profis kaum toppen können. Damit wäre der ShockWiz für jeden Biker, vom Einsteiger bis hin zum Rennfahrer, ein sehr interessantes Tool. Im Juli 2015 landete das Projekt mit Finanzierungsziel 90.000 US-Dollar auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter. Nur wenig später wurde die Kampagne mit gut 130.000 US-Dollar beendet. Bald darauf zeigte der amerikanische Komponentengigant Sram Interesse, kaufte das Ganze dann kurzerhand auf und packte es unter sein Label Quarq. Allein das schon zeigt, welches Potenzial die Idee hatte.
Seitdem wird ununterbrochen am ShockWiz gearbeitet. Das System musste optimiert, die App entwickelt und nicht zuletzt die Werbekampagne und die Produktion angeleiert werden. Auf der Eurobike 2016 wurde der ShockWiz zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert (BIKE berichtete), Vorserienmodelle wurden bereits an Kickstarter-Unterstützer und Medien herausgegeben. Ab heute, dem 15. Februar 2017 ist der ShockWiz nun käuflich zu erwerben. Der ShockWiz ist mit den meisten, aber nicht allen Luftfedergabeln und MTB-Dämpfern kompatibel (ausgenommen zum Beispiel Rock Shox Dual Position Air, DRCV Systeme, Manitou, MRP). Er wiegt insgesamt schmale 45 Gramm und ist Wasser und Staubdicht. Das Technikwunder hat jedoch seinen Preis. 419 Euro wird die erste Version des ShockWiz in Europa kosten.
Das Team von BIKE testet den ShockWiz bereits ausgiebig mit vielen unterschiedlichen Gabeln und Dämpfern. Ob sich der im Moment noch hohe Preis für das Technik-Gadget lohnt, erfahren sie in einem ausführlichen Testbericht in BIKE 4/17 – ab 7. März am Kiosk.
Herzstück des ShockWiz ist ein kleiner, wasser- und staubdicher, schwarzer Kasten. Er beherbergt eine extrem kleine und genaue Druckmesskammer mit einem Luftvolumen von lediglich 0,5 Millilitern. Das ist weniger als das Volumen eines M&Ms. Mittels einem der zwei in unterschiedlichen Winkeln am ShockWiz angebrachten Ventile wird die Druckmesskammer an die Luftkartusche der Gabel oder des Dämpfers angeschlossen. Federn Gabel oder Dämpfer ein, ändert sich damit nicht nur der Luftdruck in der Luftkartusche, sondern auch in der kleinen Messkammer des ShockWiz. Diese Druckänderungen werden bis zu 100 Mal pro Sekunde gemessen und von einem Microprozessor, der ebenfalls im kleinen schwarzen Kasten des ShockWiz Platz findet, aufgezeichnet.
Über Bluetooth lässt sich der ShockWiz mit der eigens dafür konstruierten App am Smartphone verbinden und übermittelt so die Daten der Fahrwerksbewegungen an die App. Dort werden die Daten mittels eines Algorithmus' ausgewertet. Er erkennt unerwünschte Bewegungen im Fahrwerk, wie zu starkes Abtauchen, zu viel oder zu wenig Bewegung im Fahrwerk, zu schnelle oder zu langsame Federbewegung und stuft ein, wie weit das aktuelle Setup vom Idealzustand entfernt ist. Danach werden dem Fahrer die entsprechenden Änderungen der Parameter Sag, Luftkammervolumen und Zug- und Druckstufe (gegebenenfalls getrennt in High- und Lowspeed) vorgeschlagen. Dass die Druckänderungen in der Luftkammer tatsächlich ein Indikator für die Funktionsweise des Federelements sind, will Quarq in langer Laborarbeit sowie mit unzähligen Praxistests von Einsteigern hin bis in die Enduro World Series und den Mountainbike-Worldcup hin verifiziert haben.
Die App teilt dem Fahrer auch mit, welche Änderungen im Fahrverhalten von den empfohlenen Änderungen des Setups zu erwarten sind. Außerdem kann man das vorgeschlagene Setup nach seinen persönlichen Präferenzen mitgestalten. Der Fahrer hat dabei die Wahl zwischen Effizienz, Aggressivität, Verspieltheit oder Downhill. Die App optimiert die Änderungsvorschläge für das Setup dann dementsprechend. Mittels Prozentangaben informiert die App darüber, wie nah man dem perfekten Setup bereits gekommen ist, wie verlässlich die gesammelten Daten sind (je mehr Daten, desto repräsentativer die Daten, desto verlässlicher die Setup-Vorschläge) und gegebenenfalls welche Art von Trail man noch befahren sollte, um die Datenmenge zu ergänzen.
Bisher funktioniert die App auf Android und iOS (Jellybean 4.3 oder höher und iOS 9 oder höher).
Mehr Informationen zum ShockWiz, zu Preisen, Vertrieb oder Kompatibilität auf der Website des Herstellers.