Wer glaubt, das Mountainbike sei bereits zu Ende entwickelt, der liegt völlig falsch. In den großen und kleinen Entwicklungsabteilungen des Planeten werden jährlich neue spannende Produkte erdacht und konstruiert. Die Neuheiten sollen Mountainbikes schneller bergauf fahren lassen und sicherer in der Abfahrt machen. Auch, wenn das Bike ohne E-Motor fährt, spielt bei vielen Innovationen Elektronik eine entscheidende Rolle. Hinzu kommen Schlüsseltechnologien, wie 3D-Druck und immer bessere Carbon-Fertigung. Noch nie war Mountainbikes so gut, wie 2024. Die spannendsten Produkte, die in dieser Saison präsentiert wurden, geben zudem einen Vorgeschmack fürs Modelljahr 2025. Hier sind unsere sieben Highlights.
Auf den ersten Blick wirkt der Cross Country-Sport vielleicht nicht unbedingt innovativ. Mit einem Fahrrad schnell durch abwechslungsreiches Gelände zu fahren, begeistert Mountainbiker schon seit Generationen. Tatsächlich aber sind XC-Bikes regelrechte Innovationstreiber und die Generation 2024 so progressiv, wie lange nicht mehr. Anteil daran dürften auch die olympischen Spiele in Paris haben. Bereits im Frühjahr präsentierte Specialized ein neues Epic. Das Fully mit 120 Millimetern Federweg vorne wie hinten vereint eine radikale Geometrie rund um einen Lenkwinkel von 65,9 Grad mit einem lediglich 1682 Gramm leichten Rahmen. Mit 14.500 Euro ist das Specialized Epic 8 S-Works zudem eines der teuersten Mountainbikes der Welt. Wir konnten den neuen Superflitzer bereits testen und waren begeistert vom großen Kompetenzbereich des neuen Epic.
Das Specialized S-Works Epic 8 ist ein echtes Superbike und ein Paradebeispiel dafür, wie facettenreich Cross Country-Bikes mit 120 Millimetern heute sein können. Die Updates bei Fahrwerk und Geometrie machen das Epic derzeit zu einem der vielseitigsten Bikes überhaupt. In Symbiose mit einem edlen Chassis und dem zwar nicht auf Anhieb intuitiven aber gut funktionierenden Rockshox Flight Attendant System ist die S-Works-Variante ein High-End-Racebike, das die Konkurrenz das Fürchten lehren wird. Als Technologieträger ist das teuerste Serien-Bike der Welt maximal spannend aber beileibe Nichts für Jeden. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur
Nicht minder interessant präsentierte sich die neuste Auflage des Cannondale Scalpel. Die Amerikaner sind seit jeher für exklusive Lösungen bekannt und machen auch am neuen Race-Fully keine Ausnahme. 120 Millimeter Federweg am Heck und in der Front sowie breite Reifen setzen neue Maßstäbe in der Cross Country-Abfahrt. Downcountry war gestern, 2024 schlägt die Stunde der fähigen Marathon-Fullys. Unser Test bescheinigt dem Cannondale Scalpel 2024 ein großes Fahrspaß-Potential bei gleichzeitig hohen Siegerambitionen.
Schnelle Kurvenwechsel, fiese Wurzelpassagen, Sprünge: Das Scalpel zeigt mit Bravour, wie unfassbar schnell man mit einem modernen Cross Country-Bike bergab sein kann. Dabei verzeiht es dank souveränem 120er-Fahrwerk auch mal den ein oder anderen Fahrfehler und macht einfach Laune - auch, wenn es mal nicht um die Hatz gegen die Uhr geht. Bergauf ist das Scalpel immer noch ein richtig schnelles Bike, auch wenn der Antritt nicht mehr ganz so brachial ausfällt wie mit den Asphaltschneider-Reifen der Unter-Zehn-Kilo Generation. - Adrian Kaether, BIKE-Testredakteur
Auch bei den schnellen Frauenbikes hat sich 2024 einiges getan. Das neue Liv Pique ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür. Die Schwester-Marke von Giant bringt ein modernes Racebike für anspruchsvolle Sportlerinnen und spart alleine am Carbon-Rahmen fast 300 Gramm Gewicht ein. gleichzeitig sollen es 120 Millimeter Hub an der Federgabel und 115 Millimeter am Dämpfer in der Abfahrt richten. Tatsächlich bestätigte unser Test ein sattes Fahrgefühl auf dem neuen Liv Pique 2024.
Das neue Liv Pique 2024 ist ein formidables, frauenspezifisches Bike für ausgedehnte Touren mit hohem Trail-Anteil. Geometrie und Fahrwerk bieten ein gutes Maß an Reserven für die Langstrecke. Das Einsatzgebiet ist groß. Dabei steckt aber eher ein gutmütiges Marathon-Bike als eine auf Effizienz getrimmte Cross Country-Waffe im leichten Liv. In der schmerzhaft teuren Advanced-0-Austattung bleiben fast keine Wünsche offen. Leider passen manche Detaillösungen nicht ganz ins Bild. - Gitta Beimfohr, BIKE-Redakteurin
Es ist ein durch und durch logischer Schritt: Elektrotechnik hält in immer mehr Bereichen unseres Lebens Einzug und auch für MTB-Fahrwerke stehen alle Zeichen auf Strom. Elektronische Federgabeln und Dämpfer sind keine ganz neue Erfindung, erreichen 2024 aber eine Qualität und Serienreife, die es so bisher noch nicht gab. Den Anfang machte im März diesen Jahres Rockshox mit der Neuvorstellung ihrer Flight Attendant Technologie. Speziell für Cross Country-Fahrwerke soll das smarte Fahrwerk nicht nur blitzschnell das optimale Setup selbst wählen, sondern mit der Zeit auch dazulernen. Innovative Funk-Kommunikation mit einem Powermeter macht das im Sram AXS Ecosystem möglich. Im Test zeigte sich das E-Fahrwerk als probates Mittel, um das letzte Quäntchen Effizienz aus einem Racebike zu holen. Die smarte Federung denkt tatsächlich mit, kann aber nicht vorausschauen und macht Mountainbiker deshalb nicht arbeitslos. Für Trail- und Enduro-Bikes schob Rockshox die neuste Generation des Flight Attendant Systems nur wenig später nach.
Fox ging beim E-Fahrwerk dieses Jahr einen Schritt weiter und präsentierte die neuste Ausbaustufe an Live Valve Neo Dämpfern für abfahrts-fokussierte Bikes. Dazu entwickelten die Amerikaner sogar ein eigenes Funk-Protokoll, das 200 Mal schneller reagieren soll, als Bluetooth. Zwei an den Bremssätteln montierte Sensoren füttern die Elektronik mit Daten und sollen in jeder Trail-Situation das optimale Druckstufen-Setup bereitstellen. Während unserer Tests wurde deutlich, wie vielfältig das neue Live Valve Neo System ist. Bei der Einstellbarkeit bieten sich ganz neue Optionen, an die man bisher nicht einmal zu denken wagte. Gleichzeitig ist es offenbar nicht ganz einfach an jedem Bike die passenden Einstellungen zu finden. Passend zum neuen Neo-Ecosystem stellte Fox auch eine Funk-Version der Transfer-Dropper-Post vor.
Ein Rad ist ein Rad, fertig oder? Ganz so einfach machen es sich die Komponentenhersteller nicht. Auch nach der Etablierung großer 29 Zoll Laufräder gibt es in diesem Bereich noch so einiges zu optimieren. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass sich mithilfe einer in die Hinterradnabe integrierten Technik sogar das Fahrwerks-Verhalten eines Mountainbikes verbessern kann? Die Entkopplung von Antriebseinflüssen und Fahrwerk ist per se keine neue Idee. Dies über die hintere Nabe zu lösen jedoch schon. So war das Interesse für die neue eThirteen Sidekick Nabe auffällig hoch. Weniger Schläge über die Kurbel bei ungehindertem Einfedern des Hinterbaus - auch wir waren sehr gespannt auf einen Test. In der Tat hält das System sein Versprechen ein und verbessert die Fahrwerks-Performance abhängig vom Hinterbau. Durch den hohen Freiheitsgrad im Antritt hat die Lösung jedoch nicht nur Vorteile.
Leicht ist geil. Das weiß man bei Cross Country-Laufrädern schon lange. Fakt ist aber auch, dass ein geringes Gewicht noch lange nicht alles ist. Steifigkeit und nicht zuletzt Stabilität sind auch außerhalb des Renneinsatzes gefragt. Im High-End-Bereich drücken immer mehr Laufradhersteller den Wert an der Waage mithilfe von Carbonspeichen nach unten. In unserem Test unterzogen wir die teuren Rundlinge in Labor und Praxis so einigen Prüfungen. Zu guter Letzt mussten die Carbon-Laufräder im Crash-Test ihre Sicherheit beweisen. Überraschenderweise machten ausgerechnet Modelle aus Aluminium eine auffällig gute Figur.
Neue Materialien wie der Einsatz von Carbon- oder Textilspeichen sorgen selbst in Verbindung mit breiten Felgen für Rekordgewichte von deutlich unter 1200 Gramm. Das sorgt für eine Top-Beschleunigung. Den größten Einfluss beim Antritt hat aber immer noch der Reifen. - Peter Nilges, BIKE-Testleiter
Spätestens seit dem Siegeszug schwerer E-Bikes wurde das Anforderungsprofil an Scheibenbremsen gewaltig vergrößert. Doch auch abfahrtslastige Enduros und All Mountain Bikes profitieren von einer guten Portion Bremspower. Bereits früh im Jahr überraschte Sram mit einem neuen Anker auf Mineralöl-Basis. Bislang setzten die Amerikaner vornehmlich auf DOT als Bremsmedium. Die neuen Sram Maven wirken bereits in der Hand massiv und sollen ein bislang nie gekanntes Maß an Verzögerungsleistung haben. Für den Gravity-Bereich ergab unser Test ausgezeichnete Power-Werte. Gar so viel, dass sich der ein oder andere Tester überfordert sah.
Bereits beim Einbremsen packt die Maven beherzt zu. Nach Ende der Prozedur genügen minimale Handkräfte, um ordentlich zu verzögern. Wir können definitiv bestätigen, dass die Bremspower deutlich über allen anderen Sram-Produkten liegt. An so viel Kraft muss man sich erst mal gewöhnen. Einfach so sorglos am Hebel ziehen wie bei einer Code ist mit der Maven nicht mehr möglich. - Peter Nilges, BIKE-Testleiter
2024 markiert die Wiedergeburt einer Bremsen-Legende. Magura brachte mit der Gustav Pro einen beliebten Klassiker zurück und versprach mit vier großen Kolben eine brachiale Bremsleistung. Schrauber freuen sich über ein spezielles Schnellschluss-System zum Öffnen der hydraulischen Bremsleitung. Im Test zeigte die Magura Gustav Pro einen eher zahmen, weich einsetzenden Druckpunkt, legte im weiteren Hebelverlauf aber eine große Portion Power zu. Ein echter Schwerlastanker!
Mit der MTB-Bremse Gustav Pro verspricht Magura nicht nur mehr Leistung, sondern auch mehr Haltbarkeit und Zuverlässigkeit. Gerade fürs E-MTB der richtige Ansatz, das Mehrgewicht ist hier verschmerzbar. Aber auch für andere abfahrtsorientierte Biker, die oft viele Höhenmeter am Stück vernichten ist die Gustav Pro interessant. - Adrian Kaether, BIKE-Testredakteur
Im Rennrad- und Motorradbereich gibt es sie schon länger, am MTB betrat Schwalbe damit dieses Jahr Neuland: Reifen mit einer radialen Ausrichtung der Karkassen-Lagen. Der spezielle Aufbau verspricht eine Vergrößerung der Reifenaufstandsfläche von 30 Prozent. Die radiale Anordnung der Karkassen-Fäden erhöht zudem die Flexibilität und die Anpassbarkeit des Reifens an den Untergrund. Zudem soll die neue Karkasse eine etwas bessere Dämpfung besitzen, was sich positiv auf die Kontrolle im Gelände und das Fahrgefühl im Allgemeinen auswirken soll. Im BIKE-Test bestätigte sich tatsächlich ein grundlegend anderes Fahrgefühl.
Wurzeln, kleine Kanten oder Steine: Die neuen Schwalbe-Reifen mit Radialkarkasse schlucken kleine Unebenheiten komplett, der Fahrkomfort liegt spürbar höher. Gleichzeitig bieten sie eine bislang ungeahnt hohe Traktion. Auch bergab sorgen die neuen Radial-Reifen von Schwalbe eindrucksvoll für ein höheres Grip- und Sicherheitslevel. - Peter Nilges, BIKE-Testleiter
Sitzbeschwerden kann kein Biker gebrauchen. Inzwischen gibt es deshalb eine ganze Menge Hersteller, welche individuell an den eigenen Hintern angepasste Fahrradsättel bewerben. Schlüsseltechnologie ist dabei der 3D-Druck. Auf Basis des persönlichen Gesäß-Abdrucks wird ein Drucker mit den entsprechenden Daten gefüttert und heraus kommt eine sehr individuelle Sitzmöglichkeit. Unseren Tests zufolge stellen 3D-gedruckte Sättel eine zusätzliche aber kostspielige Möglichkeit für erhöhten Sitzkomfort dar. Sättel, wie der Posedla Joyseat 2.0 konnten uns überzeugen.
Der Posedla Joyseat 2.0 überzeugt im BIKE-Test durch eine gute Passform, die auf Fahrer und persönliche Angaben hinreichend angepasst ist. Der Sattel fühlt sich wertig an. Die Produktion des Abdrucks mithilfe des Smiling Butt Kits ist unkompliziert, der Bestellprozess sehr individuell und einfach. Einzig der Preis von 490 Euro für das Smiling Butt Kit plus 3D-Sattel-Produktion ist recht hoch. - Maik Schröder, BIKE-Onlineredaktion
Für eingefleischte Fahrrad-Nerds gibt es kaum etwas schöneres, als liebevoll zusammengestellte Custom-Bikes zu bestaunen. Auf den Messen und Ausstellungen gab es auch 2024 allerlei Schmuckstücke zu bestaunen. Auf der Bespoked Messe in Dresden gewann beispielsweise das Huhn Cycles Chabo eine Auszeichnung für das beste Mountainbike. Der Stahlrahmen mit 120 Millimetern Federweg ist “made in Berlin” und wird geschmückt von Intend-Fahrwerkskomponenten “made in Freiburg” sowie Anbauteilen von Bike Ahead “made in Veitshöchheim”.
Kaum ein zweiter Name steht so für aufwändige Custom-Projekte, wie Dangerholm. Der Schwede zerpflückt regelmäßig Scott-Bikes, nimmt ihnen per Messerschnitt den Lack und verwandelt sie in einmalige Tuner-Träume. Das Scott Spark RC Visione fällt nicht nur mit seiner Ferrari-Lackierung, sondern auch durch eine spannende Leitungsintegration in die Lenker-Vorbau-Einheit auf. Gefräste Titankurbeln und sündhaft teure Leichtlauf-Röllchen am Schaltwerk lassen Individualisten das Wasser im Mund zusammenlaufen.
Selbst mit Pedalen knackt das Stoll T3 SL die magische 12-Kilo Marke - und das trotz 140, respektive 135 Millimetern Federweg. So dermaßen leichte Trailbikes sind eine absolute Rarität. Bei Stoll lassen sich nicht nur die superleichten Anbauteile, sondern auch der in Deutschland hergestellte Rahmen selbst individualisieren. Extra leichtes oder massiveres Carbon-Layup? Mit oder ohne Staufach? Natürlich hat so viel Exklusivität ihren Preis. Unser maßgeschneidertes Testbike kostet stolze 11.700 Euro.
Das Stoll T3 SL zieht alle Register und trifft meine Idealvorstellung eines Trailbikes so ziemlich auf den Kopf. Der Einsatzbereich des leichten Fullys ist riesig. Schade nur, dass die Komplettbikes erst bei einem Preis von rund 8000 Euro starten und damit die Käuferschicht stark eingeschränkt wird. - Peter Nilges, BIKE-Testleiter