Peter Nilges
· 01.09.2015
Zugstufendämpfung, High- und Lowspeed-Druckstufe, Luftkammergröße: Brauchen üppigere Federwege immer mehr Einstelloptionen? Wir haben neun Gabeln in den Kategorien All Mountain und Enduro getestet.
Wachsen die Federwege, dann wächst in der Regel auch die Zahl der Einstellknöpfe. Ein notwendiges Übel, um den größeren Hub der Federelemente besser kontrollieren zu können. Mehr Funktionen bieten dem Kenner zwar die Möglichkeit, individuell zu arbeiten, bergen für das Gros der Nutzer aber die Gefahr, sich gehörig im Ton zu vergreifen. Um zu prüfen, was der neue Federgabel-Jahrgang kann, ging es mit 21 Gabeln im Gepäck ins Trail-Mekka Finale Ligure. Im ersten Teil unseres Tests: All-Mountain- und Enduro-Gabeln für 27,5-Zoll-Bikes. Im zweiten Teil folgen dann leichte Race- und All-Mountain-Gabeln für Twentyniner (BIKE 7/2015). Mit einer Preisspanne von 702 bis 1070 Euro für die All Mountain-Gabeln und 650 bis 1099 Euro für die Enduro-Modelle bietet dieser Test ein breites Spektrum innerhalb der neuen 27,5er-Klasse.
Diese 27,5 Zoll Enduro und All Mountain Federgabeln finden Sie im Test:
– Enduro 27,5 Zoll:
• Formula Thirtyfive
• Fox 36 Float FIT RC2
• Manitou Mattoc Pro
• Marzocchi 350 NCR
• Rock Shox Pike RCT3
• X-Fusion Sweep HLR
– All Mountain 27,5 Zoll:
• Bos Deville AM
• Magura TS8 R150 DLO
• Rock Shox Revelation RCT3
Enduro boomt. Deshalb läuft die Entwicklung in diesem Bereich auf Hochtouren, wie auch die Fülle an neuen 160-Millimeter-Gabeln bestätigt. Neue Gabeln mit 35 oder 36 Millimeter dicken Standrohren drängen auf den Markt und vereinen beste Downhill-Performance mit immer geringeren Gewichten. Eine echte Konkurrenz zu den klassischen All-Mountain-Gabeln, die überwiegend auf dünnen 32er-Standrohren aufbauen und bis zu 150 Millimeter Federweg bieten. Alleine der Vergleich im Hause Rock Shox zeigt, wie dicht die neueste Enduro-Generation den etablierten Touren-Gabeln auf die Pelle rückt. Gerade einmal 73 Gramm trennen die Revelation von der steiferen und bergab deutlich potenteren Pike. Wer auf der Suche nach einer langhubigen Touren-Gabel ist, sollte ruhig mal ins Enduro-Lager schauen, zumal sich bei den meisten 160er-Gabeln der Federweg intern reduzieren lässt.
Als absolute Neuheiten in diesem Test präsentieren sich die BOS Deville AM, DVO Diamond, Fox 36 und Marzocchi 350 NCR. Während die Enduro-Gabel Deville in den vergangenen Jahren bereits souverän Testsiege einheimste, waren wir auf die im Federweg reduzierte Variante mit dem Zusatz "AM" gespannt. Aufgrund des gleichen Castings wie bei der Deville ist das Gewicht relativ hoch. Ansonsten gibt es an der Franzosen-Gabel rein gar nichts zu mäkeln. Ein erneuter Testsieg also für die BOS – und das mit einer vereinfachten Druckstufendämpfung.
Nicht ganz so einfach geht es bei den Enduro-Gabeln zu. Neben der obligatorischen Zugstufendämpfung steht hier bei den meisten Top-Modellen eine High- und Lowspeed-Druckstufe zur Verfügung. Diese soll, je nach Fahrsituation, ein unkontrolliertes Wegtauchen (starke Geometrieänderung) verhindern und die Gabel möglichst hoch und stabil im Federweg halten. Als weiteres Feature bieten die meisten Hersteller neuerdings Kunststoff-Spacer an, mit denen sich die Luftkammer in der Gabel verkleinern und somit die Charakteristik verändern lässt (siehe Seite 68). Mit dem Hydraulic Bottom Out (Durchschlagschutz) und dem O.T.T.-System (Ansprechverhalten) legen Manitou und DVO nochmals eine Funktion drauf, was den freien Platz an möglichen Drehknöpfen bereits maximal ausreizt. Über einen Remote-Hebel verlagert Marzocchi die Bedienung der zuschaltbaren Plattform an den Lenker und bietet damit eine Option, die wir im Enduro-Einsatz allerdings noch nie vermisst haben. Multipliziert man die Zahl der Verstelloptionen mit der möglichen Bandbreite, so ist Erfahrung gefragt, um einer drohenden Gabelverstimmung mit Feingefühl entgegenzuwirken.
Was die Pike für die Revelation bei Rock Shox ist, stellt die Fox 36 für die Fox 34 dar. Soll heißen: Die neuere, reinrassige Enduro-Gabel 36 wildert auch hier im etwas zahmeren Einsatzgebiet der 34 und bringt selbst mit identischem Federweg 130 Gramm weniger auf die Waage. Harte Zeiten also für die 34, die immerhin durch einen werkzeuglosen Radausbau punkten kann, während man bei der 36 gleich an fünf Schrauben drehen muss. Vom Fahrgefühl bietet die neue 36 genau das, was viele Racer bei der im vergangenen Jahr etwas druckstufenschwachen 34 vermissten. Durch ihr strafferes Grund-Setup und eine größere Druckstufenbandbreite hält die 36 selbst auf Strecken mit Enduro-World-Series-Charakter immer die passenden Argumente parat und steht sehr solide im Federweg.
Da jedoch nicht jeder Biker über die Unterarme von EWS-Sieger Jared Graves verfügt und in der Regel auch etwas langsamer über die Trails rollt, muss ein Grund-Setup mit straffer Race-Note nicht immer ideal sein. Touren-Fahrer profitieren eher von einer Bandbreite, die auch maximale Sensibilität zulässt. Allen voran bietet die leichte Formula Thirtyfive den größten Komfort unter den Enduro-Gabeln, gefolgt von der preislich attraktiven X-Fusion Sweep.
Auch wenn die Fülle an Einstelloptionen den Umgang mit den neuen Gabeln nicht erleichtert, so bietet sie zumindest alle Möglichkeiten, um das persönliche Wunsch-Setup zu komponieren.
LUFTNUMMER
Zwei Hübe mit der Gabelpumpe und ein Klick an der Zugstufe, das war früher. Moderne Gabeln bieten oft mehr Optionen, als es vielen Fahrern lieb ist. Neben aufwändigen Dämpfungssystemen rückt die Luftkammergröße ins Zentrum der Einstelloptionen.
Zuerst nur Rock Shox, jetzt auch Fox, Formula, Magura und SR Suntour. Die Rede ist von den kleinen, bunten Kunststoff-Spacern (bzw. Öl), die den Gabeln neuerdings zur Veränderung der Luftkammergröße beiliegen. Während man mit dem Luftdruck nach wie vor die Federhärte über den Negativfederweg (SAG) einstellt, bieten die Spacer zusätzlich die Möglichkeit, die Kennlinie und damit die Charakteristik der Gabel zu verändern. Durch Spacer oder Öl in der Luftkammer verkleinert sich das Volumen, wodurch die Gabel bei gleichem Luftdruck progressiver wird. Man benötigt mehr Kraft, um den vollen Federweg zu nutzen. Doch bevor man sich der Luftkammergröße annimmt, sollten zunächst der Luftdruck und die Dämpfung korrekt eingestellt sein. Eine Verkleinerung der Luftkammer macht nur dann Sinn, wenn die Gabel trotz passendem SAG (ca. 20 Prozent vom maximalen Federweg) und Druckstufendämpfung zu leicht durchschlägt. Generell gilt: Eine progressive Gabel kann man softer als eine Gabel mit linearer Kennlinie fahren. Die Federkennlinien in den Testbriefen geben Aufschluss über die Charakteristik der Gabeln. Die Spacer lassen sich bei den meisten Gabelmodellen in wenigen Minuten einbauen.
LUFTVERLUST BEI DVO
Bereits von Beginn an kämpften wir bei der Diamond, der neuen Enduro-Gabel von DVO, mit einer Undichtigkeit der Luftkammer. Eine abschließende Beurteilung der mit 2130 Gramm recht schweren, dafür aber äußerst steifen DVO war somit nicht möglich. Was die mit Einstelloptionen vollgepackte Gabel für 999 Euro wirklich kann, muss ein Nachtest mit einer neuen Gabel zeigen.
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