Florentin Vesenbeckh
· 18.04.2024
Schon zur Eurobike 2022 präsentierte Shimano den neuen EP6-Motor. Zeitgleich mit dem Update des EP8 auf den neuen EP801. Was die beiden neuen E-Bike-Motoren der Japaner wirklich auszeichnet, blieb aber erstmal etwas unklar. Und es dauerte auch eine ganze Weile, bis E-Bikes mit den neuen Antrieben in die Läden rollten. Inzwischen sind sowohl das Topmodell EP801, als auch die günstige Variante EP6 am Markt angekommen. Und wir konnten beide Mittelmotoren in verschiedenen Testbikes ausführlich fahren. Zeit für einen Kassensturz. Sind EP801 und EP6 wirklich spürbar unterschiedlich?
Den neuen Shimano EP801 konnten wir bereits ausführlich in Labor und Praxis testen. Jetzt folgt der Abgleich mit dem günstigeren EP6 - der mit komplettem Namen übrigens EP600 heißt. Durch den günstigeren Einkaufspreis soll der EP6 den Bike-Herstellern günstigere Einstiegspreise ermöglichen. In den meisten Fällen verbauen die Firmen an den günstigen Modellen den EP6, wo an teureren Ausstattungsvarianten der EP801 zum Einsatz kommt. Die Anschraubpunkte sind identisch, ebenso die Bauform und Größe. So kann man theoretisch problemlos zwischen den beiden Motoren wechseln.
Äußerlich sind EP6 und EP801 auf den ersten Blick identisch. In der Realität sind die Unterschiede aber größer, als es der optische Eindruck vermuten lässt. Zwar liefern beide Antriebe nominell 85 Newtonmeter maximales Drehmoment, doch die Spitzenleistung unterscheidet sich klar. 100 Watt soll der EP6 weniger liefern, als der EP801, sagt Shimano. Damit liegt er vom Leistungsniveau auf einer Ebene mit dem “alten” EP8(00), dem Vorgänger des aktuellen Topmodells. In unserem ausführlichen Test des neuen EP801 konnten wir den Leistungszuwachs und den Unterschied zum EP8 in Labor und Praxis deutlich machen.
Der zweite markante Unterschied liegt im Material des Gehäuses. Während EP8 und EP801 auf ein besonders leichtes Magnesiumgehäuse setzen, ist der EP6 aus Aluminium. Das führt zu einem Gewichtsunterschied von rund 300 Gramm. Während EP801 und EP8 (2,65 kg) im Klassenvergleich mit Bosch (2,9 kg) und Brose (3,1 kg) besonders leicht ausfallen, landet der EP6 - trotz geringerer Leistung - mit 3,0 Kilo gewichtstechnisch nur im Mittelfeld.
Entscheidender Grund für die Neuauflage von EP801 und EP6 war eine neue elektronische Infrastruktur. Das Ziel: Die Motoren mit den elektronischen Schaltsystemen Shimano XT Di2 und Cues Di2 zu kombinieren. Das heißt: Auch der günstige Shimano-Antrieb ist bei entsprechender Hardware mit den Funktionen Autoshift und Freeshift kompatibel.
Auch bei den App-Features orientiert sich der EP6 an seinem großen Bruder. Über die Applikation E-Tube können Updates auf alle Systemkomponenten gezogen werden. Außerdem lassen sich die Unterstützungsstufen auf persönliche Vorlieben oder besondere Einsatzgebiete einstellen. Besonderheit: Shimano bietet zwei Presets an, die direkt am Display oder der Remote ausgewählt werden können. Im zweiten Preset können bis zu 15 Unterstützungsstufen freigeschaltet werden. Heißt: Auf Wunsch sind Biker nicht auf die drei Stufen Eco, Trail und Boost beschränkt - sondern können sehr fein gestufte Modi nach individuellen Bedürfnissen konfigurieren.
Stichwort Connectivity: Das Shimano-System kann über ANT+ mit Geräten à la Garmin gekoppelt werden. Hier gibt´s dann sogar eine prozentgenaue Akku-Anzeige, die die Steps-Displays nicht bieten.
Bei den Displays und Bedienelementen steht den Bike-Herstellern eine recht breite Palette zur Auswahl. Klassisch sind die Farbdisplays, die gut geschützt hinter dem Lenker sitzen. Sie bieten einen gesunden Mittelweg aus schlankem Design und guter Informationstiefe. Eine echte Kommandozentrale gibt es unter den Displays nicht. Für Features wie die Navigation müssen Shimano-Biker auf Smartphone oder Bike-Computer zurückgreifen. Auch eine prozentgenaue Akkuanzeige bieten die Steps-Displays nicht.
Die klassische Remote SW-EN800 ist ebenfalls schlicht und schlank gehalten. Zwei ergonomische Knöpfe direkt am Griff, mehr nicht. Doch inzwischen wird auch immer häufiger die SW-EN600 verbaut. Der Taster ist nicht ganz so ergonomisch, dafür hat er LEDs und mehrere Bedienknöpfe an Bord. So kann er auch alleine, ohne separates Display, genutzt werden. Akkustand und Unterstützungsstufe werden dann sehr rudimentär über kleine LEDs angezeigt.
Eine komplette Stand-alone-Lösung ist das Bedienteil SC-E5000, bei dem ein kleines Schwarz-Weiß-Display direkt am Schalter mit am Griff sitzt. Die günstige Kombi aus Bedienteil und Display kann mit den teureren Steps-Komponenten nicht mithalten: mäßige Ergonomie, geringer Informationsgehalt. Außerdem fehlt eine Bluetooth-Schnittstelle, sodass der Motor für Feineinstellungen oder Updates nicht mit dem Smartphone gekoppelt werden kann.
Auch hier bleibt Shimano seiner Philosophie treu: Der EP6 kann ebenso wie die anderen Steps-Antriebe mit diversen Akkus von anderen Zulieferern kombiniert werden. Das gibt den Bike-Herstellern viel Entfaltungsspielraum und Freiheit bei der Konzeption und führt dadurch zu einem bunten Angebot an Kombinationen. Die hauseigenen Shimano-Akkus (500 oder 630 Wattstunden) werden inzwischen eher selten verbaut.
Um es gleich auf den Punkt zu bringen: Die Leistungsunterschiede zwischen EP801 und EP6 existieren nicht nur auf dem Papier. Im direkten Vergleich ist der günstigere Shimano-Motor spürbar schwächer. Auch das vergleichbare Niveau mit dem EP800 kann unser Popometer bestätigen. Wer auf maximalen Schub Wert legt, wird im Vergleich zu einem Bosch CX, Shimano EP801 oder Brose Drive SMag klare Abstriche wahrnehmen.
Der Unterstützungscharakter ist typisch Shimano: Schon bei gemächlichem Tritt gibt der Motor im Boost-Modus seine volle Leistung ab. Im “Bummel-Modus” kann er sich dadurch sogar deutlich stärker anfühlen, als ein Performance CX. Auch beim Drehmoment, also bei sehr niedrigen Trittfrequenzen, schiebt er kernig an. Einen Schwachpunkt teilt er sich mit seinem großen Bruder: Bei extrem hohen Trittfrequenzen geht dem Motor zu früh die Puste aus und die Leistung lässt nach. Im klassischen Fahrbetrieb spürt man das nicht, doch beim dynamischen Beschleunigen, zum Beispiel vor Stufen und Hindernissen in kniffeligen Anstiegen, kann das den Flow und die Kletterstärke drastisch einbremsen.
Ebenfalls auf ähnlichem Niveau wie EP8 und EP801: Die Geräuschkulisse. Bergauf ist der Motor immer klar hörbar, brummt aber in einer recht angenehmen Frequenz. Bergab klappert auch der EP8 beim rollen über Hindernisse recht deutlich. Diesen Bug hat er auch mit Boschs CX gemein. Die Geräuschkulisse variiert von Bike zu Bike - selbst mit identischem Motor. Im Schnitt aller Testbikes mit Shimano-Motoren können wir keinen Sound-Unterschied zwischen EP6 und EP801 ausmachen.
E-Mountainbikes müssen günstiger werden, um mehr Menschen zu erreichen. Von daher ist das neue Einstiegsmodell EP6 von Shimano ein Gewinn. Doch funktional ist der Unterschied zum großen Bruder EP801 recht deutlich. Den Preisunterschied können wir nicht genau beziffern - doch einen gewissen Aufpreis würden wir definitiv in Kauf nehmen. Gerade das Verhältnis aus Leistung und Gewicht ist beim EP801 extrem gut - beim EP6 hingegen eher schwach. Top: Auch der EP6 bietet viele Akku- und Display-Optionen sowie eine sinnvolle App. - Florentin Vesenbeckh, Ressortleiter Test und Technik beim EMTB Magazin