So groß war die Resonanz auf einen Leser-Test noch nie. Wenige Minuten nachdem die Einladung mein Postfach verlassen hat, blinken die ersten Rückmeldungen auf. Bald hat sich die Hälfte der Teilnehmer unseres EMTB-Trail-Camps (hier zur Veranstaltung) für ein Testbike vorangemeldet. Der Grund ist das vielleicht heißeste Stück Technik am Markt: die Motor-Getriebeeinheit MGU von Pinion (hier im EMTB Test). Aber wie fährt sich das Getriebe am E-Mountainbike? Und kommt Pinion beim Thema Power, Lautstärke, Reichweite und Dosierbarkeit beim Endverbraucher an? Mit dem Leser-Test machen wir die Probe aufs Exempel.
Der Clou an der Pinion MGU ist die Kombination aus einem klassischen E-Bike-Motor (85 Nm, 600 Watt Spitzenleistung) mit einem Zwölfganggetriebe, integriert in einem erstaunlich kompakten Gehäuse. Das verspricht einen Verschleiß am Getriebe, der wie beim Auto gegen null geht.
Weiterer Vorteil: Kette oder Riemen laufen zur Kraftübertragung ans Hinterrad immer in einer Linie und werden weniger belastet, die exponierte Kettenschaltung am Hinterrad entfällt. Um Wartung und Service für die neue Technik sicherzustellen, arbeitet Pinion mit der Flyer-Schwester Biketec zusammen zusammen, die mit ihrer Marke FIT auch die Displays, die Apps und die Akkus für das Pinion-System liefert.
Spannend: Per Firmware-Update kann das System mittlerweile auch vollautomatisch schalten. Dabei bietet Pinion sowohl einen reinen Automatikmodus an als auch den sogenannten Promodus, bei dem der Fahrer die Schaltentscheidungen der Automatik durch die Schalthebel überschreiben kann. Anders als bei den meisten Automatiksystemen (hier zum Lesertest mit Sram und Shimano) soll die Pinion MGU sogar aus den Entscheidungen des Fahrers lernen und sich so immer besser an die Vorlieben des Fahrers anpassen. Zu diesem Lesertest mit der Pinion MGU im April 2024 am Kalterer See war das Automatik-Feature aber leider noch nicht verfügbar.
Es ist der 22. April. Am Ufer des sonst warmen Kalterer Sees lässt ein kühler Wind die Strandflaggen knattern. Das Thermometer zeigt kaum zehn Grad, doch die Laune der fast 40 Campteilnehmer ist ausnehmend gut. Nördlich der Alpen hält mit dicker Schneedecke gerade noch mal der Winter Einzug. Dagegen wirkt Südtirol mit seinen trockenen Trails fast paradiesisch.
Die ersten Leser starten gleich auf einem Simplon-Testbike mit MGU durch – die Neugier unter den Teilnehmern ist groß. Lesertester Gerd biegt nach einer ersten Runde auf dem Rapcon Pmax Pinion wieder auf den Parkplatz ein. “Das System ist genial”, findet er. Warum will ich wissen. “Die zackigen Schaltvorgänge”, aber auch Zusatzfeatures wie das “Schalten im Stand” konnten ihn gleich von der MGU überzeugen. Einzelmeinung oder schon eine Tendenz?
Denn ein Selbstläufer wird der Lesertest für Pinion sicher nicht. Denn über Pro und Kontra der MGU wurde schon viel geschrieben. Dass das System nicht zu den leisesten gehört und beim Doppelshift Schaltverzögerungen entstehen, hatte sich auch bei einigen Campteilnehmern herumgesprochen. Die großen Vorteile der MGU bei Wartung und Verschleiß können bei einem solchen Test über wenige Tage dagegen nur wenig zur Geltung kommen.
Manche Bedenken zerstreut der Pinion-Motor bei einigen Lesern schon im allerersten Anstieg. In einem leicht matschigen und steilen Uphill, in dem kaum einer noch ans Wiederanfahren denkt, betätige ich an meinem Testbike einfach den Knopf für die Schiebehilfe. Damit schiebt das Bike auch ohne Pedalumdrehung sanft an, bis der Schwung ausreicht, um wieder normal mittreten zu können. Erstaunte Blicke von allen Seiten.
“Echt praktisch”, findet Lesertester Gerd. “Gerade wenn man den Trail noch nicht kennt!” Features wie diese, die über den Funktionsumfang klassischer Kombinationen von Motor und Kettenschaltung deutlich hinausgehen, können ihn und viele andere Leser besonders überzeugen. So kann man schon vor dem Start in die Abfahrt in einen dicken Gang schalten oder leichte Gänge zum Anfahren vorwählen.
Und auch Profi-Guide Vivi aus dem Campteam ist begeistert: “Ich kann einfach immer schalten, egal in welcher Situation ich gerade bin.” Kein vorsichtiges Gangwechseln am Berg, bei dem man nur hofft, dass einem nicht gleich die Kette um die Ohren fliegt. Ebenfalls auffällig: In Sachen Wertigkeit hinterlässt die MGU fast überall einen gelungenen Eindruck. Kein Ruckeln mehr beim Schalten, kein Knarren, wenn mal die Einstellung nicht perfekt passt und die Kette erst richtig auf dem Ritzel einrasten muss.
Und was ist nun mit der Verzögerung beim Doppelshift, was mit dem lauten Motorgeräusch in den ersten vier Gängen? Die Kritikpunkte aus unseren Tests bei EMTB spreche ich immer wieder direkt bei den Teilnehmern an. Lesertester Nicolas winkt ab: “Der Pinion hat eben viel Leistung. Das darf man dann auch hören”, findet er, der sonst auf einem Cube mit Bosch-Motor unterwegs ist. Campteilnehmer Reiner sieht es etwas anders: “Auf einer langen Tour würde mich das vielleicht schon stören.”
Die verzögerten Schaltvorgänge zwischen den Gängen vier und fünf sowie acht und neun, die dem EMTB-Testteam im Vergleich mit klassischen Antrieben negativ auffielen, spielen bei unseren Probanden kaum eine Rolle. Auch das Thema Gewicht sehen viele der Teilnehmer eher als generelles Problem bei E-Mountainbikes. “Leichter ist natürlich immer besser”, sagt EMTB-Leser Gregor, der sonst ein Specialized Levo Carbon fährt. Seinem Interesse an einem Bike mit Pinion MGU tut das keinen Abbruch.
Das Schalten im Stand und Zusatz-Features wie Pre-Select (Schalten im Rollen) und Start-Select (festgelegter Anfahrtsgang) macht die Pinion MGU in den Augen vieler Leser-Tester zum überlegenen System gegenüber der Kettenschaltung. Auch dass man selbst in fiesen Rampen gefahrlos die Gänge wechseln kann, erwähnt fast jeder Tester lobend. Dosierbarkeit und Motorleistung können überzeugen. Der Motor bleibt bergab leise und nichts klappert, das fällt positiv auf. Gerade für anspruchsvolle Trails würden viele Tester in Zukunft lieber zu einem Bike mit Pinion MGU greifen als zur klassischen Kettenschaltung.
Im moderaten Gelände gibt’s nur wenig Kritik an Pinions MGU vonseiten der Leser. Im Gegenteil: Angenehmes und schnelles Schalten, gelungene Motorabstimmung, ordentlich Power – das passt! Displays und Bedienung überzeugen, die höhere Lautstärke in den ersten vier Gängen stört nur vereinzelte Tester, die großen Gangsprünge bemängelt nur ein einziger. Dass die Reichweite minimal geringer ausfällt als bei vielen gängigen Motor-Akku-Kombinationen ist da noch am ehesten ein Argument. In Summe ist trotzdem ganz klar: Die Begeisterung überwiegt.
Mittlerweile läutet der dritte Tag langsam das Ende des Trailcamps und auch unseres Lesertests ein. Heute steht die letzte große Tour auf dem Plan, aber die hat es mit einem kräftezehrenden Auf-und-ab-Trail zwischen Kaltern und Eppan noch mal richtig in sich. Perfekt für starke E-MTBs, die an den kurzen und extrem steilen Anstiegen voll ihre Stärken ausspielen können.
Doch an Akkusparen ist hier nicht zu denken. Tester Uli, eigentlich begeistert von der MGU, schielt immer wieder ängstlich auf den Akkustand. Der pensionierte Sportlehrer muss wegen Problemen mit den Gelenken viel Unterstützung abrufen und schleppt sich nach gut 1300 Höhenmetern auf den letzten Prozenten zur rettenden Einkehr mit Lademöglichkeit.
Auch Tester Reiner meldet sich wieder zu Wort: “Mit meinem 750er-Bosch komm’ ich da sicher etwas weiter.” Das deckt sich mit unseren Erfahrungen: In kontrollierten Tests fuhren wir mit dem reichweitenstarken Bosch-System 20 bis 25 Prozent weiter, gängige Shimano-Akkus mit rund 720 Wattstunden schaffen etwa zehn bis 15 Prozent mehr. Viele Leser-Tester würden deswegen zähneknirschend zum großen 960er-Akku greifen, obwohl der die Bikes mit MGU noch teurer und schwerer macht.
Die ersten Gruppen sitzen schon beim Eis, als auch noch Lesertester Marcus angerollt kommt. Etwas hilflos schiebt der Münchener sein Testbike in den Radlständer und zuckt die Achseln: Antriebsriemen gerissen! Der Supergau für das vermeintlich pannensichere Pinion-System? Eine befriedigende Erklärung für den Defekt können auch die Profis von Pinion und Simplon nicht liefern. Produktions-, Transport- oder Montagefehler, verdreht oder beschädigt durch Steinschlag auf dem Trail? Es ist nicht mehr nachzuvollziehen.
Eigentlich sind Riemen eher haltbarer als Kettenantriebe, das sagen auch unabhängige Experten. Allerdings sind die enorm zugfesten Fasern im Riemen empfindlich gegen einige spezielle Belastungen. Obwohl der Defekt die Euphorie der Lesertester etwas dämpft: Ein echtes Problem sieht keiner im gerissenen Riemen. Ein Verschleißteil eben, sagen die meisten.
Dass trotzdem nur wenige ein MGU-Bike kaufen würden, liegt vor allem am Preis. “Fast 10.000 Euro für ein Fahrrad – für mich ist das indiskutabel”, sagt Tester Nicolas. Auch Tester Gerd, der am ersten Tag schon so begeistert von Funktion und Schaltgeschwindigkeit der MGU war, zieht ein ähnliches Fazit. “Sechs oder sechseinhalb Tausend Euro, okay. Aber da warte ich lieber noch ein bisschen. Früher oder später werden die Preise schon fallen.”
Das Feedback unserer Lesertester zur Pinion MGU ist ganz überwiegend positiv ausgefallen. Das andere Schaltgefühl im Vergleich zur Kettenschaltung und der Doppelshift wurden kaum als störend wahrgenommen. Zusatzfeatures wie Schalten im Stand sind neben dem geringeren Wartungsaufwand für viele Leser starke Argumente. Daran ändert auch der Riemendefekt nichts. Der hohe Preis bleibt für viele aber ein ernstes Hindernis. – Adrian Kaether, Redakteur Test & Technik für BIKE und EMTB
Was ist denn nun besser - Riemen oder Kette? Wir besprachen die Frage mit einem Experten im Interview. Dipl.-Ing. Marco Rauch ist Productmanager bei Rohloff. Die Mittelhessen setzen bei ihren Getriebenaben schon seit Jahren parallel auf Kette und Riemen. Sie kennen die Stärken und Tücken beider Antriebssysteme.
EMTB: Antriebsriemen gelten als besonders wartungsarm und haltbar. Kann man das so unterschreiben?
Marco Rauch: Riemen können extrem haltbar sein. Wie bei der Kette bestimmen aber auch hier äußere Faktoren wie Belastung, Verschmutzung und Einsatzbereich, wie langlebig der Riemen wirklich ist.
Kann man bei beim Thema Haltbarkeit konkret werden?
Am ehesten kann man sagen: Unter ähnlichen Bedingungen hält der Riemen zweieinhalb bis dreimal so lang wie eine Kette. Dafür müssen im Vorfeld jedoch bestimmte Voraussetzungen am Rahmen erfüllt sein.
Worum genau geht es dabei?
Ein Riemen verhält sich bei der Kraftübertragung grundlegend anders als eine Kette. Er neigt dazu, auf der Riemenscheibe nach oben zu steigen. Am Fully muss er deshalb durch einen Spanner penibel unter Spannung gehalten werden. Außerdem muss der Riemen für eine lange Haltbarkeit immer gut fluchten. Die Toleranz liegt hier bei +/- 1 Millimeter. Gerade beim potenziell weniger seitensteifen Fully ist das für die Hersteller eine Herausforderung. Moderne Riemen mit Mittelführungsnut sind aber gegen Verknicken und Verdrehen deutlich unempfindlicher.
Mit Blick auf den Einsatz am E-MTB: Können auch Kollisionen mit Stöcken und Steinen zum Thema werden?
Groben Matsch in den Zähnen oder Schläge durch Aufsetzer oder scharfe Steine mögen Riemen nicht. Beim Service oder bei Pannen mit HR-Aus-/Einbau braucht es außerdem die richtige Handhabung und entsprechend informierte Fahrer oder geschultes Werkstattpersonal.
Klingt kompliziert. Warum verbaut man Riemen trotzdem?
Die potenzielle Haltbarkeit ist das eine Argument. Aber der Riemen braucht auch weniger Pflege, macht ohne Schmierung nichts dreckig und klappert nicht. Das ist eine feine Sache! An einem starren Heck kann man außerdem Flucht und Spannung gut kontrollieren. Für sportliche E-MTBs mit viel Motorleistung gibt es von Gates aber eine Begrenzung auf 100 Nm. Die gibt es bei Ketten nicht.