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Knapp fünf Jahre ist es her, dass E-MTB-Vorreiter Haibike sein Flyon vorstellte: Ein fast 30 Kilo schweres Powerbike, in dem ein TQ-Motor mit gewaltigen 120 Newtonmetern Drehmoment wütete. Das Flyon polarisierte wie kein E-Bike zuvor: mehr Motorrad als Fahrrad, schlecht fürs Image des Mountainbikens – weder Fachmedien noch Kunden konnten sich für das Monster begeistern. Noch bevor das Haibike Flyon am Markt eine Chance hatte, riss die Haibike-Geschäftsführung das Steuer herum – und schlug eine komplett andere Richtung ein. Das Ergebnis stellten die Schweinfurter letztes Jahr vor: das Haibike Lyke, das erste Light-E-MTB mit einem Fazua-Ride-60-Antrieb.
Die jüngere Geschichte der Pioniere aus Unterfranken steht stellvertretend für die Entwicklung, die das E-Mountainbike in den letzten Jahren nahm. Vor allem die sportliche Klientel will sich nicht passiv vom Rad den Berg raufshutteln lassen, sondern ein fahraktives E-Bike, mit dem man sich sportlich und agil durchs Terrain bewegen kann. Feinfühlige Motoren sind dafür ebenso gefragt wie geringes Gesamtgewicht und sportliche Geometrien. Und die neue Generation der Minimal-Assist-Motoren macht genau das möglich.
Bis 2022 hatte sich das Light- oder Minimal-Assist-Segment eher zaghaft Anteile am Gesamtmarkt erarbeitet. So richtig Fahrt aufgenommen hat das Thema, als letztes Jahr der Fazua Ride 60 und der TQ HPR 50 vorgestellt wurden. Beide Motoren heben die Light-Kategorie auf ein neues Level. TQ in Sachen Unauffälligkeit, Fazua beim Thema Vielseitigkeit. Beide machen mit kompakten Maßen ungeahnt schlanke Bikes möglich.
Und die Vielfalt in diesem Segment wächst weiter. Vor Kurzem hat Specialized, einer der Vorreiter der Light-Sparte, sein neues Aggregat vorgestellt: den SL 1.2. Und nun will auch Bosch dafür sorgen, dass der Trend in die Breite geht: Mit dem Performance SX hat der Marktführer dieser Motorengattung seinen Segen gegeben. So arbeitet die Branche daran, mit den Light-Motoren und -Bikes auch jene Zielgruppen zu begeistern, die dem E-Trend bislang noch skeptisch gegenüberstehen. Die sechs derzeit relevantesten Antriebe vergleichen wir in diesem Test.
Spitzenreiter in Sachen Leistung ist der Bosch Performance Line SX. Bei hohen Trittfrequenzen blüht der E-Bike-Motor förmlich auf. Aber seine volle Power gibt er erst bei überdurchschnittlicher Eigenleistung des Fahrers frei und dann auch nur für kurze Zeit. Auch der Fazua Antrieb kann über die Boost-Funktion kurzzeitig hohe Leistung abliefern (hellroter Balken). Der neue Specialized Motor gehört nach wie vor zu den eher dezenten Antrieben. Auf ähnlichem Niveau landet auch TQs HPR 50, den wir nicht im Labor getestet haben.
*Ermittelt im Prüflabor PTLabs bei höchster Unterstützungsstufe. Rollenprüfstand mit Leistungsabnahme am Hinterreifen.
Der Bafang-Motor, der in den Forestal-Bikes verbaut ist, überrascht mit einem Drehmoment auf Power-Motoren-Niveau. Das erklärt seine plakative Kraftentfaltung. Fazua und EP8 RS folgen mit deutlichem Abstand auf ähnlichem Niveau, Specialized und auch der neue Bosch SX liegen etwas dahinter. Der Specialized SL 1.2 hat im Vergleich zu seinem Vorgänger eine deutliche Schippe zugelegt. In der Praxis zeigt sich das Drehmoment bei niedrigen Trittfrequenzen, also beim Anfahren und an Steilstufen im Gelände.
*Ermittelt im Prüflabor PTLabs bei höchster Unterstützungsstufe. Rollenprüfstand mit Leistungsabnahme am Hinterreifen.
Als neuester Player ist auch der Branchenriese Bosch ins Segment der Light-Antriebe eingestiegen. Herausragend ist das Verhältnis aus Gewicht und Leistung. Mit gut zwei Kilo ist er auf Augenhöhe mit der Konkurrenz, power-seitig sticht er mit seiner Spitzenleistung von über 500 Watt alle anderen Leichtgewichte locker aus. Besonderheit: Seinen vollen Schub bringt er nur kurzfristig und bei überdurchschnittlichem Fahrer-Input. Außerdem reagiert der SX extrem auf die Trittfrequenz des Bikers. Bei langsamem Spin ist die Leistung nur mäßig. Das zeigt auch das leidlich hohe Drehmoment. In technischen Schlüsselstellen, wo die Füße nicht wirbeln können, gibt es kräftigere Light-Motoren. Herausragend sind wiederum Ansprechverhalten und Modulation des Bosch SX. Schade: klappert deutlich in der Abfahrt.
Extrem spritzig und leistungsstark macht der SX den Spagat zwischen Light- und Power-Motor. Das Drehmoment ist nur Mittelmaß, das Ansprechverhalten dafür überragend.
Der 2022 vorgestellte Ride 60 von Fazua ist ein echter Tausendsassa. Mit seiner hohen Leistung, guten Standfestigkeit und spritzigen Kraftentfaltung enttäuscht er auch power-orientierte E-Biker, die ein leichtes System suchen, nicht. Dennoch halten Gewicht und Fahrgefühl voll in der Light-Klasse mit. Der verhältnismäßig große 430-Wh-Akku bringt eine top Reichweite. Besonderheit ist die Boost-Funktion: Auf Tastendruck wirft der Motor dann kurzfristig 450 Watt aus – ein echter Benefit für kurze, steile Schlüsselstellen. Das Fahrgefühl mit dem Ride 60 hat durchaus E-Bike-Charakter – ohne dabei ruppig zu werden. Auch bei sehr hohen Kadenzen zieht der Ride 60 durch, das verleiht dem Motor Spritzigkeit. Mit dem letzten Update hat Fazua auch beim verzögerten Einsetzen und der Schiebehilfe deutlich nachgebessert.
Kraftvoll, standfest und reichweitenstark bei geringem Gewicht, kompakter Größe und spritzigem Fahrgefühl. Der Fazua ist der vielseitigste Allrounder unter den Light-Motoren.
Der Underdog aus Andorra hat uns mit viel Leistung und massig Drehmoment überrascht. Seinen Wums setzt der Motor sehr plakativ und etwas ungehobelt frei. Im Nitro-Modus schiebt er schon bei geringstem Fahrer-Input voll an. Die Dosierbarkeit könnte besser sein. Beeindruckend: volles E-Bike-Feeling bei geringem Gewicht und kompaktem Baumaß! Leider ist auch die Lautstärke entsprechend hoch. Im sportlichen Einsatz stört, dass die Leistung bei sehr hohen Trittfrequenzen deutlich einbricht. Forestal sieht die hohen Unterstützungsstufen eher als Notnagel für kurze Schlüsselstellen denn als Dauermodus. Diesem Appell schließen wir uns an. Denn ruft man die volle Power des Aggregats dauerhaft ab, ist der Akku ruckzuck leergesaugt. Außerdem wird das Gehäuse sehr heiß, und die Leistung fährt zurück.
Üppig Power in einem kleinen, leichten Paket. Der F60-S1 Motor liefert plakatives E-Bike-Feeling, ist aber leider recht laut und etwas ungehobelt. Der Akku geht schnell zur Neige.
Die Software kommt von Orbea, die Hardware des EP8 RS Motors ist aber identisch mit dem klassischen Shimano EP8. Kein Wunder also, dass er in Sachen Gewicht nicht mit der Konkurrenz mithalten kann. Dafür kann der RS mit ordentlicher Leistung, kräftigem Drehmoment und großem Akku fast mit klassischen E-MTB-Motoren mitfahren. Seine volle Leistung ruft der EP8 RS Antrieb im Grund-Setup des Turbo-Modus schon bei geringem Fahrer-Input ab. Dadurch fühlt sich der Motor in der Praxis sogar noch etwas kräftiger an, als es die Laborwerte vermuten lassen. Bei sehr hohen Kadenzen geht dem EP8 etwas die Puste aus, das nimmt ihm die Spritzigkeit. Das Getriebe klappert beim Überrollen von Hindernissen markant.
Standfest, kräftig, reichweitenstark – das sind die Stärken des EP8 RS Motors. Damit schließt das von Orbea getunte Shimano-Aggregat die Lücke zwischen minimalistischen Light-Antrieben und der Power-Klasse. Beachtlich, dass Orbea mit diesem Konzept dermaßen leichte E-MTBs baut.
Optisch hat sich der neue Light-Motor von Specialized kaum verändert, technisch hat sich aber richtig viel beim SL 1.2 getan. Der E-Bike-Motor hat spür- und messbar an Leistung und Drehmoment zugelegt, nicht aber an Gewicht und Abmessungen. Im Vergleich mit den stärkeren Light-Kandidaten ist aber auch der Specialized SL 1.2 ein eher dezenter Unterstützer. Einen Shuttle-Modus für Tretfaule gibt es hier nicht. Dafür ist das Fahrgefühl geschmeidig und die Power exzellent dosierbar. Außerdem fällt das Specialized-Aggregat mit hervorragender Effizienz auf. Die Lautstärke des Motors war ein dicker Kritikpunkt am SL 1.1. Auch hier hat Specialized eindeutig nachgebessert. Doch der Antrieb bleibt deutlich hörbar. Damit landet er im guten Mittelfeld der Light-Klasse.
Leicht, effizient und geschmeidig: Der SL 1.2 ist ein dezenter und unauffälliger Light-Antrieb. Seine Stärken liegen bei Effizienz und Fahrgefühl, weniger bei maximaler Leistung und flüsterleisem Lauf. Display und Bedienelemente sind top!
Obwohl wir den TQ HPR 50 noch nicht auf dem Laborprüfstand testen konnten, kennen wir den Antrieb sehr gut. Der TQ ist der kompakteste Antrieb der Light-Klasse. In der Praxis besticht vor allem sein natürlicher und dezenter Charakter. Das direkte Einsetzen des Freilaufs erzeugt ein sattes und wertiges Anfahrgefühl. Das Antriebsgeräusch ist besonders leise und unaufdringlich. Außerdem setzt der HPR 50 Motor so geschmeidig ein wie kein anderer Antrieb. Das Fahrgefühl landet damit weit entfernt vom klassischen E-Bike-Schub. Das liegt auch an seiner gemäßigten Power, mit der er ungefähr auf dem Niveau des Specialized SL 1.2 liegt. Einen negativen Ausreißer leistet sich der kleine Rundling bei der Standfestigkeit. Auf dauerhaften Vollgasbetrieb reagiert er mit der deutlichsten Leistungsreduktion und hoher Gehäusetemperatur.
Benchmark bei Lautstärke, Gewicht und Fahrgefühl – das macht den HPR 50 zum unauffälligsten Motor im Feld. Perfekt für alle, die möglichst nah am MTB bleiben wollen.
¹Ermittelt auf den Prüfständen im EMTB-Testlabor.
²Herstellerangabe
³Ermittelt im Prüflabor PT Labs. Rollenprüfstand mit Leistungsabnahme am Hinterreifen.
Die Bewertung setzt sich aus den subjektiven Eindrücken der Tester und den Ergebnissen der Labormessungen zusammen.