Dieser Artikel wurde erstmalig am 26.6.24 veröffentlicht. Mittlerweile konnten wir den ZF CentriX auch ausführlich im Gelände und im Labor testen. Den aktuellen Stand zum ZF Motor lest ihr hier:
Der kreisrunde E-Bike-Motor ZF Centrix beeindruckt auf dem Papier mit vielversprechenden Werten. 90 Newtonmeter soll der Antrieb liefern und dabei nur 2,5 Kilo wiegen. Das wäre ein nie dagewesenes Verhältnis aus Gewicht und Drehmoment. Außerdem ist das runde Aggregat mit 88 Millimetern im Durchmesser richtig klein. “Kaum größer als eine 0,33 Liter Getränkedose”, wirbt der Hersteller.
Die Spitzenleistung soll bei 600 Watt liegen, also auf dem Niveau von Boschs Performance Line CX (85 Nm, 2,9 kg) und Shimanos EP801 (85 Nm, 2,65 kg). Schon kurz vor Beginn der Eurobike 2024 enthüllte der Technologiekonzern aus Friedrichshafen seine dicke Neuheit. Wir konnten die Chance auf der Messe bereits für einen ersten Fahr-Check nutzen.
ZF und E-Bike - war da nicht schon mal etwas? Richtig, ZF war 2018 Teil des neu gegründeten Joint Ventures Sachs Micro Mobility. Mit dem RS Motor betrat die Marke 2019 den Markt für E-Bike-Motoren. (Hier geht´s zum ersten Test des Kraftpakets Sachs RS aus dem Jahr 2019 und allen technischen Details.) Später kaufte ZF alle Anteile der Sachs Micro Mobility. ZF steigt also nicht aus dem Nichts ins E-Bike-Thema ein. Den RS-Motor wird es unter dem Label Sachs übrigens weiter geben.
Das ZF Bike Eco System setzt auf 48 Volt, während die meisten klassischen E-Bike-Motoren auf 36 Volt laufen. Besonders ist die kreisrunde Form, die unweigerlich an die Motoren von TQ erinnert, wie den leichten HPR50 oder den superstarken TQ HPR120. Tatsächlich gibt es auch im Inneren gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem ZF- und den TQ-Motoren.
Nämlich das runde Getriebe, das deutlich platzsparender ist und mit weniger Bauteilen auskommt als die Lösungen der Klassiker um Bosch und Shimano. Das macht Hoffnung darauf, dass der ZF Centrix Motor auf das nervige Klappern aus Getriebe und Freilauf verzichtet. Mehr dazu unten im Fahrtest. Auch wenn das Wellgetriebe im Centrix nicht identisch mit dem namensgebenden Harmonic Pinring in den TQ-Antrieben ist, ähneln sich doch Bauform und Funktionsweise.
Der Centrix kommt mit zwei Akku-Varianten à 504 bzw. 756 Wattstunden, die über ein spezielles Schienensystem im Unterrohr montiert werden. Als Steuereinheit sitzt der Core Controller im Oberrohr. Hier kann das System bedient werden und der Fahrer erkennt über ein LED-Kreisdisplay die wichtigsten Infos wie den Ladezustand der Batterie. Optional kann am Lenker eine Remote oder ein hochauflösendes Farbdisplay mit Touch-Funktion gekoppelt werden.
Bei der Befestigung der Batterien im Unterrohr spricht ZF von einem “innovativen Schienensystem”, über das die Akkus zum Laden oder Wechseln aus dem Bike entnommen werden können. Ebenfalls besonders: Die zentrale Steuereinheit im Oberrohr, genannt Core Controller, bietet eine Schnittstelle über magnetische Federkontakte, über die Drittgeräte wie Smartphones aufgeladen werden können.
Mit dem eigenen Eco System bietet ZF ein Komplettpaket für Bike-Hersteller an. Doch das System ist auch offen für Produkte von Drittherstellern. Das gilt sowohl für Bedienelemente wie auch Akkus. So haben Bike-Marken maximale Freiheit, um individuelle Konzepte umzusetzen. Für viele Hersteller dürfte das ein großes Argument sein, denn die hauseigenen Akkus mit 504 oder 756 Wattstunden fallen eher schwer und auch recht klobig aus.
Der ZF-Antrieb ist nagelneu und serienfertige Bikes gibt es noch nicht. Doch ein Modell hat sich bereits angekündigt: Raymon bringt für das Modelljahr 2025 eine ganz neue Plattform mit dem ZF Centrix, das Tarok Ultra. Der Vollcarbonrahmen liefert 160 Millimeter Federweg und ist auf ein Mullet-Setup mit 29er-Vorderrad und 27,5 Zoll im Heck ausgelegt. Der Akku mit 756 Wattstunden lässt sich klassisch nach vorne aus dem Unterrohr herausklappen. Das Tarok Ultra soll es zum Verkaufsstart Anfang 2025 in drei Ausstattungsvarianten geben. Wir sind gespannt auf die ersten Testfahrten mit dem vermeintlichen Super-Motor und halten Euch auf unseren Kanälen dazu auf dem Laufenden!
Die kompakte Form des ZF Centrix sticht sofort ins Auge. Leider können die ersten Bikes mit dem Antrieb die schlanke Linie nicht ganz halten. Denn die Unterrohre sind gemessen am kompakten Motor eher bullig. Schuld daran sind die recht kantigen und nicht gerade leichten ZF-Akkus. Doch Bike-Firmen dürfen auch auf Batterien von Drittherstellern zurückgreifen, das macht Hoffnung.
Unser erster Fahreindruck fällt zwiegespalten aus. Besonders ist die Geräuschentwicklung: Der Motor brummt turbinenartig. In unserer Wahrnehmung tendenziell etwas lauter als Bosch und Shimano, aber mit angenehmer Frequenz. Klappergeräusche aus dem Freilauf kann man dem Centrix hingegen nicht entlocken. Das Aggregat vermittelt außerdem einen sehr kraftvollen Eindruck – und das trotz kompakter Größe. Dennoch setzt der Centrix nicht ungestüm oder ruppig ein. Im Gegenteil: Beim Anfahren schiebt der ZF-Motor noch moderat und fährt erst mit ein, zwei Pedalumdrehungen auf den vollen Schub hoch.
Das lässt die Kraftentfaltung geschmeidig, aber etwas träge wirken. Mit dem deutlichen Nachlauf ab Werk wirkt der Motor etwas vom Tritt entkoppelt. Auch lässt die Leistung des Centrix bei hohen Trittfrequenzen ab etwa 110 U/min spürbar nach. Beim Beschleunigen vor kurzen Gegenanstiegen oder Hindernissen im Uphill könnte das hinderlich sein - von Shimano kennen wir ein ähnliches Phänomen. Bei aller Kritik muss man aber sagen: Die Software des ZF Centrix entspricht aktuell noch nicht dem Serienstand. Gerade beim aktuell noch etwas indirekten Einsetzen ist es gut möglich, dass die Entwickler hier noch nachbessern können.
Kompakt, leicht und kräftig zugleich: So stark war ein so kleiner Motor noch nie! Im Praxiseindruck wirkt der ZF Centrix an manchen Ecken aber noch etwas roh. Und schade, dass die kantigen und schweren Batterien einem schlanken Komplettbike-Look und geringem Gesamtgewicht entgegenstehen. Spannend ist das Projekt nichtsdestotrotz- zumal mit ZF ein potenter Konzern dahintersteckt. Wir sind gespannt, wie sich der Motor im Serienzustand fährt. - Florentin Vesenbeckh, Ressortleiter Test und Technik beim EMTB Magazin
ZF steht für Zahnradfabrik Friedrichshafen. Die ZF Friedrichshafen AG, auch bekannt als ZF Group, hat ihren Hauptsitz in Friedrichshafen nahe dem Bodensee. Als global agierender Technologiekonzern ist sie hauptsächlich im Besitz der Stadt Friedrichshafen. Sie bietet Systemlösungen für die Mobilität von Personenkraftwagen, Nutzfahrzeugen und Industrietechnik an. Der ZF-Konzern unterhält 162 Produktionsstätten in 31 Ländern.
Im Jahr 2023 erzielte ZF mit etwa 168.700 Mitarbeitern weltweit einen Umsatz von 46,6 Milliarden Euro. Das Unternehmen investierte 7,6 Prozent seines Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Die Zeppelin-Stiftung, verwaltet von der Stadt Friedrichshafen, hält 93,8 Prozent der Anteile. Gegründet wurde das Unternehmen im Jahr 1915 als Zahnradfabrik GmbH.
Wie im vergangenen Jahr zeigt das BIKE-Team in einem kontinuierlichen Liveblog Produktneuheiten der Eurobike, die Events der Messe und alles, was drumherum passiert.