Florentin Vesenbeckh
· 16.04.2025
Selten wurde ich so vehement auf ein und dasselbe Thema angesprochen. Ob Kollegen, Pressevertreter von Bike-Firmen oder Bekannte, die nur entfernt mit Biken zu tun haben. Jeder wollte wissen: „Was ist jetzt mit diesem DJI-Motor? Bist du das Amflow schon gefahren?“ Oder: „Ist das Ding wirklich so gut?“
Tatsächlich gab es im letzten Jahrzehnt wohl kaum ein Produkt, das die Bike-Branche dermaßen in Aufruhr versetzt hat, wie der DJI-Motor Avinox M1, der auf der Eurobike 2025 das Licht der Welt erblickte. Entsprechend gespannt waren auch wir in der Redaktion persönlich auf diesen Test.
Herausragend sind die Eckdaten. Bis zu 1000 Watt Leistung bei 2,57 Kilo Gewicht verspricht der chinesische Tech-Riese. Diese Werte deklassieren die der Konkurrenz um Längen. Dabei schien es in den letzten Jahren, als sei bei der Motorleistung pro Kilo das technische Maximum so langsam erreicht. Wie kann das funktionieren?
Für diesen Artikel haben wir den Avinox ausführlich getestet, im Labor gecheckt, durchs Gelände gescheucht und mit Wattmesspedalen bestückt zum Reichweiten- und Derating-Test geführt. Um es vorweg zu nehmen: Die Zahlen sind kein Marketing-Blabla. Der DJI Avinox hält, was er verspricht.
An anderer Stelle ist es weniger überraschend, dass DJI punktet. Display, App, Bedienung: Hier können die Chinesen auf ihr Know-how und Bauteile aus dem Drohnen-Business zurückgreifen. Und auch das machen sie mit Bravour.
Glänzende Darstellung, überzeugende Touch-Funktion und vor allem intuitive Bedienung. Auch das macht kein anderer Hersteller besser. Lediglich die Bedienung und das Eco-System vom brandneuen Specialized Turbo Levo können hier mithalten und das Avinox-Zubehör in Sachen Look and Feel sogar noch etwas übertrumpfen.
Die größte Schwäche des DJI Avinox war in den letzten Monaten, dass er nur in einem Bike erhältlich war. Auch wenn das Amflow PL Carbon im Test einen guten Eindruck hinterlässt, wird die Frage nach weiteren Playern mit dem DJI-Antrieb laut.
Inzwischen haben einige Marken ihre Projekte mit DJI Avinox bereits der Öffentlichkeit präsentiert. Die Spanier von Megamo zeigen mit dem Reason und Reason Air ein E-MTB-Fully, das verhältnismäßig günstig zu haben ist.
Ebenfalls aus Spanien kommt das exklusive Edel-Enduro Unno Mith. Und von der kanadischen Gravity-Brand Forbidden kommen mit dem Druid CorE und Druid LitE zwei besondere Bikes für Abfahrtsexperten.
Auch wenn die Bikes aktuell noch nicht zu kaufen sind: Es wird nicht mehr lange dauern, bis Alternativen zum Ur-DJI-Bike auch im Laden stehen.
Ist der DJI Avinox M1 wirklich so stark, wie die Herstellerangaben versprechen? Vorab waren wir skeptisch. Doch direkt beim ersten Praxis-Einsatz wird deutlich, wie viel stärker der Avinox im Vergleich zu Bosch, Shimano und Co ist. Eine andere Liga!
Auf dem Rollenprüfstand im Testlabor PT Labs ermittelten wir im Turbo-Modus 861 Watt, mit der Boost-Funktion sogar 987 Watt Spitzenleistung. Das entspricht ziemlich genau den Herstellerangaben. Bosch, Shimano und Brose landen bei knapp 550 Watt in der Spitze. Diese Daten zeigen völlig objektiv und direkt vergleichbar den enormen Leistungsvorsprung des DJI Avinox. Obendrein ist der Avinox-Motor der leichteste Motor in diesem Dreigestirn. Insbesondere der Unterschied zum Performance CX ist mit knapp 300 Gramm beachtlich.
In der Praxis sieht das dann so aus: Den 412-Höhenmeter-Anstieg mit 12,2 Prozent Steigung unseres standardisierten Reichweitentests erstürmt das Amflow im Turbo-Modus mit 21,2 km/h Durchschnittsgeschwindigkeit in unter 10 Minuten. Damit setzt DJI mit deutlichem Abstand die Bestmarke aller Systeme, die wir dort je getestet haben. Bosch und Shimano brauchen dafür rund 13:30 bis 14 Minuten bei gut 15 km/h im Schnitt.
Im Gelände wird diese überlegene Power ebenfalls schnell deutlich. Steile Stiche und Schlüsselstellen erreicht man mit deutlich mehr Schwung. Wo andere Motoren schon am Limit arbeiten, kann der Avinox nochmal beschleunigen. Auch das deutlich höhere Drehmoment ist spürbar. Wenn die Trittfrequenz mal in den Keller geht, zieht der DJI-Motor unbeirrt und richtig kräftig durch. Was die Power angeht, ist man damit den anderen Antrieben deutlich überlegen und die Grenze des Fahrbaren verschiebt sich nach oben.
Auch den Tretwiderstand bei ausgeschaltetem Motor haben wir im Labor geprüft – und dabei eine der wenigen Disziplinen entdeckt, in denen der Motor Schwäche zeigt. 14,8 Watt haben wir beim Avinox M1 gemessen. Boschs Performance CX konnte den Widerstand bei der Neuauflage von 13,8 (Gen4) auf 9,1 Watt (Gen5) senken. Hier hinkt DJI etwas hinterher.
Bei unserem standardisierten Reichweitentest zog der DJI Avinox mit 800-Wattstunden-Akku in Rekordgeschwindigkeit zum Gipfel. Viel Power braucht viel Strom, entsprechend war der Spaß nach gut 1600 Höhenmetern recht früh beendet.
Zum Vergleich: Ein Bosch Performance CX mit Powetube 800 erreicht deutlich über 2000 Höhenmeter, allerdings bei viel langsamerer Fahrt. Die Ergebnisse zeigt die folgende Grafik unter “Reichhöhe Vollgas”.
Um das genauer einzuordnen, haben wir an anderer Stelle einen extra Testlauf durchgeführt und dabei den Avinox an die Leistung des Performance CX angeglichen. Beide Systeme stehen mit nominell 800 Wh am Start.
Die Fahrerleistung haben wir mit Wattmesstechnik von Garmin überwacht und konstant gehalten, das Systemgewicht angeglichen. So klettern die beiden Antriebe synchron den Berg hinauf. Dieses Szenario zeigen wir oben in der Grafik unter “Reichhöhe gelevelt”.
Erste Erkenntnis: Der Akku-Stand schmilzt am Display erstmal im Gleichschritt. Sind die 50 Prozent Ladestand unterschritten, verliert das DJI-System aber etwas schneller. Bei fünf Prozent Rest-Akku geht der Avinox in den Notlauf-Modus und schiebt nur noch mit rund 100 Watt. Gut 1900 Höhenmeter stehen zu diesem Zeitpunkt auf der Uhr. Der CX ist zeitgleich noch bei 10 Prozent und schiebt unbeirrt mit konstanter Power weiter. So sammelt er nochmal über 190 Höhenmeter im Turbo-Modus.
Zwar schafft auch das DJI-Bike mit Minimalschub noch einiges an Höhe, allerdings kommt diese zum größeren Teil aus den Muskeln des Fahrers und nicht aus dem Akku. Diese Reichweitenleistung des DJI Avinox ist beachtlich, denn es fehlt nicht viel zum Bosch-Antrieb, der in unseren Tests die Benchmark setzt. Obendrein ist die 800er-DJI-Batterie gut 150 Gramm leichter als das Bosch-Pendant.
Noch dazu hat DJI den Vorteil eines Schnellladegeräts. Der 800er Akku war im Test in 2:33 Stunden vollgeladen, der Bosch Powertube 800 in 6:08 Stunden. In der Praxis auf Tour noch relevanter: In einer Stunde füttert der DJI-Lader den Akku um 48 Prozent, bei Bosch bekamen wir in 60 Minuten 25 Prozent zurück in den Tank.
Wir konnten das Amflow PL Carbon auch schon mit dem kleineren 600er-Akku ausführlich testen. Und auch hier haben wir einen aufwendigen Reichweitentest gemacht. Im Vergleich mit den leichten Power-Bikes Cannondale Moterra SL und BH iLynx+ SL bewies das Amflow die beste Effizienz. Bei angeglichener Geschwindigkeit und Motorleistung kletterte das Amflow mit 600 Wh minimal weiter als die Konkurrenten mit Shimano-Motor und nominell 600 bzw. 630 Wh.
Massive Power auf kompaktem Bauraum bei geringem Gewicht. Kann das gutgehen? Kaum jemand traute dem Avinox eine ordentliche Hitzebeständigkeit zu. Bei herbstlichen Temperaturen und Schnee in den Höhenlagen war ein echter Härtetest nicht möglich. Doch wir haben unser bestes gegeben, um der Standfestigkeit des Avinox auf den Zahn zu fühlen.
Bei rund 6 Grad Außentemperatur scheuchten wir das Amflow einen steilen Anstieg nahe Bozen im Turbomodus hinauf. Systemgewicht inkl. Bike 120 Kilo, 200 Watt Fahrerleistung. An besonders steilen Rampen zündeten wir gelegentlich die Boost-Funktion, um die volle Spitzenleistung abzurufen und den Motor zusätzlich zu stressen. Nach 22 Minuten standen sieben Kilometer und 840 Höhenmeter auf der Uhr – ohne spürbare Leistungseinbußen.
Kurz darauf folgte ein Steilstück, an dem das Zünden der Boost-Funktion keinen Effekt mehr zeigte. Statt auf 1000 Watt hinaufzuschnellen, blieb es bei rund 800 - 850 Watt auf der Anzeige. Gekitzelt von dieser kleinen "Schwäche" trieben wir den Avinox weiter mit Vollgas Richtung Gipfel.
Nach insgesamt 35 Minuten und rund 1300 Höhenmetern im Dauer-Turbo reduzierte der Motor seine Leistung deutlich und spuckte eine Warnung aus: "Motorleistung eingeschränkt. Akku überhitzt".
Rund 200 Watt Motorleistung flimmerten noch im Display. Nach einer Pause von wenigen Minuten war die volle Power wieder zurück. Als Schwäche kann man das nicht bezeichnen. Uns hat eher beeindruckt, wie konstant der Avinox seine krasse Leistung aufrecht halten kann.
Fraglich bleibt, wie sich der Motor bei heißen Sommertemperaturen schlägt. Zur Einordnung: Mit anderen Motoren, denen wir eine geringe Standfestigkeit vorgeworfen haben, hatten wir auch bei Temperaturen um zehn Grad und schon bei deutlich kürzeren Belastungen unter 15 Minuten spürbare Leistungseinbußen.
TQ HPR 120, Sachs RS, Panasonic GX Ultimate – es gibt einige Motoren am Markt, die die Klassiker von Shimano und Bosch in Sachen Power ausstechen. Doch sie alle haben sich nie richtig durchgesetzt. Neben hohem Gewicht legen sie alle auch ein mehr oder weniger ungehobeltes Fahrverhalten an den Tag. Kann man brachiale Power überhaupt so steuern, dass die Kraft am Boden ankommt und das Bike im Gelände überzeugt?
Auch wenn die Beschleunigung des DJI Avinox im Turbo-Modus radikal ist, kann man dem Neuling keinen ungehobelten Charakter vorwerfen. Im Gegenteil. Der Antrieb reagiert fein auf den Tretimpuls des Fahrers und setzt seine Power wohldosiert ein. Drosselt man den Schub etwas, sticht das Fahrgefühl als natürlich heraus und der Motor schiebt harmonisch.
Der Turbo-Modus ist in technischen Anstiegen dagegen oft zu viel des Guten. Gerade in Kombination mit dem langen Nachlauf (schon im Auslieferungszustand/Mittelstellung!) kann man das Bike kaum so präzise steuern, wie es technische Passagen bei geringer Geschwindigkeit erfordern. Da schiebt der Avinox schon mal ungestüm aus der Kurve.
Der progressive Trail-Modus ist hier deutlich besser, weil er stärker auf den Input vom Fahrer reagiert und damit nicht zu stürmisch anschiebt. In Sachen Leistung sind auch in diesem Modus deutlich mehr Reserven vorhanden, als mit einem Bosch- oder Shimano-Aggregat.
Um schwierige Uphills zu meistern, muss man sich mit dem Avinox etwas umgewöhnen und teils auch andere Linien fahren. Nach diesem Lernprozess erklettert man aber selbst Anstiege, die vorher überhaupt nicht drin waren.
Die Geräuschkulisse des Motors ist überraschend angenehm. Trotz deutlich stärkerem Schub tönt der Avinox nur wenig lauter als der neue und sehr leise neue Bosch Performance CX. Achtung: Während der Motor im kühlen Zustand zu Beginn der Fahrt extrem leise wirkt, dreht der Sound im Laufe der Belastung deutlich auf. Von einem kurzen Parkplatztest sollte man sich nicht täuschen lassen. Das ist bei vielen E-Bike-Motoren am Markt der Fall.
Aus dem Nichts stellt der DJI Avinox die Konkurrenz in den Schatten. Die Kombi aus geringem Gewicht, massiver Leistung und guter Effizienz ist definitiv die neue Benchmark. Auch die Softskills überzeugen. Ob ein E-Bike-Motor so eine brachiale Power wirklich braucht, steht dabei auf einem anderen Blatt. - Florentin Vesenbeckh, stv. Chefredakteur BIKE Magazin