Adrian Kaether
· 05.10.2025
Komplexe Technik benutzerfreundlich zu machen, ist schwer im Trend. Beim Fahrrad heißt das: Wartungsarme Riemenantriebe, Nabenschaltungen und sogar Motor-Getriebe-Einheiten wie die MGU von Pinion sind echte Verkaufsargumente geworden. Je weniger man pflegen und warten muss, desto besser. Nur ist diese Technik häufig richtig teuer. Mit dem Owuru-Motor wagt Decathlon nun den Gegenentwurf und zeigt eine Motor-Getriebe-Einheit auch in günstigen E-Bikes unter 3000 Euro.
Der Owuru-Motor vom Motorenzulieferer E2-Drives ist das Herzstück einer neuen Generation von Decathlon E-Bikes. Angefangen mit dem B’twin LD 920 von 2023 präsentiert der französische Outdoor-Anbieter damit eine ganze Reihe wartungsarmer und benutzerfreundlicher E-Bikes, die in Zukunft noch ausgebaut werden soll.
Das besondere am Owuru-Motor: Er kombiniert E-Motor und Schalt-Getriebe in einem gemeinsamen Gehäuse. Durch das eingekapselte Getriebe wie bei einer Nabenschaltung verspricht diese Technik einen besonders geringen Wartungsaufwand und eine hohe Haltbarkeit. Das kennt man schon von anderen Herstellern wie etwa Pinion mit der MGU, Valeo oder neuerdings Intradrive.
Der Motor von Decathlon-Zulieferer E2 Drives setzt auf gleich zwei E-Motoren im Inneren und ein stufenloses Automatik-Getriebe. Klare Gangsprünge wie bei einer Kettenschaltung oder einem stirnverzahnten Getriebe wie der Pinion MGU entfallen damit. Für die Automatik ein unschätzbarer Vorteil, aber dazu später mehr.
Der gesamte Motor wiegt 4,6 Kilogramm und ist damit etwas schwerer als eine klassische Kombination aus E-Motor und Kettenschaltung. E-Motor und Nabenschaltung bringen zusammen aber zusammen oft mehr auf die Waage, als der Owuru. Mit bis zu 600 Watt Spitzenleistung liegt der Owuru ungefähr auf dem Niveau klassischer 85-Nm-Antriebe, das Drehmoment beträgt 65 bis 120 Newtonmeter im Maximum, je nach Übersetzung.
Bei der Bandbreite hat Decathlon gegenüber der ersten Version im B’twin LD 920 E (>> hier erhältlich) nochmal nachgearbeitet. Das City-Bike bietet 265 Prozent, das neuere E-SUV Rockrider E-ACTV 900 (>> hier erhältlich) immerhin 310 Prozent. Der Unterschied zwischen dem kleinsten und dem größten Gang liegt damit auf einem Niveau mit vielen Nabenschaltungen à la Nexus oder Enviolo. Heißt: Für normale Touren gibt’s zumindest bei der neuen Version ausreichend kleine und große Gänge. Erst bei sehr langen und steilen Steigungen könnte man sich noch etwas mehr wünschen.
Zusätzliche Bedienelemente braucht der Owuro kaum, der Schalthebel entfällt komplett. Lediglich die Unterstützung kann in vier Stufen zwischen Eco und Turbo vorgewählt werden. Wie bei vielen anderen E-Motoren gibt’s maximal ungefähr die vierfache Fahrerleistung durch den E-Motor on top. Ein zentrales Display zeigt klassische Tacho-Funktionen an. Über die Remote zur Auswahl der Unterstützungsstufen kann mit einem zusätzlichen Knopf die gewünschte Trittfrequenz zwischen 40 und 90 Pedalumdrehungen die Minute angepasst werden.
Was in der Theorie nach komplexer Technik klingt, ist in der Praxis ganz einfach zu bedienen. Aufsitzen, E-Bike einschalten und losfahren. Tritt man zu langsam, wählt man im Display on the fly eine etwas schnellere Trittfrequenz vor und umgekehrt. Den Rest regelt der Motor, ohne dass man es spüren kann und ganz von alleine.
Steht man an der Ampel, hat der Owuro eine leichte Übersetzung vorgewählt und schiebt dann beim Beschleunigen kontinuierlich schwerere Übersetzungen nach. Da klare Gangsprünge fehlen, funktioniert das wesentlich geschmeidiger als zum Beispiel mit Pinions MGU oder automatischen Kettenschaltungen von TRP, Shimano oder Sram.
So tritt man beim Owuru tatsächlich immer ungefähr gleich schnell in die Pedale. Egal ob man gerade gleichmäßig dahinrollt, bremst oder beschleunigt. Das kann sonst so nur Enviolos Automatiq-System mit separater Schalt-Nabe. Das stufenlose Getriebe ermöglicht dabei nahtlose Übergänge und kommt auch ohne klares akustisches Feedback wie etwa dem Klacken klassischer Schaltungen aus.
Nur bei mittleren Geschwindigkeiten ist beim Beschleunigen oder Bremsen ein leichtes Vibrieren im Antrieb zu spüren. Hersteller E2-Drives erklärt das mit Resonanzen von der Kette, an denen noch gearbeitet werde. Der Motor selbst bleibt außerdem relativ ruhig, so hält sich das E-System insgesamt angenehm im Hintergrund.
Natürlich ist das System nicht perfekt. Der Motorblock unten im Rad wirkt klobig, die Übersetzungsbandbreite kann es nicht mit einer Kettenschaltung geschweige denn Rohloff oder Pinion aufnehmen. Mancher würde sich sicher auch einen Riemen statt der Antriebskette wünschen.
Decathlon will hier in Zukunft aber noch weitere Verbesserungen bringen. Und über 25 km/h oder mit ausgeschalteter Unterstützung treten sich Rad und Getriebe etwas ungewöhnlich. Das liegt daran, das einer der zwei E-Motoren - der für das Getriebe - auch dann mitlaufen muss. Das System verbraucht also auch bei ausgeschalteter Unterstützung etwas Strom.
Allerdings sollte dem Decathlon mit fast 700 Wattstunden im Tourenbetrieb nicht so schnell der Saft ausgehen. Rund 70 Kilometer waren in unseren Tests mit einer Akkuladung kein Problem und für den normalen Betrieb ist die Bandbreite des Getriebes völlig ausreichend. In den Berggängen liegt das Drehmoment mit einem Äquivalent von 65 Newtonmeter etwas niedriger als in den schnellen Gängen.
Trotzdem hat der Motor immer genug Dampf für alles außer schweres Mountainbiken. Das ist in Summe sehr viel Lob für Decathlons Motor-Getriebe-Einheit, die in Sachen Nutzerfreundlichkeit zumindest im Alltagseinsatz viele wesentlich teurere Konkurrenzsysteme in den Schatten stellt.
Der von E2-Drives entwickelte Owuru Motor aus den neuen Decathlon-Rädern leistet erstaunliches. Er vereint die Vorteile von Getriebe-Motor und stufenloser Automatik in einem extrem preisattraktiven Gesamtpaket. Nennenswerte Nachteile hat das System kaum und seine Funktion stellt viele wesentlich teurere Lösungen in den Schatten. Chapeau! - Adrian Kaether, Testleiter MYBIKE