Robert Kühnen
· 08.05.2020
Die Bremse ist einer der Knackpunkte am E-MTB: Hohes Systemgewicht, lange Abfahrten und viele Tiefenmeter bringen Stopper ans Limit. Was zeichnet gute Scheibenbremsen aus und welche Modelle sind top?
Extremes Gefälle, Bremswirkung Fehlanzeige. Die Bremsscheibe taumelt und eiert durch die vordere Bremszange. Die Scheibe ist hinüber, die Bremswirkung dahin. Das Horrorszenario auf dem E-Mountainbike. Realität bei unserem Praxistest – und das bei einem Testfahrergewicht von nur 75 Kilogramm. Damit den Totalausfall einer 180er-Scheibe zu erleben, ist ernüchternd. Zugegeben, wir haben den Bremsen ein straffes Programm auferlegt. Die härteste Prüfung: das wiederholte Abbremsen aus 50–60 km/h auf Schrittgeschwindigkeit – auf einer Straße, die sich mit durchschnittlich 20 Prozent Gefälle Richtung Tal windet. Hart, aber durchaus realistisch. Shimanos SLX, eine der günstigsten Bremsen im Test, ausgestattet mit Shimanos Icetech-Technologie, hat bis hierhin einen guten Job gemacht. Sie war gut auf dem Trail, hat eine Schleifbremsung ohne Murren überstanden und läuft auch nach 20 Intervallbremsungen noch rund. Dies ändert sich nach weiteren drei harten Bremsungen aus hoher Geschwindigkeit jedoch schlagartig, die Bremsscheibe geht in die Knie. Hitzetod. Dabei soll gerade die Icetech-Technologie die Bremse kühl halten.
Das Szenario aus unserem Praxistest zeigt die Relevanz der Bremse am E-Mountainbike. Dank Motorunterstützung spulen wir mehr Höhenmeter in kürzerer Zeit ab. Auch weniger fitte, schwerere und fahrtechnisch weniger versierte Fahrer kommen mühelos in den Genuss von langen und steilen Abfahrten. Dazu kommt das Mehrgewicht von rund zehn Kilo, das alleine das E-MTB mit sich bringt. In Summe steigen die Belastungen auf Bremse und Scheibe.
Einem Bauteil kommt dabei besondere Bedeutung zu: der Bremsscheibe. Mit 40 bis 45 Prozent beziffert Klaus Liedler vom Bremsenexperten Trickstuff den Anteil der Rundlinge an der Performance einer Bremse. Auffällig: Die stärksten Bremsen aus unserem Test setzen auf dickere Bremsscheiben (2,05 bzw. 1,95 mm) als der Großteil der Konkurrenz. Hintergrund: je größer die Masse, desto mehr Wärme kann die Scheibe aufnehmen, das führt zu höherer Standfestigkeit. Neben der Masse ist aber auch die Fläche entscheidend, die nicht zuletzt vom Scheibendurchmesser abhängt. "Die Bremsscheibe muss möglichst viel Wärme aufnehmen. Je mehr Fläche die Scheibe hat, desto besser kann sie die Wärme auch wieder an die Luft abgeben", erklärt Liedler. Das rüstet eine Bremse für anhaltende Belastung. Der Scheibendurchmesser beeinflusst aber auch die Bremskraft. Und hier heißt es ebenfalls: Größer ist besser. Denn mit dem Durchmesser der Scheibe wächst der Hebel und damit die Bremskraft. Dass erste Hersteller ihre E-MTBs jetzt mit 220er-Bremsscheiben bestücken, ist nur logisch.