Henri Lesewitz
· 09.08.2016
Die News verblüffte und erheiterte die Bike-Welt gleichermaßen: Brake Force One befüllt die neue H²O-Bremse mit Wasser. Geht das? Ab zum Ententeich damit.
Die Enten schnattern empört, als Jakob Lauhoff (22) mit schelmischem Grinsen die Spritze in den Weiher bei Pforzheim rammt. Quak! Quak! Quak! Doch Lauhoff scheint das nicht zu hören. Konzentriert zieht er den Kolben nach oben und hält die gefüllte Spitze prüfend ins Sonnenlicht. "Sauber genug! Passt!", ruft er und schnappt sich das Bike des Fotografen, dem jetzt ein bisschen mulmig wird. Lauhoff will allen Ernstes die Bremse seines Test-Bikes mit Teichwasser befüllen. "Keine Panik, Limo würde auch gehen", beruhigt Lauhoff.
Es ist eine absurde Szene. Aber es ist nun mal der ultimative Beweis. Obwohl es schwarz auf weiß im Datenblatt steht, fällt es schwer, dem Gedruckten Glauben zu schenken. Es klingt zu abwegig: In den Leitungen der neuen H²0 von Brake Force One fließt weder Öl noch Bremsflüssigkeit, sondern Wasser.
Scherzfrage des Reporters: mit Sprudel, oder ohne?
Lauhoff: ohne Sprudel. Einfach jede Art Wasser, die man auch trinken würde. Sprudelwasser würde theoretisch auch gehen. Die Bremse hat ein geschlossenes System.
Reporter, leicht irritiert: Das mit der Limo war ein Scherz, oder?
Lauhoff: Nein, Limo funktioniert grundsätzlich. Aber mit der Zeit würde die Bremse natürlich verkleben, wegen des Zuckers.
Seit Anfang August die ersten Informationen zur "Wasserbremse" ins Internet tröpfelten, ist Lauhoff im Dauerstress. Die ersten Fotos waren kaum auf Facebook hochgeladen, da brach der Sturm los. Likes ohne Ende, hitzige Diskussionen, aber auch hämische Kommentare über den vermeintlichen PR-Gag. Bei der Eurobike vor wenigen Wochen wurde der Messestand von Schaulustigen geradezu geflutet. Aus der ganzen Welt rufen Presseleute an. Kaum einer kann glauben, dass das wirklich wahr sein soll. Eine Scheibenbremse, die man mit Leitungswasser befüllen kann.
Reporter: Friert die Bremse im Winter ein?
Lauhoff: Normalerweise würde sie zufrieren. Deshalb mischen wir zwanzig Prozent Glycantin bei. Ein Frostschutzmittel, das auch bei Autos verwendet wird.
Reporter: Was ist mit Hitze?
Lauhoff: Die Wärmekapazität von Wasser ist doppelt so hoch wie die von Öl.
Reporter: Warum ist dann noch kein anderer auf die Idee gekommen?
Lauhoff: Ich bin ja auch nur durch Zufall draufgekommen.
Die Enten haben sich wieder beruhigt und gleiten halbschläfrig über den Teich. Lauhoff zieht die Befüllspritze vom Bremssattel ab. Dichtschraube rein. Fertig. "Hoffentlich wird den Kaulquappen in den Leitungen nicht schlecht auf dem Trail", scherzt Lauhoff und gibt das Signal zur Abfahrt. Dem Fotografen scheint jetzt schon übel. Komisches Gefühl, das eigene Leben einem Schwaps Teichwasser anzuvertrauen. Aber da muss er jetzt durch.
Es ist eine irre Geschichte. Nicht nur die der Wasserbremse. Sondern auch die der Firma Brake Force One. Jakob Lauhoff war dreizehn, als er an einem französischen Strand eine spontane Idee auf ein Blatt Papier kritzelte. Ein Bremskraftverstärker für Discbrakes. Er konnte nicht ahnen, wie sehr dieser Gedankenblitz sein Leben bestimmen würde. Jahre nach dem Frankreich-Urlaub traf er den Produzenten der Kapt’n-Blaubär-Fernsehserie, Frank Stollenmaier. Der war von der Erfindung des inzwischen 18-jährigen Schülers derart begeistert, dass er mit ihm umgehend die Firma Brake Force One gründete. Und zwar im Keller seines prächtigen Einfamilienhauses in Tübingen, das schon bald zu einer Mini-Fabrik mutierte. Irgendwann wuselten zehn Mitarbeiter herum, um die Nachfrage nach der BFO1 zu stillen, der weltersten Bike-Bremse mit Stufenkolben, beziehungsweise Bremskraftverstärker.
Jede Gattin hätte genervt die Flucht ergriffen. Nicht so die freundliche Frau Stollenmaier. Nur die Ölspritzer überall, die gingen ihr mächtig auf den Zeiger. Frank Stollenmaier, eine kernige, kumpelhafte Stimmungskanone mit graumelierter Kurzhaarfrisur, zieht theatralisch den Kopf ein, wenn er davon erzählt: "Meine Frau nervt es total, wenn Öl rumspritzt und vielleicht noch einer reinlatscht. Da bekommt sie die Krätze. Ich musste mir was einfallen lassen, damit ich nicht die Rote Karte bekomme", gerät er ins Plaudern. Als Lauhoff wenig später in spontaner Experimentierlaune eine Bremse mit Wasser befüllte und damit durch Tübingen radelte, war Stollenmaier wie elektrisiert. War das die Lösung? Wasser statt Öl? "Ein paar Probleme gab es natürlich schon noch zu lösen", stellt Stollenmaier klar. Ähm, wie jetzt? Das ist die Geschichte? Ein Zufallstreffer, der durch den Sauberkeitsfimmel der Gattin zur Serienreife entwickelt wurde? "Im Grunde ja", grient Stollenmaier.
Natürlich ist das nicht die ganze Geschichte. Wer die neue Produktionshalle in Mühlacker betritt, der ahnt, dass Größeres dahintersteckt. Brake Force One ist keine Keller-Manufaktur mehr, sondern kooperiert inzwischen mit mehreren Autoherstellern. "Keine Namen", bittet Stollenmaier. Nur so viel: Die Autoindustrie setze auf E-Mobilität und habe das Fahrrad als Portfolio-Abrundung entdeckt. Weswegen BFO die erste Scheibenbremse mit elektronischem ABS entwickelt habe. Die Autofirmen seien heiß drauf, so Stollenmaier. Derzeit werden die Verträge ausgehandelt. Die BFO-Halle ist spionagesicher. Blickdichte Fenster. Zugangs-Codes. So, wie es die Standards der Autoindustrie erfordern. Es geht um Millionen. Die Wasserbremse ist Teil eines gigantischen Projektes. Doch sie ist weit mehr als nur ein Marketing-Gag mit Öko-Touch, beteuert Lauhoff. Neben der vergleichsweise hohen Wärmekapazität, soll Wasser auch den Vorteil haben, Wärme fünfmal besser zu leiten als Öl, was Hitzekollapse am Bremssatttel verhindert.
So, jetzt aber los. Der Trail vom Teich hinunter ins Würmtal lässt den Freilauf kreischen. Treten ist nicht erforderlich. Es geht auch so im flotten Tempo dahin. Reporter und Fotograf kariolen auf windelweichen Enduros über das Ensemble aus Steinen, Treppen und Wurzeln. Da, eine Kurve! Kurzes Zucken mit dem Zeigefinger. Die Geschwindigkeit verpufft augenblicklich. Was für eine irre Bremspower!
Ende Oktober soll die Auslieferung beginnen. Immer wieder waren Lauhoff Zweifel gekommen, ob der Zeitplan eingehalten werden kann. Es war schnell klar, dass es nicht damit getan ist, Öl durch Wasser zu ersetzen. Wasser ist dünnflüssiger und setzt Korrosion in Gang. Die Bremse musste absolut dicht sein und aus Materialien bestehen, die nicht mit Wasser reagieren. Die Aufgabe trieb Lauhoff fast in den Wahnsinn. Ständig tropfte es irgendwo raus. Doch irgendwann war es geschafft. Die Bremse funktionierte. "Und, wie bremst es sich mit Teichwasser?", fragt Lauhoff den Fotografen, als das Grüppchen nach zweistündiger Testrunde vor einem Restaurant Stopp macht. Der Fotograf reckt den Ok-Daumen nach oben. Dann trinkt er hastig die Maracuja-Schorle leer. Nicht, dass ihm Lauhoff das wohlverdiente Erfrischungsgetränk noch in die Bremsleitungen füllt.
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Die H²O beherbergt Hightech: Ein Zweistufenkolben macht sie zum Wasserkraftwerk.
Wasser hat eine höhere Wärmekapazität als Öl, eine geringere Wärmeausdehnung, also eine höhere Wärmestandfestigkeit. Das ist die Grundidee der H²O. Der eigentliche Clou aber ist der Zweistufenkolben (1). Sobald die Beläge an der Scheibe anliegen, ändert sich das Übersetzungsverhältnis und die H²O packt gnadenlos zu. Im Gegensatz zum Vorgängermodell ist der Booster allerdings nicht mehr im Bremssattel integriert, sondern von außen aufgeschraubt (2). Ein weiterer Knüller sind die Leitungen, die einfach per Schlauchkupplung ohne Werkzeug an- und abgesteckt werden können – beliebig oft.
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Seit Wochen klingeln die Journalisten bei BFO Sturm. Alle wollen die H²O fahren. BIKE durfte als erstes Magazin der Welt mit der Bremse auf die Trails.
Im Kopfkino ist gerade Horrorfestival. Was, wenn die Flüssigkeit in den Leitungen hochkocht wie Nudelwasser? Was, wenn das Ganze vielleicht doch nicht so ausgereift ist? Wenn ich ungebremst an der Borke einer Fichte zerschelle? Zu spät. Die Geschwindigkeit püriert die Baumgassen bereits zu Farbbrei. Ich bin mit der BFO-Bremse schon hunderte Kilometer gefahren. Doch, dass sich in den Leitungen der H²O Wasser befindet, macht mich etwas nervös. Dabei fühlt sich die Bremse hervorragend an. Der Druckpunkt ist gut spürbar. Größter Unterschied zur Vorgängerbremse: Der Wechsel von Bremsstufe eins zu Bremsstufe zwei erfolgt nicht mehr so radikal. Wie bei der BFO1 stellen sich die Bremsbeläge zunächst sanft an die Scheiben an, um dann – dank Zweistufenkolben – brutal zuzupacken. Das alles geht nun angenehm ineinander über. Die Bremse wird nicht mehr so urplötzlich zum Biest. Die maximale Bremskraft ist nach wie vor überragend. Im ersten Fahrtest hat die H²O überzeugt. Der Labortest steht allerdings noch aus.
Gewicht: 188 Gramm/Vorderbremse mit Zweifingerhebel und ohne Bremsscheibe; 180 Gramm/Hinterbremse mit Einfingerhebel und ohne Bremsscheibe (180er: 130 Gramm, 160er: 100 Gramm)
Preis 594 Euro pro Satz bzw. 297 Euro pro Stück, jeweils ohne Bremsscheiben (Stückpreis: 32,90 Euro)
Tuning-Möglichkeit Deckel für Bremssattel und Hebel (Einfingerhebel oder Zweifingerhebel) wahlweise in Grün, Blau, Rot oder Schwarz erhältlich.
Infos www.brakeforceone.de
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