Eines muss man Haro lassen: Die US-Marke versteht es, auf sich und ihre Premiere auf der Straße aufmerksam zu machen. Einerseits rollte das Rivette als Rennrad in die Redaktion, das wegen seiner ungewöhnlichen Lackierung kaum zu übersehen ist. Andererseits macht allein der Modellname Top Shelf neugierig. Aus dem obersten Regal bestückt und damit von bester Qualität soll die Neuheit demnach sein. Wir haben das Wettkampfrad folglich in Labor, Windkanal und auf Asphalt auf die Probe gestellt. Haro? Schon mal gehört? Gut möglich. Schließlich zählt der Hersteller in der BMX-Szene zu den kultigsten Marken und verdiente sich auch mit Mountainbikes schon seine Sporen.
Nun schlagen die Kalifornier ein neues Kapitel der Firmengeschichte auf und präsentieren erstmals zwei Räder mit gebogenem Lenker: Das aerodynamisch optimierte Rivette ist an ambitionierte Straßenfahrer adressiert, das geländetaugliche Buzzard richtet sich an Bikepacking-Abenteurer. Mit der Neuausrichtung der Marke, deren europäische Dependance in Nordrhein-Westfalen liegt, soll der Ausbau des bislang recht übersichtlichen Händlernetzes verknüpft sein. In Deutschland gibt es aktuell nur ein halbes Dutzend Läden, die die US-Marke führen. Das bisherige Geschäftsmodell basierte fast ausschließlich auf eigenem Direktverkauf im Internet.
Mit dem Rivette folgt Haro einem Trend und präsentiert einen vielseitigen Race-Allrounder. Der Erstling wirkt stimmig und gelungen, lässt mit Ausnahme der verspielten Illustrationen auf dem Rahmen-Set jedoch ein klares Alleinstellungsmerkmal vermissen. Die “inneren Werte” können sich dafür umso mehr sehen lassen und orientieren sich am Top-Material bekannter Hersteller. Sowohl bei Aerodynamik als auch Gewicht, den wichtigsten Qualitätsmerkmalen eines modernen Wettkämpfers.
Mit einer Tretleistung von 213 Watt, die es zur Überwindung des eigenen Luftwiderstands bei Renntempo von 45 km/h benötigt, stößt das Haro auf Anhieb in den illustren Kreis der schnellsten Race-Allrounder vor. Vergleichbare Räder wie Cannondale SuperSix, Specialized Tarmac oder Van Rysel RCR sind nur etwas schneller. Das Zusammenspiel aus Rahmen-Set und Laufrädern ist harmonisch und bietet dieselbe Performance wie mit unserem Referenzlaufradsatz (Zipp 404, Bj. 2018). Auch beim Gewicht fährt das Haro sehr solide im Peloton mit, wobei die 7180 Gramm an der TOUR-Waage sogar etwas unter der Herstellerangabe liegen.
Etablierte Fahrradbauer stellen inzwischen zwar schnelle Allrounder unter sieben Kilogramm auf die Räder, allerdings nicht immer mit den erstklassigen Steifigkeitswerten des Rivette. Im Sattel äußert sich das runde Gesamtpaket in einem bemerkenswert ruhigen und präzisen Lenkverhalten. Speziell in schnellen Abfahrten profitiert das Haro von seinem ausbalancierten Fahrwerk und zirkelt gekonnt um Kurven. Einzig auf raue Pisten reagiert der Allrounder störrisch, die relativ breiten Pneus von Vittoria kompensieren den durchschnittlichen Komfort nur bedingt.
Dank der außergewöhnlichen großen Reifenfreiheit von 36 Millimetern lässt sich der Allrounder deutlich komfortabler abstimmen, allerdings muss man dann Kompromisse beim Lenkverhalten hinnehmen. Abgerundet wird die gelungene Premiere mit einem fair kalkulierten Preis. Die Version mit Shimanos Dura-Ace-Komponenten, in rennmäßiger Übersetzung, liegt mit 8499 Euro unter dem Durchschnittspreis vergleichbarer Räder. Die drei weiteren Ausstattungsvarianten sind ebenfalls mit elektronischen Schaltgruppen von Shimano oder Sram und Carbonlaufrädern aufgebaut. Das Basismodell mit 105 Di2 kostet 4999 Euro, die Top-Version mit Red AXS liegt bei 8999 Euro.
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