Als Fuji das Kasane auf der Eurobike 2022 erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, provozierte das durchaus Gesprächsstoff. Die US-Marke mit japanischen Wurzeln, sonst eher bekannt für solide und preiswerte, eher unprätentiöse Bikes nahe am Mainstream, stellte auf der Messe mitten in den Corona-Jahren ein Rennrad vor, das in keine Schublade richtig passen wollte: Moderne Aeroformen paaren sich mit einer langstreckentauglichen Sitzposition; ein für Straßenrenner angemessener Aufbau trifft auf viel Platz für breite Reifen, die auch Schotterpassagen zulassen. Race-, Endurance- oder Allroadbike?
Darauf wollte sich auch Fuji bewusst nicht festlegen, was das neue Modell fürs Publikum spannend machte. Denn zwischen den Spezialisten wollen sich viele Interessenten gar nicht entscheiden, sondern würden am liebsten alles mitnehmen. Ob das Kasane vieles gut oder nichts richtig macht, ließ sich zunächst praktisch nicht herausfinden. Erst verzögerten die unterbrochenen Lieferketten zu Rahmen und Teilelieferanten den Verkaufsstart. Im Frühjahr 2023 rutschte die Advanced Sports GmbH, die den Vertrieb der Marke Fuji in Europa besorgt, gar in die Insolvenz. Ein Sanierungsplan in Eigenverwaltung verlief inzwischen erfolgreich, sodass der Geschäftsbetrieb seit Anfang des Jahres wieder aufgenommen werden konnte – und das Kasane endlich auf den Markt rollt.
Galt dessen Ansatz zu seiner Vorstellung noch als ungewohnt progressiv, ist er bei der rasenden technischen Entwicklung der vergangenen Jahre nicht mehr ganz konkurrenzlos geblieben. Endurance-Bikes mit 30 oder 32 Millimeter breiten Reifen gibt es inzwischen viele, das junge Allroad-Segment lässt bei ähnlicher Ausrichtung sogar deutlich mehr zu. Auch Befestigungsösen für eine Oberrohrtasche und im Lenker integrierte Bremsleitungen, die 2022 am Kasane noch eine Kombination aus zwei Welten waren, sind dort längst Standard. Mit dem schnittigen Aero-Design des Rahmens, das sich an aktuellen Profirennern orientiert, steht das Fuji in diesem Segment allerdings noch relativ alleine da.
Auf der Straße wird klar: Die sportliche Optik schadet dem Anspruch an einen soliden Langstreckenrenner keineswegs. Man nimmt Platz auf einem auf Anhieb bequemen Untersatz, woran der breite Oberlenker, der bequeme Sattel und die voluminösen Tubeless-Reifen, die mit entsprechend niedrigem Luftdruck gefahren werden können, viel Anteil haben. Auch die Sattelstütze und der Lenker federn ausgesprochen gut, insbesondere am Lenker ist der Komfort deutlich besser als bei den meisten anderen Rädern. So kurbelt es sich geschmeidig selbst über ruppige Straßen.
Auch die Lenkung wirkt gut abgestimmt, das Rad zieht bei hohem Tempo ruhig seine Bahn, bleibt aber wendig genug für spontane Richtungswechsel. Wird das Rad mit einer sportlicheren Gangart gefordert, kann es die komfortbetonte Ausrichtung hinter der schnellen Fassade zwar nicht ganz verbergen, schafft aber einen ordentlichen Spagat. Zwar sitzt man auf einem klassischen Racebike mit aggressiver Geometrie effizienter für kräftige Pedaltritte, doch das Kasane trifft einen angenehmen Kompromiss zwischen renntauglich-gestreckt und komfortabel-aufrecht. Und natürlich reagieren Räder, die ein Kilogramm leichter sind, etwas spontaner und spritziger auf Antritte, aber sie kosten etwa das Doppelte; für seinen Preis ist das Fuji beileibe nicht schwer.
Dass das Rad vom Hersteller in der Wettkampf-Kategorie geführt wird, in der die Produktinformation aber auch Langstreckenkomfort und Abenteuertauglichkeit verspricht, mag im gewohnten Kategoriedenken verwirrend sein, ist aber bei genauerer Betrachtung plausibel. Der japanische Begriff Kasane, den man mit “vielschichtig” übersetzen könnte, erscheint uns passend. Verschiebepotenzial zwischen den Kategorien bietet das Rad bei den Reifen: Bis zu 34 Millimeter breite Pneus lässt der Rahmen zu, womit das Kasane zum lupenreinen Allroadbike würde. Der einzige Punkt, über den man beim Kasane etwas nachdenken muss, dürfte die passende Übersetzung sein.
Je nach Fitnesszustand könnte man dem Testrad ankreiden, dass es für epische Bergtouren nicht gewappnet ist. Die 11-34-Kassette bietet zwar ein relativ breites Spektrum, mit der 52/36-Kurbel könnten aber die Berggänge für schwere Anstiege zu straff ausfallen. Eine etwas kleinere Kompaktkurbel ließe sich im Zweifel leicht nachrüsten. An der günstigeren Ausstattungsvariante 2.3, die für 2999 Euro angeboten wird, ist Shimanos Gravelgruppe GRX mit 46/30 verbaut.
Die Kombination wirkt auf den ersten Blick auch eher unpassend, denn deren Getriebeabstufung beschneidet den Rennrad-Charakter des Kasane. Andererseits findet man tourentaugliche Straßen-Rennräder mit wirklich kleinen Übersetzungen, welche auch weniger Trainierte in die Lage versetzen, schwere Anstiege zu meistern, auch nicht an jeder Ecke. Mit einfachen und schweren Alu-Felgen dürfte sich diese Variante zwar deutlich träger fahren, aber Laufrad-Tuning bewirkt bekanntlich Wunder.