Timo Dillenberger
· 14.05.2024
Obwohl die Modellvielfalt unter der Fusion aus Gravel- und E-Bike noch sehr jung ist, findet man gerade die Antriebskonzepte betreffend eine überraschende Vielfalt. Selten wird ein und dieselbe Motorisierung in mehr als drei Modellen am Markt verbaut, schon gar nicht mit identischem Schaltkonzept. Bosch und Shimano sind in der Klasse, die eher auf sanfte unauffällige Unterstützung setzt, mal nicht Platzhirsch. Sogar der Direktmotor im Hinterrad könnte durch seine baulichen Vorteile eine kleine Renaissance erleben.
Am E-Gravel geht es nicht darum, das schwere vollgefederte Rad den Hang irgendwie hochzuwuchten, um dann die Abfahrt zu genießen. Es soll einem auch nicht den Hauptteil der Beschleunigung abnehmen wie im Stop and Go der Stadt. Und es soll der Fahrerin oder dem Fahrer vor allem nicht die Tretarbeit abnehmen, es soll ein Sportgerät bleiben. Diese Bikes sollen so nah wie möglich am unmotorisierten Vorbild bleiben, was Handling, Optik und mögliche Terrains angeht, aber durch die Extrapower Reichweite und Routenoptionen vergrößern, indem der Motor den ein oder anderen Höhenmeter mehr erlaubt als die Fitness des Piloten, indem er Rampen und sonstige Hindernisse gefühlt abmildert oder abflacht und indem der elektrische Akku den biologischen entlastet.
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Antrieb und Akku sind in sportlichen Rädern mittlerweile voll integriert (siehe unten). Selbst Biker müssen zwei Mal hinsehen, ehe sie ein E-Gravel “enttarnen”, Laien können das maximal erhören. Um das Gesamtgewicht niedrig und alle erforderlichen Zusatzkomponenten für eine gute Schwerpunktlage nah am Boden zu halten, sind Akku und Motor möglichst kompakt und leicht. In Sachen Drehmoment und Akkukapazität können solche Motoren nicht SUVs oder Alltagspedelecs mithalten. Das führt dazu, dass man ein E-Gravel intuitiv genauso bewegt beziehungsweise seinen Antrieb so einsetzt, wie es grundsätzlich auch sinnvoll am Stadt- oder Trekkingrad wäre.
Auf der Ebene rollen die Leichtgewichte, die gut ein bis maximal zweieinhalb Kilo schwerer sind als unsere Bikes im Test, so gut, dass man selbst in kleinster Unterstützungsstufe durchweg unter der Grenze von rund 26 km/h hängt, bei der sich der Antrieb eines Pedelcs deaktivieren würde. Im Vollgas- oder Turbo-Modus macht das Zu- und Wieder-Abschalten des Motors die Fahrt sehr unrhythmisch, mit wenig Unterstützung gleitet man flott durch die Natur und kann das bei ruhigem Herzschlag und minimaler Geräuschkulisse genießen. Erst wenn Terrain und Höhenprofil es erfordern, lässt man sich mehr helfen.
Das ist auch der Grund, weshalb die allermeisten Modelle beziehungsweise ihre Antriebe von Schaltern bedient werden, die aus allen Handpositionen am Rennlenker erreicht werden können und nicht an einem zentralen Computer. So ein “Klotz” am Lenker ist für die eingesetzten Antriebe auch gar nicht nötig, Aktivierung und Ladeanzeige sitzen stattdessen eher in daumengroßen Elementen im Rahmen. Außer der sportlicheren Optik ohne Bedienteile am Lenker bleibt zum Beispiel für den Einsatz als Pendlerrad so genug Platz für Lampen oder Navis. Kleiner Nachtrag: Natürlich unterliegen E-Gravelbikes, obwohl nicht für den Straßenverkehr gemacht, den Regeln für Pedelcs, die Deaktivierung des Motors über offiziell 25 km/h ist also auch ohne Verkehrsausstattung Pflicht!
Frontmotoren sucht man an den Modellen vergebens, und das ist wegen der schlechten Traktion und des Gewichts an der Lenkachse auch gut so. Die Mehrheit der aktuellen E-Gravelbikes wird am Tretlager angetrieben, das bringt eine gute Balance und Schwerpunktlage, außerdem verbrauchen untersetzte Motoren, also die mit einer Kraftübertragung mittels kleiner Zahnräder im Inneren, etwas weniger Strom. Dazu kann man den kompletten Antrieb samt Kabelstrang im Rahmen verstecken. Neben der neuen, gewichtsreduzierten Variante des Bosch-Motors, SX getauft, spielen vor allem TQ und Fazua hier eine Rolle.
Ersterer sitzt direkt um die Tretlagerachse, ist superleicht und kompakt, die Bayern von Fazua verstauen Stabmotor, Akku und Steuerung in einem Block im Unterrohr, das Antriebszahnrad wirkt ebenfalls direkt aufs Tretlager. Er ist etwas lauter als der TQ, hat dafür aber mehr Drehmoment. In genau diesen beiden Punkten liegen die Vorteile von Hinterradmotoren. Ohne jedes Zahnrad oder Berührungspunkte mit der Triebachse sind sie quasi lautlos – ein echter Vorteil in Sachen Naturerlebnis. Und ohne Untersetzung wirkt ihr gesamtes Drehmoment auf das Hinterrad, das schont außerdem die Verschleißteile wie Kette und Ritzel.
Neben Gewichtsverteilung und etwas höherem Stromverbrauch ist der Aus- und Einbau des Hinterrades ein Nachteil des Heckmotors, je nach Typ ist es unschön bis fummelig, Achsaufnahme, Bremssattel und elektrische Steckverbindung gleichzeitig zu treffen. Mit Mahle und Bafang bieten zwei etablierte Hersteller das Gros der Hinterradmotoren. Lenker-und Laufradspezialist FSA hat ebenfalls einen ausreichend kompakten Nabenmotor im Programm. Manche Radmarke wie Specialized oder Giant bauen ebenfalls mittlerweile selbst ihre Motoren.
Frisch reduziert ist das vollwertige E-Gravel zu dem Preis ein echtes Schnäppchen. Der Schaltungs- und Bremsenmix ist vielleicht nicht ganz up to date, das machen die top Reifen und der etablierte Heckmotor wieder wett. Er ist etwas schwerer als das Pendant von Mahle und hat deutlich weniger Drehmoment als ein TQ oder Steps-Motor, mit weniger Unterstützung und in Verbindung mit dem großen Akku verspricht der Grinder aber viele flotte und wenig anstrengende Kilometer. Zum unaufgeregten Antrieb passt die eher entspannte Sitzposition.
Flammneu ist die motorisierte Variante des Canyon Grizl, und schon fast vergriffen. Laut Hersteller ist es das vielseitigste E-Bike ihrer Historie, was mit Blick auf das Set aus top Frontleuchte und in die Ausfallenden integrierten LED-Rücklichtern realistisch ist. Es gibt das Modell auch gleich aufgerüstet als Commuter oder Trail-Spezialist. Bei Ampelstarts und harten Rampen kann der um einiges geschrumpfte, durchzugsstarke Bosch SX zeigen, was er kann. Auch die Rockshox Rudy-Federgabel ist eher für die harten Einsätze. Auch die wuchtige Erscheinung macht mehr Lust auf Abenteuer als auf Radwege.
Ein Abenteuerbike der Oberklasse. Reifen bis 56 mm Breite, ein selbst entwickelter und damit top integrierter Mittelmotor mit max. 320 Watt und die Future Shock-Federung unterm Vorbau setzen dem Rad in Sachen Terrain sehr weite Grenzen. Laut Hersteller sollen 190 km mit Unterstützung möglich sein. Geometrie und ein leicht nach oben gekröpfter Lenkerbügel sollten die recht angenehm gestalten, jedenfalls mehr als den Preis. Technikfans freuen sich über die vielen Setup-Möglichkeiten des Antriebs per Handy.
Das Cervek. A.ouvida ist seit Anfang 2024 auf dem Markt, als Gravel- und Roadversion, es ist aber das exakt gleiche Rad. Durch Austausch aller vier Achsaufnahmen wird das Road vorn etwas angehoben, hinten abgesenkt – rückwärtsrotiert quasi. Mit anderen Reifen (bis 43 mm) oder zweitem Laufradsatz wird daraus ein halbwegs komfortables Gravelbike. Im Rahmen steckt ein bayrischer Kraftprotz, der Fazua Ride 60 Stabmotor wuchtet bis 450 Watt und 60 Nm auf die Kurbelwelle, nicht der leiseste, aber unsichtbarste Motor, in anderen E- Bikes fiel uns sein Extragewicht im Unterrohr kaum auf.
Der neu konstruierte Carbonrahmen des Stevens E-Getaway drückt zusammen mit dem kleinen TQ-HPR50 Mittelmotor das Gewicht auf unter 13 Kilo, in der Preisklasse bemerkenswert. Der TQ-Antrieb ist in seiner Konstruktion einem Heckmotor ähnlicher als Bosch oder Steps und nicht nur ähnlich leise, sondern auch fast so kompakt und leicht. Stack und Reach verraten: Das Rad ist nicht zum Spazieren, sondern für sportliche Gangarten gebaut, wobei Vorbau und Lenker das zu entschärfen scheinen. Von TQ gibt es für lange Touren einen optionalen Extra-Akku, der, am Flaschenmount befestigt, 160 Wh zusätzlich bringt.
Das Scott Solace hätte auch unter Aerobikes eingereiht werden können. Sein kurzes Steuerrohr, aerodynamische Cockpit und die flächige Gabel bilden eine Rennsilhouette, die Zipp 303-Carbonlaufräder sind superschnell und edel, Fahrerinnen und Fahrer sitzen wie auf einer Rennmaschine. Wahrscheinlich ist es mit dem E-Bike richtig schwer, auf der Ebene unter 25 km/h zu bleiben, man spart sich also die Hilfe durch den TQ-Motor und Akkupower für Steigungen oder Gegenwind. Mit dem Zusatzakku wie bei Stevens und dieser Fahrweise ist das ein flotter Ausdauersportler der Luxusklasse.
Will man am Tourenpedelec dem Motor Kommandos geben, muss der Daumen sich vom Griff lösen und nach der Taste suchen. Die Zeit hat man beim holprigen Auf und Ab mitunter nicht, außerdem hat der Dropbar-Lenker mehrere Griffpositionen. Deshalb wurde bei den meisten Modellen wie dem Cervelo die Motorbedienung unauffällig dort platziert, wo man stets drankommt, ohne den Griff zu lösen.
Je nach Motorsystem sind Ladeport und Bedienknöpfe das Einzige, was man vom Antrieb sieht. Beim Cervelo Rouvia und seinem Fazua-Antrieb im Bild liegen Motor und Akku als Einheit im Unterrohr, dessen Querschnitt kaum dicker ist als bei unmotorisierten Gravelbikes. Ladefläche (schwarzes Quadrat), Hauptschalter auf dem Oberrohr und Bedienknöpfe am Lenker heißen: keinerlei Kabel sichtbar!
Am Scott und am Stevens arbeitet ein Motor, den man selten sieht: zu Unrecht. Der kleine Kraftprotz von TQ stemmt bis 300 Watt bei respektablen 50 Nm Drehmoment. Viel wichtiger am E-Gravel: Der HPR50 Antrieb ist sehr leise und mit 1850 g angeblich der leichteste seiner Klasse. Mehr Vorteile gegenüber Bosch und Co.: Die Pedale sind kaum weiter auseinander als ohne Motor, und es gibt einen Extra-Akku für den Flaschenhalter (Bild).
Während man früher Pedelecs direkt an klobigen Computern auf dem Lenker erkannte, ist die aktuelle Generation sportlicher E-Bikes hier sehr zurückhaltend. Neben den Schaltern am Lenker (s. o.) ist solch ein “Inlay” wie am Stevens meist die aufs Wesentliche reduzierte Kommandozentrale. Hauptschalter, Ladestands- und Unterstützungsstufen-Anzeige – mehr würde in holprigem Terrain nur stören.
Im Bulls z. B. arbeitet ein selten gewordener Heckmotor. Der Bafang-Antrieb ist kleiner als manche Schaltnabe, leistet 250 Watt und 30 Nm bei zwei Kilo Gewicht. Aber: Motoren direkt an der Nabe wirken direkter, weshalb die vergleichsweise niedrigen Power-Werte deutlicher zu spüren sind als erwartet. Sie sind zudem sehr leise, dafür bringt selbst das eine zusätzliche Kilo das Rad heckwärts etwas aus der Balance.