Früher war mehr Leichtbau: Die Anlehnung an den einmaligen Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot, dürfte im Zeitalter von aerodynamisch optimierten Rennrädern wohl vielen Traditionalisten aus der Seele sprechen. Moderne Wettkampfrenner zeichnen sich schließlich längst nicht mehr nur durch ein möglichst geringes Gewicht aus, sondern locken Radsportler mit aerodynamischen Versprechen: Weniger Watt statt weniger Gramm! Getrieben ist die aktuell wichtigste Währung von der technischen Entwicklung im Profisport.
Seit dem ersten nennenswerten Aero-Rennrad, dem Cervélo Soloist aus dem Jahr 2001, ist die Erkenntnis gereift, dass ein Rad mit geringerem Luftwiderstand auf den meisten Rennstrecken einem leichteren Renner überlegen ist, wenn es darum geht, Sekunden und Minuten zu schinden. Leichte Rennräder verlieren dadurch zwar nicht ihre Daseinsberechtigung; in den vergangenen Monaten erlebten sie sogar ein kleines Revival. Unter anderem präsentierten Benotti, Giant, Schmolke oder Scott betörend leichte Maschinen, die in fahrfertigem Zustand das UCI-Gewichtslimit unterbieten. Profiteams und Industrie legen den Fokus aber weiter unangefochten auf die aerodynamische Qualität, was sich auch in der großen Resonanz für dieses Testfeld widerspiegelt.
Die insgesamt 17 Rennräder unter 7.000 Euro interpretieren die Kategorie eines Wettkampfrads unterschiedlich. Unabhängig vom Preis steht man vor der Wahl: Generalist oder Spezialist? Einigkeit herrscht darin, dass jedes Modell am schnellsten von A nach B kommen will. Die gängigsten Stilmittel wie optimierte Rohrformen, Laufräder mit hohen Felgen und „versteckte“ Leitungen zeichnen deshalb alle Räder aus. Auch einteilige Carboncockpits, die in der Regel messbar windschnittiger als klassische Lenker-Vorbau-Kombis sind, gehören oftmals zur Serienausstattung. Sogar Details wie strömungsgünstige Reifen oder teilintegrierte Flaschenhalter finden sich an den Rädern unter 7000 Euro; einige Modelle rücken damit nicht nur optisch, sondern auch technisch erstaunlich nahe an die teureren Räder heran.
Das Paradebeispiel für einen astreinen Aero-Boliden im zweiten Teil unseres großen Vergleichstests ist das Scott. Das Foil RC 10 ist pfeilschnell und konkurriert wie das Canyon und Cube mit den schnellsten Serienrädern der Welt. Das Fabrikat der Schweizer zollt dem aerodynamischen Tuning an Rahmen und Gabel allerdings Tribut. Von den bislang zwölf Rädern in den beiden Folgen des Tests hingen nur das Bianchi und Focus schwerer an der Waage. Das Scott, das beim Gewicht eine deutlich größere Lücke zum Top-Modell lässt als die Räder von Lapierre, Merida oder Rose, ist gleichzeitig das Modell im Feld, das die Freiheiten des aktuellen UCI-Reglements bis an die Grenze des Erlaubten ausnutzt. Seit 2021 dürfen einzelne Rohre länger und ausladender geformt werden. Da größere Rohrquerschnitte aber auch das Gewicht erhöhen würden, geht das Gros der Hersteller vergleichsweise behutsam mit der Option um. Folglich brechen auch nur wenige Räder mit den Sehgewohnheiten und sortieren sich bei den Race-Allroundern ein.
Deren Anspruch ist es per definitionem, die konträren Eigenschaften Aerodynamik und Gewicht in einem Rad zu vereinen. Unter den sechs Rädern von Giant bis Scott gelingt dies dem Rose am besten. Im Windkanal – und damit natürlich auch auf der Straße – fährt das Xlite 06 Ultegra Di2 dem Scott zwar klar hinterher. Dafür profitiert das Modell des Bocholter Herstellers an der Waage. Bis dato ermittelten wir nur für das Benotti und Canyon ein geringeres Gesamtgewicht. Dass der Kompromiss nicht immer aufgeht, zeigt sich am Myvelo. Das Aero-Rennrad der jungen Marke aus dem Schwarzwald zählt bei einem Durchschnittsgewicht von 7,7 Kilogramm aller Testbikes zwar zu den leichteren Rädern. Aerodynamisch bleibt das Verona aber deutlich zurück.
Die 226 Watt, die das Myvelo zur Überwindung des eigenen Luftwiderstands im Renntempo benötigt, sind ein typischer Wert für Leichtbaurenner. Bemerkenswert: Wie in der ersten Episode unseres großen Wettkampfräder-Tests verdienen sich erneut drei Fabrikate eine Eins vor dem Komma. Neben Rose und Scott gesellt sich Merida hinzu, dass sich wie die beiden Konkurrenten keine nennenswerten Schwächen erlaubt. Erneut bleibt als Fazit, dass man nicht zwingend einen fünfstelligen Betrag hinblättern muss, um eine renntaugliche Maschine sein Eigen nennen zu können. Die größten Abstriche gegenüber dem Top-Material muss man beim Gewicht machen. Neben der schwereren Ultegra-Gruppe von Shimano tragen dazu meist schwerere Rahmen-Sets in einfacherer Carbonqualität und die Laufräder bei. Doch welcher Racer sichert sich nun den Testsieg? Welches Modell bietet das beste Preis-Leistungs-Verhältnis? Und sind in der Preisklasse Tuning-Maßnahmen noch sinnvoll? Die Antworten liefert der nächste und letzte Teil des großen Vergleichs.