Julian Schultz
· 28.03.2025
Wenn das neue Wettkampfrad von Van Rysel halten kann, was die Franzosen dafür versprechen, dann rollt mit dem RCR-F ein ausgesprochen potenter Renner auf den Markt. “Es ist das beste Rennrad, das wir bislang entwickelt haben”, kündigt Produktmanager Jeremie Debeuf an und ergänzt: “Wir wollen in jedem Bereich exzellent sein, wir wollen nicht mittelmäßig sein.”
Neben dem RCR - der Race-Allrounder firmiert künftig unter den Namen RCR-R - nimmt die neue Plattform bei den Franzosen den Platz als aerodynamisch optimierter Experte ein. Fast 14 Watt soll das RCR-F nach Aussage des Herstellers gegenüber dem Race-Allrounder sparen - und der war mit 207 Watt im TOUR-Test bereits bemerkenswert schnell. Die Rennrad-Redaktion unseres Schwestermagazins hat sich den neuen Aero-Boliden genau angeschaut.
Wie windschnittig das neue RCR-F tatsächlich ist, wird unser nächster Test im GST-Windkanal in Immenstaad zeigen, die TOUR-Note wird nachgereicht. Nach unseren ersten Fahrversuchen deutet Vieles daraufhin, dass das neue Van Rysel die schnelle Konkurrenz aufmischen dürfte. Aktuell (Stand: 28. März 2025) hält das Storck Aerfast.5 Pro mit 198 Watt den Titel als schnellstes Serienrad im TOUR-Test. Knapp vor dem Simplon Pride II mit 199 Watt. In der World Tour, weder Storck noch Simplon sind als Ausrüster auf der großen Radsport-Bühne vertreten, zählen das Canyon Aeroad CFR (204 Watt), Cervélo S5 (202 Watt) oder Scott Foil RC Ultimate (203 Watt) zum schnellsten Material. Das Trio landet knapp über der 200-Watt-Schallmauer. Zum neuen Colnago Y1Rs oder Ridley Noah Fast liegen uns bislang noch keine eigenen Aero-Ergebnisse vor.
Ganz neu ist das RCR-F nicht: Bereits bei der Tour de France 2024 bekamen wir die Rennmaschine, die damals noch unter dem Modellnamen FCR firmierte, vor die Linse. Ausgewählte Profis vom Decathlon AG2R La Mondiale Team verhalfen dem getarnten Boliden auf der welligen Etappe von Cesenatico nach Bologna zum Renndebüt. Im vergangenen Winter bei der Teamvorstellung der französischen Equipe zeigte Van Rysel die Neuheit erstmals offiziell. Jetzt startet die High-End-Eigenmarke von Decathlon mit dem Verkauf des Wettkampfrenners, der ausschließlich Online erhältlich ist.
Das übergeordnete Entwicklungsziel lag - natürlich - auf der Aerodynamik. Damit die Neuheit “das schnellste Bike im Peloton” wird, so Van Rysel, steckte die Forschungsabteilung des französischen Herstellers in Kooperation mit den Aero-Experten von Swiss Side zunächst das bevorzugte Terrain des RCR-F ab. Faktoren wie Höhenunterschied, Wind- und Renngeschwindigkeit sowie Fahrergewicht und -leistung ließen die Ingenieure in ihre Evaluation einfließen. Das Ergebnis: Der Bolide soll dem RCR-R in vielen Rennsituationen überlegen sein. Die Franzosen nennen beispielhaft Tagesklassiker mit geringem Höhenunterschied, wellige Etappen mit einer Sprintankunft oder mittelschwere Bergetappen mit Steigungen bis fünf Prozent.
Nach zahlreichen CFD-Simulationen, die gewissermaßen als virtueller Windkanal beschrieben werden können, folgte schließlich im realen GST-Windkanal in Immenstaad die Probe aufs Exempel. Das RCR-F wurde sowohl “nackt” als auch mit Fahrer getestet - mit einem beeindruckenden Ergebnis: 13,6 Watt soll die neue Rennmaschine ohne Flaschen und Halter bei 45 km/h gegenüber dem RCR-R einsparen. Eine absolute Zahl teilen die Franzosen nicht mit, gleichwohl sei die Rennmaschine auch dank der Zusammenarbeit mit Swiss Side “das aerodynamischste Rennrad, das je aus dem Windkanal kam”. Umgerechnet bedeute der Aero-Vorteil, dass das RCR-F bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von knapp 42 km/h auf einer Strecke wie der Flandern-Rundfahrt (268 Kilometer, 2250 Höhenmeter) 1:30 Minuten schneller ist als das bisherige Hauptarbeitsgerät bei Decathlon AG2R La Mondiale.
Neben dem flächigen Rahmen-Set mit langem Steuerrohr (ca. 120 Millimeter) und Sitzrohr (ca. 65 Millimeter) zeichne laut Herstellerangaben speziell das vollintegrierte Cockpit für die Aero-Performance verantwortlich. “Das Prunkstück”, so Van Rysel, spare knapp drei Watt gegenüber der vergleichsweise konventionellen Lenker-Vorbau-Einheit am RCR-R. Das Flare-Cockpit, das zusammen mit dem italienischen Komponentenspezialist Deda entwickelt wurde, zeichnet sich unter anderem durch einen platt gedrückten Oberlenker und geschwungenen Vorbau aus. Zudem folgen die nach innen geneigten Griffhöcker der Form des um 12 Grad ausgestellten Unterlenkers, mit dem Fahrerin oder Fahrer in eine aerodynamisch günstige Position gebracht werden soll.
Highlight der Steuerzentrale sind jedoch die sogenannten Ergodrops: Der verstärkte, oval geformte Lenkerbogen lässt sich sehr gut greifen und liegt ergonomisch in der Hand. Außerdem erleichtert die Verdickung, im Unterlenker stets dieselbe Position zu finden. Laut Van Rysel wurde die Konstruktion vor allem für die Profi-Sprinter bei Decathlon AG2R La Mondiale um Sam Bennett entwickelt. Zwischen den Schalt-Brems-Hebeln am Testrad liegen nur 330 Millimeter, an den Lenkerenden beträgt der Abstand 420 Millimeter. Der Oberlenker misst 370 Millimeter.
Da sich Bestwerte bei Aerodynamik und Gewicht ausschließen, musste Van Rysel bei der zweiten Kerndisziplin eines Wettkampfrenners fast zwangsläufig einen Kompromiss eingehen. Trotz hochwertiger Carbonfasern des japanischen Spezialisten Toray, einer Teillackierung des Rahmen-Sets und Gewichtstuning bei den Komponenten bleibt die TOUR-Waage erst bei 7540 Gramm stehen. Im Vergleich zum RCR-R, das als Race-Allrounder auch auf steilen Bergetappen zum Einsatz kommt, ist die Testversion mit Shimanos Dura-Ace (2x12; 52/36, 11-34 Z.) und hohen Aero-Laufrädern von Swiss Side (Hadron² Ultimate 625) rund 600 Gramm schwerer. Die schnelle Konkurrenz von Scott, Canyon oder Storck spart an der TOUR-Waage zwischen 250 und 600 Gramm. Das neue Y1Rs, das Superstar Tadej Pogačar unter anderem bei Mailand-Sanremo fuhr, bewegt sich laut Colnago auf einem ähnlichen Gewichtsniveau wie das RCR-F.
Ein großes Plus gegenüber vergleichbaren Boliden - sowie dem RCR-R - ist die exzellente Rahmensteifigkeit. Trotz des lang gezogenen Steuerrohrs gelingt es Van Rysel, eine ausgesprochen fahrstabile und verwindungssteife Plattform auf die Räder zu stellen. In Kombination mit einem relativ kurzen Radstand fährt sich das RCR-F sehr direkt und steuert agiler um schnelle Kurven, als das Räder aus der Aero-Klasse normalerweise tun. Van Rysel erklärt die Bestnoten für Front- und Tretlagersteifigkeit unter anderem mit einem gezielten Belegungsplan. Manko des kurzen Radstands: Die Schuhspitzen können bei breiter Bereifung das Vorderrad touchieren.
Dass der Federkomfort bei einem schnellen (Profi-)Rad nicht oberste Priorität genießt, ist unbestritten. Auch das RCR-F bietet in dieser Disziplin eine offene Flanke, indem es am Sattel extrem hart abgestimmt ist. Lediglich 3 Millimeter gibt die flächige Aero-Stütze bei einer Prüflast von 80 Kilogramm nach, was selbst in der Rennklasse ein unterdurchschnittlicher Wert ist. Die gute Nachricht: Der geschmeidige Hinterreifen von Continental (Grand Prix 5000 S TR), vorne ist im Gegensatz zur Serienversion der aerodynamisch optimierte Conti 111 aufgezogen, kompensiert die konstruktive Schwachstelle und nimmt Fahrten über holprigen Untergrund etwas den Schrecken. Da Rahmen und Gabel offiziell für bis zu 32 Millimeter breite Pneus freigegeben sind, ließe sich der Renner noch etwas komfortabler abstimmen.
Einen Kritikpunkt haben wir zumindest an unserem frühen Modell ausgemacht: Am RCR-F Dura-Ace Di2 PWR Pro Replica machte die Sattelstützenklemmung Probleme. Die Stütze hat, auch wenn sie ordentlich angezogen ist, bei Belastung etwas Spiel. Sie reibt dann mit der Rückseite im Sitzrohr, was zu Knackgeräuschen und auf Dauer auch zu Schäden führen könnte. Ob die Franzosen noch eine Lösung dafür finden, wird sich zeigen.
Nach unserem ersten Testeindruck können wir es dennoch kaum erwarten, das Van Rysel in den Windkanal zu stellen. Schließlich erweist sich das Rad in vielen Fahrsituationen als pfeilschnell. Geschwindigkeiten jenseits der 30 km/h sind spielerisch möglich. Durch den enormen Speed gelingt es dem RCR-F geschickt, den Mantel des Schweigens über das hart abgestimmte Chassis zu legen. Die bisherigen Messwerte aus dem TOUR-Labor deuten bereits auf eine Top-Note hin - wenn das Rad aerodynamisch hält, was es verspricht.
Zum offiziellen Verkaufsstart bietet Van Rysel drei Ausstattungsvarianten an. Die Testversion (RCR-F Dura Ace Di2 PWR Pro Replica) führt das Portfolio an, die weiteren Modelle sind ebenfalls mit elektronischen Schaltgruppen von Shimano und Leistungsmesser aufgebaut. Weitere Ausstattungen mit Antrieben von SRAM sollen folgen. Mit einem Preis von 9499 Euro für das Top-Modell zieht der französische Hersteller eine klare Trennlinie zu den weiteren Radsportmarken bei Decathlon. Die günstigeren Versionen des RCR-F kosten 5499 Euro (105 Di2) oder 6499 Euro (Ultegra Di2). Für das Basismodell nennt Van Rysel ein Komplettradgewicht von 8,2 Kilogramm.