Florentin Vesenbeckh
· 07.01.2024
Specialized und Santa Cruz. Alleine die Namen dieser beiden Marken lösen bei vielen Trail-Bikern Regungen im zentralen Nervensystem aus: Ab auf den Trail und das Adrenalin sprudeln lassen! Und genau das versprechen die beiden Light-E-MTBs der kultigen Ami-Marken. Mit 160 Millimetern an der Front und 150er-Federweg im Heck wollen sie die perfekten Trail-Allrounder sein. Fahrstark genug für heftige Abfahrten, doch dabei mit der nötigen Prise Wendigkeit für Spaß auch auf verwinkelten oder flachen Trails.
Durch den Light-Ansatz mit gemäßigter Motor- und Akku-Power soll Flow-hemmendes Mehrgewicht vermieden werden. Während Specialized mit dem Levo SL der ersten Generation schon vor gut drei Jahren den Startschuss zu dieser Kategorie gab, steht mit dem Heckler SL die Light-Premiere von Santa Cruz bereit. Wie schlagen sich die beiden Kalifornier im Duell?
Grundlegende Unterschiede werden schon beim Fakten-Check offensichtlich. Specialized setzt beim E-Antrieb aus Motor und Akku auf Minimalismus. Im Heckler SL steckt mit dem Fazua Ride 60 hingegen ein verhältnismäßig kräftiger Motor und auc die Batteriekapazität fällt mit 430 Wattstunden für Light-Verhältnisse eher üppig aus. Dafür geht der Sieg an der Waage entsprechend der Akku-Größe eindeutig an Specialized: 18,2 statt 19,3 Kilo! Damit verschafft sich das Levo auch auf dem Trail Vorteile. Denn es ist noch mal eine Nummer leichtfüßiger und handlicher, ohne auf ruppigen Downhills allzu viele Federn zu verlieren.
Das Chassis teilt sich dabei die entscheidenden Fakten. Beide Bikes setzen auf Carbon an Hauptrahmen und Hinterbau. Der Federweg landet sowohl bei Santa Cruz, als auch bei Specialized mit 160 mm (vorne), bzw. 150 mm (hinten) an der Grenze zur Enduro-Kategorie. Ebenfalls auf Trailspaß ausgelegt ist das Laufradkonzept im Mullet-Style. Dabei soll das große 29er-Vorderrad für souveränes Überrollverhalten sorgen und das kleinere 27,5er-Hinterrad ein wendiges und agiles Fahrverhalten erhalten.
Geometrieseitig gibt es viele Gemeinsamkeiten - aber auch drastische Unterschiede. Der Reach ist in Größe L bzw. S4 nahezu identisch und mit rund 470 mm (EMTB-Messung) modern, aber nicht extrem lang. Dazu kommen sehr kurze Sitzrohre (425 mm), die auch richtig hubstarke Teleskopstützen zulassen. Das Steuerrohr ist bei beiden Trailbikes 120 mm lang, der Vorbau mit 40 mm kurz. Deutliche Unterschiede gibt´s beim Lenkwinkel, der bei Santa Cruz mit 63,6 Grad um ein Grad flacher ausfällt. Das Heck ist dafür bei Santa Cruz fast ein Zentimeter länger. In Summe ergibt das einen deutlich längeren Radstand beim Heckler SL. 1265 vs. 1240 Millimeter. Das Tretlager fällt bei Santa Cruz über einen Zentimeter tiefer aus.
Specialized setzt beim Antrieb auf Minimalismus. Auch wenn der hauseigene SL-Motor im Vergleich zum Vorgänger etwas Leistung und Drehmoment zugelegt hat, bleibt der Schub eher dezent. Dazu passt der kleine Akku mit 320 Wattstunden, mit dem das System effizient umgeht. Im Heckler SL steckt der Fazua Ride 60. Hier ist spürbar mehr Wumms dahinter, und auch die Reichweite ist mit 430 Wattstunden klar überlegen. Der Fazua-Antrieb landet damit bereits auf halbem Weg zu den klassischen Power-Motoren, insbesondere wenn man die Boost-Funktion mit einbezieht. Der Ride 60 liefert auf Knopfdruck kurzfristig bis zu 450 Watt - das ist deutlich mehr als klassische Light-Antriebe. Der SL 1.2 von Specialized ist hingegen ein Minimalist. Das Motorengeräusch ist bei Fazua dezenter, als beim SL 1.2. An den Geräusch-Primus, den TQ HPR 50, kommt aber auch der Ride 60 nicht heran. Der Specialized-Antrieb ist im Vergleich zu seinem Vorgänger zwar leiser geworden, kann mit den leisten Light-Antrieben aber noch immer nicht mithalten.
Bei der Batterieintegration setzen sowohl Specialized, als auch Santa Cruz auf Leichtbau: Die Akkus in Levo SL und Heckler SL sind fest verbaut und können weder zum Laden, noch zum schnellen Akku-Wechsel auf Tour entnommen werden. Die Konstruktion mit geschlossenem Unterrohr spart Gewicht bei gleichzeitig höherer Steifigkeit im Chassis. Das Alltags-Hanndling kann jedoch, je nach persönlichen Gegebenheiten, unter dem festen Einbau leiden. Wo kann ich mein E-Bike lagern und laden? Reicht mir die Reichweite des Akkus für meine angedachten Touren? Diese Fragen sollte jeder Interessent vor dem Kauf klären.
In Punkte Reichweite hat das Fazua-betriebene Heckler SL deutlich die Nase vorne. Klar, mit seinen 430 Wattstunden hat es mehr Saft an Bord, als das Levo SL mit schlanken 320 Wattstunden. Dabei gehen beide Systeme sehr effizient mit der Energie um. In unseren Reichweitentests schnitten die Fazua-Bikes überdurchschnittlich gut ab. Trotz hohem Power-Output in der höchsten Unterstützungsstufe, erkletterten sie stets beachtliche Höhen. In harten Zahlen bedeutet das: Während ein Heckler SL mit Ride 60 rund 1300 Höhenmeter bei 12 km/h erreicht, schafft das Levo SL gut 1000 Höhenmeter bei etwa 10 km/h. Gerade, wer gerne mal etwas mehr Unterstützung vom Motor abruft, wird von den Reserven des Fazua-Systems profitieren. Der Specialized-Antrieb gehört systembedingt eher zu den Reichweiten-Zwergen. Längere Touren erfordern eine sparsame Fahrweise und sportliche Piloten.
Das Specialized Levo SL und das Santa Cruz Heckler SL haben eine Menge gemeinsam - doch es gibt auch klare Unterschiede. Auf dem Trail gehören beide Bikes zu den absoluten Trail-Könnern. Sowohl beim Fahrspaß, als auch bei den Nehmerqualitäten spielen die beiden Light-E-Bikes ganz vorne mit. Specialized stellt mit dem Levo SL das ein Kilo leichtere Bike auf die Mullet-Laufräder. Das spürt man auf dem Trail auch. Das Bike fährt sich nochmal eine Nummer leichtfüßiger und spritziger. Dazu trägt auch der kürzere Radstand und steilere Lenkwinkel bei. Das Heckler SL hat dafür den direkteren Hinterbau auf seiner Seite, der dem Santa Cruz mehr Popp verleiht.
Wenn es in der Abfahrt ruppiger zur Sache geht, gibt es ebenfalls bei beiden Kandidaten nicht viel zu meckern. Zweimal ein starker Hinterbau, zweimal eine top Ausstattung, zweimal ein echtes Wohlfühl-Handling. Auf schnellen Geraden kann das deutlich längere Heckler SL, insbesondere in der flachen Geometrieeinstellung, nochmal eine ganze Ecke mehr Laufruhe bieten. Dank tieferem Tretlager und Riser-Lenker steht man beim Heckler SL entspannt hinter der Front, das gibt viel Sicherheit. Dafür punktet am Specialized die souveränere Federgabel. Die Hinterbaufederungen sind beide richtig gut und traktionsstark, haben aber einen anderen Charakter. Das Heck des Levo SL gibt seinen Federweg sehr großzügig frei und verbreitet das viel beschworene “Staubsauger-Feeling”. Das progressivere Heckler SL bietet gegen Ende des Federwegs massig Reserven, insbesondere in der flachen und damit progressiveren Flipchip-Einstellung.
Wer es mit dem Light-E-MTB auch auf technische Uphills abgesehen hat, landet klar bei Santa Cruz. Denn das Heckler hat neben dem stärkeren Motor auch die bessere Klettergeometrie auf seiner Seite. Das Levo SL fordert mit seinem dezenten Schub einen richtig fitten Fahrer und viel Einsatz, wenn man steilere Trails bergauf möchte. Dann ist die Traktion am Heck jedoch exzellent. Das kurze Heck erfordert auch fahrtechnisch eine aktive Position, denn das Vorderrad wird schnell leicht und das Bike ist dadurch in engen Kehren oder an Steilstufen schwerer zu bändigen. Genau das macht das Light-E-Bike von Santa Cruz deutlich besser. Trotz stärkerem Motor-Punch bleibt das Vorderrad deutlich besser in der Spur. Im Vergleich zu anderen Light-E-MTBs ist das Heckler SL in Summe ein exzellenter Kletterer. Auch ihm können wir eine exzellente Traktion am Hinterrad bescheinigen.
Diese beiden E-MTBs gehören zum Besten, was die Light-Kategorie zu bieten hat! Wenn es rein um die Trail-Wertung geht, hat das leichtere Levo SL die Nase etwas vorn. Denn es vereint Nehmerqualitäten und Schluckvermögen noch etwas besser mit leichtfüßigem Handling. Dafür ist das Heckler SL breiter aufgestellt. Mit größerer Reichweite und mehr Motor-Power kommt es näher an die Vorzüge klassischer E-MTBs heran. Auch fordernde Uphills sind drin. Außerdem kann das Heckler auf ruppigen Downhill- und Enduro-Trails noch etwas mehr Laufruhe generieren. - Florentin Vesenbeckh, Redakteur EMTB Magazin
¹ Die Reichhöhe wurde bei standardisierten Messfahrten an einem Asphaltanstieg mit 12,2 Prozent Steigung ermittelt. Höchste Unterstützungsstufe, 150 Watt Tretleistung des Fahrers, Fahrergewicht inkl. Ausrüstung 89 kg. In Klammern die Höhenmeter im deutlich gedrosselten Notlauf-Modus. Die Durchschnittsgeschwindigkeit bezieht sich auf die Fahrt bei voller Unterstützung.