Welches wäre das perfekte Trailbike für mich? Diese Frage plagt mich während der gesamten Testproduktion. Anstatt mich direkt für eines der sechs High-End-Modelle aus dem Test zu entscheiden, fühle ich mich mit jedem weiteren Gedankengang immer mehr wie ein Teenager nach dem Schulabschluss: überfordert von zu vielen Möglichkeiten.
Dabei ist es doch ganz einfach, könnte man meinen. Denn auf den ersten Blick wirkt unsere Testgruppe erstaunlich homogen: Die Federwege liegen heckseitig zwischen 120 und 140 Millimetern. An der Gabel spreizt sich die Schere sogar noch weniger: Hier spezifizieren die Hersteller 130 oder 140 Millimeter. Laufradgröße? Einheitlich 29 Zoll.
Alle sechs Kandidaten besitzen also nahezu dieselben Grundvoraussetzungen. Da sollte es einem erfahrenen Tester doch leichtfallen, das beste Bike herauszufiltern, wird sich jetzt der ein oder andere nicht ganz zu Unrecht denken. Doch es sind weniger die Nuancen, die einem Kopfzerbrechen bereiten, als vielmehr Grundsatzfragen in der Größenordnung von: “Mache ich eine Ausbildung, oder gehe ich studieren?” Beispiel gefällig?
Es ist nicht lange her, da sprintete das Trek Top Fuel um Weltranglistenpunkte im Cross-Country-Zirkus. Dank der anhaltenden Evolution von Racefullys besitzt das Bike mittlerweile aber so viel Federweg, dass es per Definition als Trailbike durchgeht. Die DNA ist ihm aber geblieben: So glänzt das Top Fuel dank seines ausgeprägten Vorwärtsdrangs und des quirligen Fahrverhaltens vor allem im sportlichen Einsatz – so wie es die Rennkurse einst von ihm verlangten. Gleiches Spiel beim Specialized: Das Epic Evo teilt sich sogar heute noch den Rahmen mit den klassischen Racefullys der Amis.
Cube, Pivot und Scor schicken dagegen drei eigenständige Modelle in den Test. Die Eckdaten sagen: Passt zum Rest. In Wahrheit aber verbergen sich hinter den nackten Zahlen drei grundverschiedene Interpretationen der Kategorie Trailbike. Die Auslegungen reichen von Fliegengewicht für langen Tourenspaß bis hin zum Schanzen-Genie mit mangelnder Uphill-Performance.
Als wäre das nicht schon genug der quälenden Auswahl, pflegt das Last auch noch enge Kontakte zur Enduro-Sparte. Genauer gesagt basiert das Clay auf demselben Rahmen wie seine All-Mountain- und Enduro-Brüder Glen und Coal. Dieser Entwicklungsansatz bereichert unsere Testgruppe um ein Fahrwerk, das bergab seinesgleichen sucht, und um Geometriedaten, die man sonst – wer hätte es gedacht – nur von Enduros kennt.
Wie findet man bei dieser Vielfalt nun das perfekte Trailbike? Ganz einfach: Über unser Testsystem. Da der Grundgedanke der Kategorie in einem möglichst breiten Einsatzbereich besteht, gewinnt der Alleskönner, das Bike, das den besten Kompromiss in allen Szenarien liefert: im sportlichen Einsatz, auf langen Touren, beim Springen und auf anspruchsvollen Downhills.
Doch bevor man nun vorschnell zum Testsieger greift, sollte man sich eine Grundsatzfrage stellen, so als würde man mit dem Abschlusszeugnis in der Hand ins Leben entlassen werden: Was will ich überhaupt? Wer dann weiß, wie der eigene Einsatzbereich aussieht und was ein Bike dafür können muss, der findet mithilfe unserer Einordnung vielleicht auch Abseits des Testsiegers sein perfektes Trailbike.
Zum Vergleichstest der aktuellen High-End-Trailbikes luden wir sechs Kandidaten zwischen 5999 und 9500 Euro ein. Vom aufgebohrten Race-Fully mit Carbon-Rahmen bis zum leichten Enduro-Ableger aus Aluminium ist alles mit dabei. Diese sechs Trailbikes haben wir getestet:
Die Vorstellungen, welchen Einsatzbereich ein Trailbike abdecken muss, variieren je nach Hersteller extrem. Während Trek, Cube und Specialized teilweise noch Cross-Country-Allüren an den Tag legen, entpuppen sich Last und Scor bergab als Mini-Enduros. Am besten hat uns die Gelände-Performance des Pivot gefallen: Dank starker Ausstattungsnoten und überzeugender Klettereigenschaften geht der Testsieg dennoch an das Scor. - Max Fuchs, BIKE-Testredakteur
Seit über 30 Jahren testen und bewerten wir Komplettbikes. Unser Prüfverfahren basiert auf den Fahreindrücken von mindestens drei erfahrenen BIKE-Testern. Um unsere Eindrücke zu untermauern, stützen wir unsere Erkenntnisse auf Messdaten aus unserem eigenen Testlabor. Um Mountainbikes objektiv zu beurteilen, treiben wir bei BIKE einen beispiellosen Aufwand. Diese Kriterien sind ausschlaggebend für die Bewertung:
Der wichtigste Punkt im Bewertungssystem macht bei Fullys 65 Prozent der Endnote aus. Wir unterscheiden, wie gut sich ein Bike bergauf und bergab fahren lässt und wie das Fahrwerk entsprechend arbeitet. Bergauf bewerten wir zum einen die Geometrie: Passt der Komfort? Stimmt die Kraftübertragung, und übersteht man auch lange Tage im Sattel? In technischen Uphills gibt es Strafpunkte für ein früh steigendes Vorderrad und mangelnde Kontrolle in Schlüsselstellen. Zusätzlich urteilen wir über die Effizienz des Fahrwerks. Abzüge gibt’s für starkes Wippen beim Pedalieren. Features wie eine effektive Plattform, ein Lockout oder ein Lenker-Remote werden von unserem Punktesystem wiederum belohnt. Auch wichtig: Erzeugt der Hinterbau auch unter Kettenzug gute Traktion, ohne tief einzusacken?
Die Spieltrieb-Wertung ist dem Fahrspaß gewidmet. Hier punkten handliche Bikes mit spritzigem Handling. Modelle mit hohem (Laufrad)Gewicht, trägen Fahrwerken und sperrigen Geometrien sind hier im Nachteil. Bei der Downhill-Wertung unterscheiden wir zwischen den Fahreigenschaften, der Geometrie und den Fahrwerks-Qualitäten. In der ersten Kategorie legen wir besonderen Wert auf die Fahrposition: Steht man gut integriert im Bike, lässt es sich intuitiv steuern, und wie viel Sicherheit vermittelt die Geometrie im steilen Gelände oder bei hohen Geschwindigkeiten? Zum Punkt Fahrwerk zählen Schluckvermögen und Ansprechverhalten der Federelemente: Harmonieren Front und Heck, fangen Gabel und Dämpfer auch schnelle Schlagabfolgen ab, und generiert der Hinterbau selbst unter Bremseinflüssen gute Traktion?
Das Gesamtgewicht und die Laufradträgheit machen insgesamt 10 Prozent der Gesamtnote aus. Um uns bezüglich der Geometrie nicht auf die Werte der Hersteller und in puncto Steifigkeit nicht auf das Bauchgefühl eines Einzelnen verlassen zu müssen, ermittelt unsere Labor-Crew Rahmensteifigkeiten und exakte Geometriedaten.
Hinter den 25 Prozent verbergen sich ins[1]gesamt fünf Bewertungskriterien. Neben der Qualität der Komponenten und Anbauteile bewerten wir Dinge, die für den Fahrer einen Mehrwert schaffen. Das kann beispielsweise ein integriertes Tool oder ein Lenkanschlagsbegrenzer sein. Zusätzlich honorieren wir die Größe der Trinkflasche, die am Rahmen transportiert werden kann, die Versenkbarkeit des Sattels sowie letztendlich die Qualität und Verarbeitung des Rahmens.
Eine Ampel in der Punktetabelle gibt Auskunft darüber, wie leicht Service- und Wartungsarbeiten am Bike erledigt werden können. Grün steht für eine gute Servicefreundlichkeit, Orange für eine mittlere, und Rot warnt vor Stress beim Schrauben. Dabei bewerten wir die Zugverlegung, wie leicht das Tretlager und der Steuersatz getauscht werden können, ob der Rahmen an Problemzonen (Kettenstrebe, Unterrohr etc.) ausreichend geschützt ist und ob ein universelles Schaltauge spezifiziert wurde.
So machen Schraubereien und Tuning wieder Spaß. Mit Scor, Specialized und Trek kassiert gleich die Hälfte der Testbikes eine grüne Ampel bei der Servicefreundlichkeit. - Hans-Peter Ettenberger, BIKE-Testlabor
Welche Stärken und Schwächen und damit welchen Charakter ein Bike hat, zeigen wir auf einen Blick mit dem neuen Spinnen-Diagramm. Grundsätzlich gilt: Je größer die farbige Fläche, desto besser das Bike. Aber auch die Bewertung in den einzelnen Kriterien wird hier sichtbar. Die Gewichtung passen wir dabei je nach Bike-Kategorie an. So werden wir den unterschiedlichen Anforderungen an zum Beispiel Freeride- oder Trail-Bikes gerecht.
Oft sind es die kleinen Dinge, die beim Biken über Lust oder Frust entscheiden. Das gilt auch für diese Testgruppe. Das sind unsere sieben Tops und Flops:
Für nachvollziehbare Testurteile gleichen wir die Praxiseindrücke aller Kandidaten mit den objektiven und reproduzierbaren Ergebnissen aus unserem Testlabor ab. Dabei verlassen wir uns nicht auf die Herstellerangaben, sondern hängen alle Testbikes selbst an unsere genaue Laborwaage. Das gemessene Gesamtgewicht bezieht sich auf das Bike ohne Pedale. Das Laufradgewicht geben wir inklusive Reifen, Kassette und Bremsscheibe pro Satz an. Zwischen dem leichtesten Bike (Cube) und dem schwersten (Pivot) liegen knapp zwei Kilo Gewichtsunterschied.
Geht es um das Gesamtgewicht, sucht das Cube ohnehin seinesgleichen. 420 Gramm liegen zwischen ihm und dem zweitleichtesten Bike von Last. Gleichzeitig gibt Cube sein Trailbike für das niedrigste Systemgewicht aus Bike und Fahrer frei. Schwerere Biker sollten laut Hersteller bei Trek und Pivot am wenigsten Bedenken haben. Spannend: Dank der hochwertigen Laufräder zaubert das Last trotz Alu-Rahmen einen Top-Wert an die Waage. Die Laufräder am Cube kommen dennoch leichter in Schwung – die superleichte Cross-Country-Bereifung macht’s möglich. Für das höchste Gesamtgewicht sorgt die abfahrtslastige Ausstattung des Pivot. Die Alu-Laufräder im Trek bilden bei der Beschleunigung das Schlusslicht. Für die Laufradbeschleunigung gilt: je niedriger, desto besser.
Immer wieder viel diskutiert wird die Rahmensteifigkeit von Mountainbikes. Die Hinterbaukonstruktion des Scor fällt mit Abstand am steifsten aus. Die übrigen Bikes bieten deutlich mehr Flex, was Fahrfehler verzeiht und auf langen Abfahrten weniger ermüdet. Alle Werte bewegen sich dabei in einem Bereich, der auch für schwere Piloten unproblematisch ist. Die Steifigkeit des vorderen Rahmendreiecks liegt bei allen Testkandidaten im moderaten Mittelmaß. Viel mehr als die tatsächliche Rahmensteifigkeit fielen beim Test jedoch die Laufräder im Last auf: Die Textilspeichen von Pi-Rope kennen wir bereits aus der Vergangenheit. Sowohl der Praxistest als auch unsere Laborwerte attestierten dem System eine auffällig geringe Steifigkeit. Leichte Fahrer profitieren von dem Flex durch ein Plus an Traktion und Komfort. Die schweren Tester unter uns hingegen empfanden das Fahrgefühl bei harter Gangart als indirekt und schwammig.
Die von uns getesteten High-End-Bikes sprengen das Budget? Diese Alternativen sparen an der Ausstattung, nicht aber am Fahrspaß:
Was Cube für gerade mal 2999 Euro (>> hier erhältlich) mit seinem One22-Einstiegsmodell abliefert, ist erstaunlich. Vollcarbon-Rahmen, ein Fox-Fahrwerk aus der Rhythm-Baureihe und eine XT-Schaltgruppe – da bleiben keine Wünsche offen.
Die günstigste Konfiguration des Alu-Trailbikes startet bei 4499 Euro. Wer weniger bezahlen möchte, kann den nackten Rahmen (2578 Euro) in Eigenregie auch mit noch günstigeren Komponenten bestücken.
Die Kultmarke ist für Preis-Leistungs-Knaller ähnlich bekannt wie Rolex für günstige Uhren. Vor diesem Hintergrund kann sich die 5799 Euro teure Brunch-Ride-Version unseres Testbikes mit Fox-Factory-Fahrwerk und soliden XT-Parts sehen lassen.
Von Sparen kann bei der günstigsten Modellvariante des Scor 2030 leider nicht die Rede sein. Für 5000 Euro bekommt man bei den Schweizern zwar einen Carbon-Rahmen, die NX-Schaltung und das zweitklassige Select+-Fahrwerk von Rockshox lassen jedoch zu wünschen übrig.
Bei Specialized startet der epische Trail-Spaß bei 5200 Euro (>> hier erhältlich). Dafür gibt’s neben jeder Menge Kohlefaser ein hochwertiges Performance-Fahrwerk von Fox, einen mechanischen Sram-GX-Antrieb und, typisch Specialized, einen Haufen cleverer Features.
Trek bestückt das günstigste Carbon-Modell der vierten Top-Fuel Generation mit einer Fox-Rhythm-Gabel, einem Performance Dämpfer und Shimano-Komponenten aus dem XT- und SLX-Regal. Den schicken Alu-Rahmen gibt’s mit Dämpfer für 2499 Euro.