Jan Timmermann
· 13.03.2024
Die Evolution der Cross-Country-Fullys geht weiter. Auch Specialized gönnt seiner Rennfeile Epic in der achten Ausbaustufe 120 Millimeter Federweg und eine lange, flache Geometrie. Damit belegt es das einstige Territorium des Epic Evo. Es scheint, als sei Down Country das neue Cross Country.
Doch Specialized gibt das Evo-Modell nicht auf. Im Gegenteil: Mit etwas mehr Federweg an der Front, größeren Bremsen, griffigeren Reifen und einem breiteren Cockpit mutiert das Epic Evo 2024 zum Trailbike. Dabei ist es erstaunlich, dass das abfahrtsstärkere Bike auf demselben Rahmen basiert wie die Race-Version ohne Namenszusatz.
Kann so ein Konzept aufgehen und ist die genetische Verwandtschaft in der Praxis zu spüren? Wir haben das Specialized Epic Evo 8 fürs Modelljahr 2024 einem ausgiebigen Test unterzogen.
Mit 9000 Euro markiert das Modell Epic Evo Pro im Specialized-Portfolio das obere Ende der Fahnenstange. Während es beim Race-Bruder Epic bis in astronomische Höhen von 14.500 Euro geht, bleibt das Evo Trailbike gerade noch auf dem Boden. Statt des gewichtsoptimierten FACT 12M-Rahmens des S-Works basieren die beiden verfügbaren Modelle des Epic Evo auf dem etwas günstigeren und 190 Gramm schwereren FACT 11 M Carbonrahmen. Mit 1872 Gramm (BIKE Messung, Größe L, ohne Dämpfer) fällt dieser für ein Trailbike immer noch leicht aus und kann selbst mit dem Rahmengewicht vieler Racebikes konkurrieren.
Die Züge laufen klassisch durch das Steuerrohr in den Rahmen und im Unterrohr findet sich die SWAT-Box zum Gepäcktransport. Diese funktioniert auch am Evo auffallend gut und baut nicht so klobig, wie im Rahmen so manches Konkurrenten. Wo heute viele hakelige Verschlüsse diverser Staufächer weit verbreitet sind, ist das Öffnen und Schließen der Specialized-Lösung via ergonomischem Hebel geradezu ein Genuss.
Ebenso praktisch ist das Minitool, welches klapperfrei im Gabelschaft sitzt. In Sachen Details hat Specialized seine Hausaufgaben also definitiv gemacht. Besonders schön: Zwei Flaschenhalter im Rahmendreieck rüsten das Epic Evo 8 auch für besonders ausschweifende Trail-Touren und bieten an einem 130-Millimeter-Trailbike einen echten Mehrwert, zum Beispiel auch bei Mehrtagestouren oder einer Transalp. Die Ausstattungs- und Verarbeitungsqualität des Pro-Modells lässt Nichts zu wünschen übrig. Aufgrund des aufgeblasenen Hubs verzichtet das Topmodell auf das neue Rockshox Flight Attendant System für Cross-Country-Bikes und kommt mit einem Fox-Fahrwerk der obersten Factory-Güteklasse.
Bereits im Sitzen wird die enge Verwandtschaft des Specialized Epic Evo mit dem rennsportlichen Cross-Country-Bike deutlich. Lang gestreckt nimmt der Pilot auf dem Trailbike Platz. Der flache, breite Lenker sorgt zusätzlich für eine sportliche Sitzposition. Generell klettert das Evo kompetent Richtung Gipfel. Dass es seinen Fahrer sehr ausladend über den Rahmen spannt, ist aber auch in technischen Trail-Anstiegen zu spüren, wo es gilt das Bike bei niedriger Geschwindigkeit präzise zu steuern. Dann will das lange Bike erst einmal gemanagt werden und lässt sich nicht ganz so leichtfüßig manövrieren, wie die viele andere Trailbikes. Das aufgrund des flachen Lenkwinkels schnell abkippende Vorderrad vereinfacht die Aufgabe nicht.
Der Hinterbau des Epic Evo wippt derweil kaum. Mit nur sehr geringen Antriebseinflüssen bleibt der Griff zum Plattformhebel meist überflüssig. Dank leichter Carbonlaufräder beschleunigt das Specialized Trailbike gut und macht bei hohem Pedaldruck schnell ordentlich Laune. Auch unter Last gelingen die Gangwechsel mit Srams X0 Eagle AXS Transmission Schaltgruppe zuverlässig. Die firmeneigenen Reifen rollen ausgesprochen gut, bei schlammigen Verhältnissen ist die Traktion am Hinterrad aber begrenzt. Zwar besitzt das Evo einen weniger sportlichen Anspruch, als das Standard-Epic, in ihm schlummert bergauf und in der Ebene dennoch die Seele eines kilometerhungrigen Sportlers.
Auch bergab macht das Specialized Epic Evo 2024 keinen Hehl aus seiner Herkunft. Zwar sprechen die Federelemente gut an und reagieren zuverlässig auf kleine wie große Stöße, stehen jedoch tendenziell hoch im Federweg. Das Ergebnis ist ein eher straffes Fahrgefühl, das zwar gut zur sportlichen Fahrposition passt aber keine Komfort-Bestwerte erreicht. Das Fahrwerk bügelt den Trail keineswegs glatt, sondern geben noch recht viel Feedback an den Fahrer weiter. Das kann auf langen Abfahrten zu einer früheren Ermüdung führen, als von anderen Trailbikes gewohnt, kommt einem schnellen, aggressiveren Fahrstil jedoch entgegen.
Am meisten Spaß macht dieses Verhalten auf schnellen aber weniger ruppigen Trails. Wer auf dem lokalen Flowtrail eine neue Bestzeit aufstellen will, dem wird das neue Epic Evo ein guter Komplize sein. Auf den abwechslungsreichen Wald-Trails der deutschen Mittelgebirge, wo kürzere Abfahrten immer wieder durch Gegenanstiege unterbrochen werden, fühlt sich das rassige Specialized ebenso wohl. Bereits dem ausgelaufenen Vorgänger des Evo-Trailbikes bescheinigten wir eine Menge Marathon-Gene.
Mit einem hohen Reach-Wert von 477 Millimetern (in Größe L) und einem flachen Lenkwinkel von 65,4 Grad verträgt das Specialized Epic Evo 8 in der Abfahrt bereits eine ganze Menge Speed. Das Trailbike liegt bei hohen Geschwindigkeiten laufruhig und sicher auf dem Kurs. In Steilabfahrten vermittelt das geräumige Chassis mit weit abgesenkter Teleskopstütze ein hohes Sicherheitsgefühl. Für aktives Abziehen oder Pushen durch enge Kurven ist aber trotz 432 Millimeter kurzer Kettenstreben und einer guten Portion Gegenhalt im Fahrwerk definitiv mehr Arbeit notwendig.
Mit einem 190 und einem 170 Zentimeter großen Testfahrer hatten wir die Möglichkeit, zwei unterschiedliche Körpergrößen auf demselben Bike mit Rahmengröße L zu testen. Während die Handhabung noch unkompliziert war, erschien die Länge auf verwinkelten Trails als insgesamt zu extrem. Ähnlich empfand es unser 170 Zentimeter großer Tester auf dem L-Bike. Wer sich von einem Trailbike ein agiles und verspieltes Handling wünscht, muss bei der Größenwahl des Specialized aufpassen und sollte sich definitiv für die High-Position des Flip-Chips entscheiden.
Auch weil viele moderne Crosscountry-Bikes mit 120er-Fahrwerk so außerordentlich gut und vielseitig sind, hat das Specialized Epic Evo 8 Pro starke Konkurrenz. In engen Kehren und bei flotter Kurvenhatz wirkt das lange Bike schnell zu sperrig. Da heutzutage wiederum viele Trailbikes zugunsten ihrer Abfahrtskompetenz ordentlich an Gewicht zulegen und in Sachen Effizienz zurückfallen, ist es schön zu sehen, dass das vortriebsstarke Specialized mit 12,36 Kilo erfreulich leicht bleibt. Viele Touren-Biker dürften auf genau diese Art Bike gewartet haben.
Auch für ein sportliches Trailbike ist ein griffiger Vorderreifen eine sehr gute Wahl. Der Specialized Purgatory glänzt mit Grip und gutmütigem Fahrverhalten. Derweil bieten die kräftigen Sram Code Bremsen in der Stealth-Version vor allem mit der 200 Millimeter Bremsscheibe vorne am 130er Trailbike eine ganze Menge Souveränität in technischen Sektionen der Abfahrt. Sympathisches Detail: Selbst, im rumpeligsten Steinfeld bleibt das Specialized auffällig leise. Nichts klappert, nichts knarzt. Das passt ausgesprochen gut zum unaufgeregt-professionellen Gesamteindruck.
Da sich das Specialized Epic Evo auch in der neuesten Ausbaustufe an der Grenze zwischen Race- und Trailbike positioniert, dürfte es unter den Anhängern ausschweifender MTB-Touren und anspruchsvoller Trails immer noch viel Zuspruch finden. Die größte Daseins-Bedrohung kommt aus dem ehemals eigenen Territorium: Wo das neue Epic mit 120er-Fahrwerk bereits für 90 Prozent der Trails geeignet ist, kommt das EVO durch die Extra-Reserven mit 100 Prozent der Herausforderungen im Gelände klar. Mehr Agilität gibt es jedoch bei den modernen Cross-Country-, beziehungsweise Down-Country-Bikes. - Jan Timmermann, BIKE Testredakteur
Mit einer großen Portion Sportlichkeit und wertvollen Details, wie der SWAT-Box und zwei Flaschenhaltern, empfiehlt sich das Specialized Epic Evo 8 2024 für Biker mit Spaß an langen Trail-Touren mit vielen Kilometern. Fahrwerk und Sitzposition sprechen klar die Sprache der Racebike-Basis. Am liebsten mag es das Evo schnell und mit viel Druck auf den Pedalen. Langsam und gemütlich ist eher weniger sein Ding. Dann ist die Geometrie zu extrem und der Komfort zu niedrig.
Cross-Country-Bikes sind die Königsdisziplin für MTB-Ingenieure. Ein gewaltiger Entwicklungsaufwand ist nötig, um die vermeintlich ausoptimierten Modelle immer wieder auf ein neues Niveau zu heben.
Um maximale Einsatzbandbreite und minimales Gewicht bei voller Rennstreckentauglichkeit zu realisieren, wird mit spezieller Carbon-Faser, innovativer Rahmenkonstruktion und clever komponierter Ausstattung gegen jedes überflüssige Gramm gekämpft.
Basis für ein super leichtes Mountainbike ist ein super leichter Rahmen. Filigrane Dämpferanlenkungen und der Verzicht auf alles, was nicht wirklich nötig ist, ermöglichen im Jahr 2024 Rahmengewichte von teils deutlich unter 2000 Gramm. Inklusive Dämpfer, wohlgemerkt. Und das bei sehr guter Steifigkeit.
Das sind aktuell wohl die leichtesten und teuersten Mountainbikes, die wir im Test hatten – mit ihnen gehen die Top-Stars im Olympiajahr 2024 an den Start. Die nackten Zahlen.
Knapp dahinter:
Ohne Eingliederung, da ohne BIKE-Test & ohne BIKE-Messung