Scott trat vor rund einem Jahr mit einem Paukenschlag auf die Bildfläche der Light-E-Mountainbikes. Noch nie war ein E-MTB-Fully so leicht wie das Lumen. Unter 16 Kilo! (Hier geht´s zum Test des Scott Lumen!) Ganz nebenbei setzte das Downcountry-Bike auch in Sachen Systemintegration neue Maßstäbe. Der Dämpfer steht versteckt im Sitzrohr, Lenker und Vorbau verschmelzen zu einer Einheit, und alle Kabel und Leitungen verlaufen fast unsichtbar durch den Steuersatz in den Rahmen. Jetzt rollt mit dem Scott Voltage eRide der große Bruder des Lumen in die Läden. Die breiter ausgelegte Variante des Superleicht-Flitzers?
Denn der Kundenkreis für das superleichte Lumen blieb sehr klein, trotz Rekordgewicht. Entsprechend des gemäßigten Einsatzbereichs von Downcountry-Bikes legten die Entwickler das 130-Millimeter-Fully konsequent auf Leichtbau aus. Leichte Reifen mit wenig Pannenschutz, schlanke Federgabel und schmächtige Bremsen ermöglichen ein leichtfüßiges Handling. Für anspruchsvolles Gelände bietet das Konzept aber zu wenig Reserven. Nur wer viel Eigenleistung einzubringen weiß und herberes Gelände meidet, wird hier glücklich. Also wenig interessant für das Gros der E-MTB-Community. Aber halb so wild. Denn für die Saison 2024 haben die Scott-Entwickler die begehrten Features auf ihr brandneues Light-Trailbike übertragen. Et voilà: das Scott Voltage.
Die Schweizer Innovationstreiber positionieren das Voltage als Allzweckwaffe für anspruchsvolles Gelände. Die Eckdaten: Vollcarbon-Rahmen, 29-Zoll-Bereifung, 160 Millimeter Federweg an der Gabel und eine 155 Millimeter dicke Knautschzone am Heck. Damit spielt es genau in der Liga der leichten Trail-Fullys à la Specialized Levo SL oder Santa Cruz Heckler SL. (Hier geht´s zum Duell der beiden beliebten Leichtgewichte im Trail-Segment!) Das Voltage-Topmodell für 12.999 Euro soll laut Scott 17,9 Kilo in Größe M wiegen. An die Spitzenwerte des Levo SL S-Works (17,7 kg in L) kommt es damit zwar nicht ganz heran, doch es kommt recht nahe heran. Nur Downcountry-Bikes mit abgespeckter Ausstattung wie etwa das Lumen aus dem eigenen Hause können diese Marke deutlich unterbieten.
Neben dem Antriebssystem mit dezentem TQ-Schub übernimmt das Voltage auch das Rahmendesign vom Downcountry-Bike Lumen. Denn auch beim Voltage nutzen die Ingenieure ihr Patent zur Dämpferintegration der Schwestermarke Bold und verstecken den Dämpfer im Sitzrohr. Seit dem Scott 2021 das Spark mit dieser Technologie neu aufgelegt hatte, setzen die meisten neuen Scott-Bikes auf dieses technische Highlight. Der integrierte Dämpfer bietet übrigens nicht nur optische Vorteile. Im Chassis verstaut, schafft er im Hauptrahmen Platz für eine große Trinkflasche plus Zusatz-Akku. Das gelingt kaum einem E-MTB am Markt! Die Integration zahlt zudem auf die Haltbarkeit ein. Geschützt vor Wasser, Schlamm und Staub ist der integrierte Dämpfer weniger wartungsintensiv als in herkömmlichen Rahmenkonstruktionen.
Auch typisch Scott: Mit dem bewährten Twinloc-System lassen sich Gabel und Dämpfer gleichzeitig vom Lenker aus in drei Stufen verstellen: offen, Plattform und geschlossen. Im sogenannten Traction-Control-Mode (Plattform) schrumpft das Luftvolumen im Dämpfer und mehr Druckstufendämpfung wird zugeschaltet. Dadurch steht das Bike bergauf und auf welligen Trails höher im Federweg, eliminiert die Antriebseinflüsse und generiert dabei trotzdem noch Traktion.
Das Antriebssystem übernimmt Scott vom schmächtigeren Lumen: ein leichter HPR-50-Motor von TQ mit gemäßigter Leistung und fest verbautem Akku mit 360 Wattstunden, der optional mit einem Range-Extender mit 160 Wattstunden (1050 g) ergänzt werden kann. Der HPR 50 von TQ ist der Minimalist unter den Light-Antrieben. Kein anderer Motor ist kompakter, kein anderer Antrieb ist leiser. Bergauf bleibt er recht ruhig, bergab klappert er nicht. Dafür bietet er vergleichsweise nur mäßig Power.
Die Option auf einen Range Extender ist für alle, die längere Touren fahren wollen, nicht ganz unwesentlich. Denn in unseren Tests konnte der HPR50 mit seinem 360-Wh-Akku im Vergleich zu anderen Light-Antrieben nicht die besten Reichweitenwerte erzielen. Bei hoher Eigenleistung und geringer Motorunterstützung sind natürlich trotzdem ausgiebige Ausfahrten drin.
Der Lenkwinkel fällt mit 63,9 Grad flach aus und ist über eine drehbare Lagerschale anpassbar (+1°). Der flache Wert steht auch Enduros gut zu Gesicht und sorgt für viel Laufruhe. Der Reach-Wert rangiert am langen Ende des Größenspektrums. Gleiches gilt für die 455er-Kettenstreben. Sie verleihen dem Bike gute Kletterfähigkeiten, hemmen aber den Spieltrieb. Der steile Sitzwinkel hilft ebenfalls im Uphill. Hohes Tretlager.
Scott bietet sein neues Light-Trailbike in sechs Modell-Varianten an: das Voltage eRide 900 Tuned mit gesteigertem Abfahrtspotential, eine auf Leichtbau getrimmt 900-SL-Variante und zwei erschwinglichere Modelle für 6599 und 7199 Euro. Abgerundet wird das Voltage-Lineup von zwei Contessa-Modellen speziell für Frauen. Alle Modelle setzen dabei auf denselben Vollcarbon-Rahmen mit 155 Millimetern Federweg. Gleiches gilt für den HPR-50-Motor von TQ. Er übernimmt an allen Bikes die Antriebsunterstützung und wir von einem fest verbauten Akku mit 360 Wattstunden versorgt. Das maximal zulässige Systemgewicht beträgt durch die Bank 130 Kilo.
Bei 6599 Euro beginnt der „leichte“ Trail-Spaß, ein fairer Kurs für ein Vollcarbon-Bike mit TQ-Antrieb. Die Marzocchi-Z2-Gabel hat nur 150 mm Hub. Das Gewicht klettert mit günstigen Sram- und Shimano-Komponenten auf 19,3 Kilo.
Bikerinnen kommen ebenfalls schon ab 6599 Euro in den Genuss des neuen Voltage. Die Ausstattung wählen die Produktmanager analog zum Einstiegsmodell Voltage eRide 920 preisbewusst. Heißt: eine Marzocchi-Z2-Gabel mit 150 Millimetern Federweg und ein Schaltungsmix aus dem Deore- und XT-Regal von Shimano. Das Gewicht dürfte etwas über 19 Kilo liegen.
Das Voltage eRide 910 siedelt sich preislich unter unserem Testbike an und kommt mit Schaltungs-Mix von Shimano, Fox-Rhythm-Fahrwerk und Alu-Laufrädern und -Komponenten von Syncros. Dafür sind 7199 Euro fällig. Gewicht laut Scott: 19,5 Kilo. Der Federweg an der Gabel misst 160 Millimeter.
Das Contessa Voltage eRide 900 kostet ebenfalls 7199 Euro. Dafür spezifiziert Scott einen Schaltungs-Mix von Shimano, ein Fox-Rhythm-Fahrwerk sowie Alu-Laufräder-Komponenten von Syncros. Mit diesem Ausstattungspaket bringt das Contessa Voltage eRide 900 laut Hersteller 19,5 Kilo auf die Waage. Federweg: 155 Millimeter am Heck und 160 Millimeter an der Gabel.
Unser Testbike kommt mit einem Highend-Fox-Fahrwerk aus der Factory-Güteklasse. Für maximale Downhill-Performance steckt im Rahmen der Float-X-Nude-Dämpfer mit Ausgleichsbehälter. Federweg an der Gabel 160 Millimeter. Die Gangwechsel übernimmt Srams XX Eagle AXS Transmission. Auch mit an Bord: eine Lenker-Vorbau-Einheit und FSA-Kurbelarme aus Carbon.
Das Top-Modell kommt mit Fox Factory Fahrwerk und hat den Zusatz-Akku direkt im Lieferumfang. Geschaltet wird mit Srams XX Eagle AXS Transmission via Funk. Laufräder, Lenker-Vorbau-Einheit und FSA-Kurbelarme aus Carbon drücken das Gewicht unter die 18-Kilo-Marke.
Das Voltage 900 Tuned ist die abfahrtslastigste Ausbaustufe des Bikes. Zugunsten der Downhill-Performance rückt die Effizienz etwas in den Hintergrund. Als einziges Modell beherbergt das Bike einen Float-X-Nude-Dämpfer mit Ausgleichsbehälter. In dieser Konfiguration reagiert der Hinterbau durch das größere Luftvolumen sensibler auf Unebenheiten und bietet zudem eine verstellbare Druckstufendämpfung. Statt des Twinloc-Systems kommt das sogenannte Tracloc zum Einsatz, welches nur den Hinterbau ansteuert. Die Fox-36-Gabel bleibt von der Verstellung unangetastet, wodurch die hervorragende Grip2-Dämpfung ihre Stärke entfalten kann.
Am Heck stehen drei Fahrmodi zur Wahl: offen, Plattform und der spezielle Ramp-Control-Modus. Durch ihn schließt sich eine der beiden Luftkammern im Dämpfer. Das hat denselben Effekt, als würde man einen Volumen-Spacer verbauen – nur eben auf Knopfdruck. Das Ergebnis: Der Hinterbau agiert progressiver und bietet mehr Gegenhalt. Während unserer Tests bei der Neuheiten-Präsentation in Girona erschien uns der ausgeklügelte Ramp-Control-Modus allerdings etwas überflüssig. Denn der Hinterbau zeigt sich auch im offenen Modus von der sportlichen Seite. Er gibt angenehm viel Feedback vom Untergrund und bietet sowohl auf seichten Trails als auch beim Pushen in Anliegern oder Abziehen an Sprüngen viel Gegenhalt. Das Ansprechverhalten überzeugt auf ganzer Linie.
Durch die hohe Front und den steilen Sitzwinkel fällt die Sitzposition trotz langem Reach aufrecht und kompakt aus – so übersteht man auch lange Tage im Sattel ohne Probleme. Mit der zentralen Position und den langen Kettenstreben bleibt die Front auch in steilen Rampen zuverlässig am Boden. Kurzum: Freundet man sich mit der mäßigen Unterstützung des TQ-Motors an, begeistert das Voltage mit souveränen Kletter-Skills.
Und bergab? Hier verfolgt das Bike dank langer Geometrie und flachem Lenkwinkel sicher die anvisierte Linie. Besonders bezahlt macht sich aber die hohe Front. Sie vermittelt das Gefühl, tief und sicher im Bike zu stehen. So lässt sich das Voltage auch im steilen Gelände noch leicht beherrschen. Einziges Manko: Wer gerne leichtfüßig über den Trail tänzelt oder mit dem Gelände spielt, muss hier für Light-Verhältnisse viel Kraft aufwenden. In engen Kehren fühlt sich das Bike mit den langen Kettenstreben leicht sperrig an. Kritik gibt es auch für das Klappern des optionalen Range-Extenders im rauen Gelände. Ohne den Zusatz-Akku flubbert das Voltage aber angenehm leise über den Trail.
Aus technischer Sicht ist das Scott Voltage ein Meisterwerk: maximale Systemintegration, top Verarbeitung und viel Liebe zum Detail. In der Praxis gibt sich der Neuling durch unkomplizierte Kletter- und Abfahrtseigenschaften als super Allrounder. - Max Fuchs, Testredakteur EMTB Magazin