Mann, Mann, Mann, die E-Bike-Entwicklung rast echt im Schweinsgalopp! Vor gerade mal fünf Jahren wurde noch heiß diskutiert, ob Akkus wirklich ins Unterrohr gehören, wo sie doch unschön aufs Oberrohr geklemmt für steifere und leichtere Rahmen sorgten. Ob ein E-Bike einen schwachen Motor und einen kleinen Akku braucht – diese Frage stellte sich aber kaum jemand. Außer Lapierre vielleicht. Aus heutiger Sicht war das absolute Pionierarbeit, als die Franzosen 2018 das E-Zesty auf den Markt brachten: Das erste Fully mit dem Fazua Ride 50 im Unterrohr. Der Zwergantrieb mit 250-Wh-Akku ließ sich mit einem Handgriff gegen eine Plastikhülse tauschen und wurde vom deutschen Motorenhersteller deshalb auch gerne mit dem 2-in-1-Vorteil beworben.
Skeptische Blicke gab es bei der Präsentation einige, auch bei uns in der EMTB-Redaktion. Weil ich bereits seit einiger Zeit ein Hardtail mit dem Mini-Motor im Dauertest fuhr (Focus Raven) und liebte, wollte ich dem seltsamen Konzept auf den Zahn fühlen. Und das habe ich gemacht. Nach einer ausgiebigen Testfahrt war der Sattel hinüber, die Carbon-Felge am Hinterrad gebrochen und meine Begeisterung für das Light-E-MTB-Konzept trotzdem bei 100 Prozent. Denn auch wenn das Lapierre E-Zesty damals an einem wegtauchenden Hinterbau, einem zu flachen Sitzwinkel und einer stark eingeschränkten Reichweite krankte, war die Grundidee für mich doch absolut überzeugend. Mit sportlichem Selbstanspruch und dezenter Unterstützung den eigenen Aktionsradius erweitern und dann auf den Abfahrten fast klassisches Bike-Feeling zu genießen, das schien stimmig.
“Begründet das Lapierre E-Zesty vielleicht eine neue E-Bike-Kategorie?” war damals meine provokante Kernfrage. Die kann man heute geflissentlich mit Ja beantworten. Light-E-MTB sind spätestens seit 2020 in aller Munde, und fast jeder Hersteller hat mittlerweile eines im Programm. Und Lapierre? Hat sein E-Zesty renoviert. Wieder mit Fazua-Motor, aber ansonsten bis zur letzten Schraube alles anders gemacht. Und der Ride 60 hat mit seinem Vorgänger nicht mehr viel gemein. Fortschritt im Schweinsgalopp eben.
“Wow, das ist aber leicht!” Der Ausruf beim Hebetest kommt beim Lapierre heute fast häufiger als vor fünf Jahren. Damals waren vollwertige E-Bikes mit ihren externen 500-Wattstunden-Akkus nämlich gerne mal nur 21 Kilo schwer. Da war das Lapierre E-Zesty mit seinen 18 Kilo kein sooo extremer Unterschied. Heute hat sich das Durchschnittsgewicht der großen Brüder bei fast 25 Kilo eingependelt. Die fetten Akkus fordern ihren Tribut. Entsprechend extrem ist der Wechsel auf das sieben Kilo leichtere Lapierre jetzt.
Alles fühlt sich sofort beim ersten Einrollen eine ganze Ecke leichter, agiler und natürlicher an. Beim Lapierre E-Zesty AM LTD ist aber auch alles auf sehr leicht getrimmt. Der Rahmen soll laut Hersteller in Größe M schmale 2630 Gramm wiegen. Möglich macht das auch der fest verbaute Akku im klassisch geschlossenen Unterrohr. Dazu Carbon-Laufräder, Carbon-Lenker und die leichte Rockshox-Pike-Ultimate-Gabel mit 140 Millimetern Hub. Fertig ist das leichteste E-Fully mit Fazua-Ride-60-Motor, das wir bisher im EMTB-Testlabor hatten. Und dank diesem Antrieb ist es auch eines der leisesten E-Bikes, die man fahren kann. Der Münchner Antrieb summt dezent, unter Volllast hörbar, aber nie nervig vor sich hin.
Gemessen an der Lautstärke ist er dazu enorm kraftvoll. Speziell im mittleren Modus hat er eine sehr ausgewogene Balance aus sanfter, sehr natürlicher Unterstützung und ordentlich Bums. Die brachiale Kraft eines klassischen Power-Motors à la Bosch CX schafft er nicht, aber der Schub reicht selbst an steilen Anstiegen, um auch mit überschaubarer Eigenleistung locker aufwärts zu kommen. Und dank dem größeren Akku kommt das neue E-Zesty obendrein noch deutlich weiter als sein Vorgänger. Die Reichweite ist für ein Light-Bike überdurchschnittlich. Das Fahrwerk des Lapierres unterstützt dabei bergauf sehr gut. Der Hinterbau steht beim neuen E-Zesty sehr stabil und ruhig im Hub. Den Blockierhebel brauchte es nie. Die Sitzposition ist ausgewogen, und das Vorderrad steigt spät. Die mitwachsenden Kettenstreben – 435 bei Größen S und M, 441 und 445 Millimeter bei Größen L und XL – sorgen dafür, dass das gute Uphill-Verhalten über alle Rahmengrößen hinweg erhalten bleibt.
Erhalten bleibt so auch das ausgewogene und agile Handling bergab und in der Ebene. Speziell auf flowigen Trails ist das E-Zesty ein Spaßgarant. Es beschleunigt flink und reagiert mit gutem Popp beim Abdrücken von Wurzeln und Steinkanten. Die nicht zu extreme Geometrie sorgt in schnellen und langsameren Kehren für ein neutrales Lenkverhalten.
Wo das Bike gegenüber dem Vorgänger, und auch gegenüber einigen aktuellen Konkurrenten, Federn lässt, ist bei schneller Fahrt in herbem Gelände bergab. Hier beschränkt die ungewohnt straff arbeitende Pike Ultimate die Fahrleistung deutlich. Trotz einiger Extramühen beim Setup konnten wir der Gabel nicht den vollen Federweg entlocken. Steile Passagen mit Stufen wurden dadurch schnell anstrengend und das Fahrgefühl nervös. Für Einsätze in alpinem Gelände ist das Lapierre nicht ganz ideal. Es glänzt mehr als straffes Trailbike für flowiges, nicht zu extremes Gelände. Die klappernden Züge im Rahmen waren ein zusätzlicher Wermutstropfen in der Abfahrt. Zweiter Minuspunkt: Die hauseigene Sattelstütze lässt sich nicht ganz im Rahmen versenken. So bleibt der Sattel bergab recht weit oberhalb des kurzen Sitzrohres stehen und beschränkt die Bewegungsfreiheit. Wer kürzere Beine hat, kommt um den aufwändigen Einbau einer insgesamt kürzeren Stütze nicht herum. Diesen konstruktiven Mangel hatte bereits der Vorgänger. Schade, dass Lapierre hier keine elegantere Lösung gefunden hat.
I told you so! Den Spruch höre ich selbst ungern und sage ihn auch möglichst nie. Aber 2018 war ich mit meiner Begeisterung für Light-E-Bikes mit ihrer geringen Motor-Power noch ein Exot in der EMTB-Redaktion. Heute guckt keiner mehr schräg, wenn ich ein Bike wie das Lapierre E-Zesty AM LTD feiere. Und dafür gibt es viele Gründe: das agile Handling, den fantastischen Motor und die tollen Leistungswerte zum Beispiel. Als Gesamtpaket schlägt es den Vorgänger damit um Welten. Wermutstropfen sind beim 2023er-Modell die recht straffe Gabel und die eingeschränkte Sattelverstellbarkeit. Aber es muss ja Raum bleiben für weiteren Fortschritt. Deshalb: See you in four years!
Gleicher Motorenhersteller, gleiches Grundkonzept. Fünf Jahre Entwicklung lassen das alte E-Zesty... na ja, ziemlich alt aussehen. Aber auch das 2023er-Modell ist nicht perfekt.
2018: 2-in-1-Konzept: 250-Wh-Mini-Akku und 50-Nm-Motor, als Einheit, die mit einem Handgriff entfernt werden kann. So innovativ der Minimal-Assist-Ansatz war, die Idee vom einen Bike, das mit und ohne Motor-Akku-Einheit gefahren werden kann, hat sich nicht durchgesetzt.
2023: State of the Art: Fazua Ride 60 mit integriertem 430-Wh-Akku und 60 Newtonmeter. Genauso leise wie der Vorgänger, aber mit deutlich mehr Kraft und Ausdauer treibt er das Lapierre E-Zesty AM LTD jetzt auch auf hohe Berge. Dass das Gewicht gleich geblieben ist, verdeutlicht den Fortschritt nochmals. Dafür musste aber der Rahmen mit fest integriertem Akku designt werden.
2018: Remote Typ Lego-Stein: Die etwas klobige Lenkereinheit galt vor fünf Jahren als fortschrittlich dezent.
2023: Slim Fit: Die Mini-Remote am Lenker in Verbindung mit der LED-Anzeige im Oberrohr ist ergonomisch ausgereift und optisch perfekt integriert. Die Haptik lässt aber noch Luft nach oben. Ein USB-Anschluss ist ebenfalls im Oberrohr versteckt.
2018: Problemzone: Die Stütze des Lapierre 2018 hatte wenig Hub (und einen fragilen Sattel). Dass das Thema Teleskopstütze heute immer noch ein Problemfeld ist, liegt am Fortschritt beim Thema Hub, denn Teleskopstützen sind heute insgesamt länger. Das harmoniert nicht mit dem geteilten Unterrohr, das Platz für den Dämpfer schafft. Dieser Konstruktion ist Lapierre treu geblieben.
2023: Problemzone reloaded: Die hauseigene Stütze lässt sich nicht weiter im Rahmen versenken, als im Bild zu sehen. So ist das Rad für kleinere Menschen nicht gut geeignet, selbst wenn der Reach passen würde. Ein Umbau auf eine 140-mm-Stütze wäre für den 172 cm großen Tester Pflicht gewesen. Ein enormer Umbauaufwand.
2018: Festgelegt: Vor fünf Jahren kamen noch viele E-Bikes mit 27,5-Zoll-Laufrädern vorne und hinten auf den Markt. So ganz war damals nicht klar, ob das kleinere Laufrad nicht auch vorne Vorteile hat. Heute ist zumindest an der Front 29 Zoll der Standard. Am Heck sieht das anders aus, und Lapierre lässt einem in 2023 die Wahl.
2023: Flipchip: 29 Zoll sind Standard beim 2023er-Modell. Aber ein kleineres Hinterrad für agileres Handling ist möglich.