Mit dem Enduro ECC sorgte Motorrad-Spezialist GasGas letztes Jahr für Aufsehen. Nicht nur war das Bike eines der vier ersten E-MTBs, mit denen Sram seinen Powertrain-Antrieb vorstellte. Das GasGas war auch wegen vielem anderem ein Hingucker: Fender am Rahmen in Moto-Optik, eigenes Spezial-Fahrwerk von White Power in Zusammenarbeit mit DVO, knallige Farben und Akzente.
Allerdings: Mit superlangen Kettenstreben und extralangem Radstand ist das Enduro ECC klar auf E-Racing wie den Enduro-Worldcup E-EDR ausgelegt. Für Spaß im Alltag vielleicht nicht die beste Wahl. Still und leise tauchte daher im Winter ein zweites Bike auf der GasGas Website auf: Das MXC kommt als verspieltes Trail-E-Bike mit kürzeren Kettenstreben, 160 / 140 Millimetern Federweg, Laufradmix und in den Topmodellen ebenfalls mit dem Spezialfahrwerk aus der DVO/WP-Kooperation. In der kleinsten Größe S, die eher wie ein kleines M ausfällt, konnten wir uns vom Topmodell MXC 6 bereits einen ersten Eindruck verschaffen.
Motorradhersteller GasGas will immer mehr auch im Fahrradbereich Fuß fassen. Die Spanier haben mittlerweile ein eigenes Rennteam mit prominenten Namen wie Johannes Fischbach und Alex Marin am Start. Und letztes Jahr war GasGas einer der Launch-Partner für Srams neues Eagle Powertrain-System. Die grundsätzliche Idee dahinter: Sram vernetzt mit Motor, Akku, Schaltung, Telestütze und sogar Fahrwerk alle elektronischen Komponenten am Rad. So will man die Stärken der einzelnen Parts noch besser ausnutzen, die Bedienlogik vereinfachen und neue Features wie automatisches Schalten ermöglichen.
Die Leistung für das Antriebssystem kommt aus Broses Drive S Mag Motor, der mit Software von Sram betrieben wird. Den Antrieb kennt man schon länger aus Bikes von etwa Specialized und Rotwild, die angenehme Soundkulisse und das hohe Drehmoment von 90 Newtonmetern haben viele Fans. Befeuert wird der Antrieb mit einem klassisch nach vorne entnehmbaren 600-Wattstunden-Akku, die Bedienung erfolgt über ein reduziertes Oberrohr-Display und Srams minimalistische Pod-Controller. Die Ausstattungsvarianten mit elektronischer Eagle Transmission (MXC 5 und 6) wechseln die Gänge auf Wunsch bergauf wie bergab automatisch.
Auf der Eurobike 2023 war der erste Prototyp zu entdecken und sorgte direkt für Aufsehen: Ein neues Fahrwerk! In einer vor allem von den Giganten Fox und Rockshox dominierten Bike-Welt eine echte Seltenheit. Hinter dem Fahrwerk mit den roten Einstellknöpfen steckt eine Kooperation des amerikanischen Mountainbike-Fahrwerksherstellers DVO und der Moto-Fahrwerksfirma White Power, besser bekannt als WP. WP gehört wie unter anderem GasGas, Husqvarna und KTM Motorrad zum österreichischen Pierer-Konzern. Sicher mit ein Grund für die Fahrwerks-Kooperation, insbesondere an den Enduro-Racebikes ECC von GasGas, die die Spanier jetzt auch auf das MXC übertragen haben.
Das DVO-WP-Fahrwerk hat gleich mehrere Besonderheiten. Neben der Feder-Vorspannung, beim MXC klassisch einstellbar über den Luftdruck der Federelemente verfügt das Fahrwerk, zumindest in der Topversion auch noch über eine weitere Grundeinstellung: Die OTT-Feder zur Einstellung des Ansprechverhaltens in der Gabel und die zweite sogenannte Bladder-Luftkammer zur Regulierung des Ölflusses im Dämpfer. Beide Techniken kennt man schon von den Mountainbike-Fahrwerken von DVO.
Auf das Konto von WP, bekannt unter anderem aus den Motorrad-Fahrwerken von KTM, geht die Dämpfung der Federelemente mit dem sogenannten Cone-Valve. Eine besondere Ventiltechnik, die verhärten der Federelemente bei schnellen harten Schlägen verhindern soll und so den Fahrer etwa bei Bremswellen oder in rauem Gelände etwas entlastet. Dämpfer und Gabel sind außerdem in High- und Lowspeed-Druckstufe (Compression) und einfacher Zugstufe (Rebound) einstellbar. In Summe also ein extrem komplexes System. Immerhin gibt’s einen ausführlichen Setup-Guide für die vielen verschiedenen Parameter. Einfach draufsetzen und losfahren sieht aber anders aus.
Während das Enduro ECC der seriöse Racer ist, gibt sich das MXC eindeutig als Spielkamerad. Die Front des Bikes ist hoch, der Reach je nach Größe eher kompakt. Kurze Kettenstreben sollen für ein spaßiges Handling sorgen. Eine Besonderheit bei GasGas: Neben dem Hauptrahmen wächst auch der Hinterbau mit den Größen mit. Das soll für ein identisches Fahrerlebnis für große wie kleine Fahrer sorgen. Das MXC gibt es nur in drei Größen von S bis L, die Bikes fallen aber eher wie etwas klein geratene M bis XL Bikes aus. Unser Testbike in Größe S passt eher Fahrern ab 1,70 Metern, das L dürfte auch für Fahrer von guten 1,90 Metern noch funktionieren.
Das GasGas MXC gibt’s ausschließlich mit Vollcarbon-Rahmen, die Preise beginnen entsprechend erst bei 6999 Euro für das MXC 4. Das DVO-WP-Spezialfahrwerk gibt’s hier noch nicht, dafür Lyrik Select+ und Superdeluxe Select+ von Rockshox mit der modernen und umfangreich einstellbaren Charger 3 Dämpfung. Das Oberklasse-Fahrwerk wird beim MXC 4 von eher günstigen Parts begleitet. Geschaltet wird mechanisch mit GX/SX Schaltmix von Sram, gebremst mit Srams “günstig-Code” DB8. Laufräder und Sattelstütze stammen von GasGas.
Etwas edler geht’s beim MXC 5 mit DVO-WP-Fahrwerk zu, auch wenn hier die einfachere Gabel ohne OTT verbaut wird. Dafür gibt’s eine elektronsiche GX Eagle Transmission, die Sram G2 RS und GasGas Laufräder und Telestütze lassen einen bei einem Preis von 8999 Euro aber nicht jubeln. Das Topmodell kostet nochmal einen Tausender mehr und setzt mit X0-Transmission, Code-Bremse und Alu-Laufrädern von Newmen nochmal leicht einen drauf, den Preis-Leistungssieg bekommen die GasGas-Bikes so aber sicher nicht. Scheint wohl, als würde nicht zuletzt das Spezial-Fahrwerk kräftig auf die Preisliste drücken. Immerhin: Alle Modelle sind nach ASTM Kategorie 4 für den Enduro-Einsatz freigegeben.
Einfach aufspringen und losrollen? Leider nicht ganz so einfach beim GasGas MXC 6, das wir für ein paar Tage in Größe S fahren konnten. Allein die Fahrwerkseinstellung dauerte trotz gutem Setup-Guide und gewichtsabhängigen Empfehlungen für alle der 10 (!) einstellbaren Parameter gut eine halbe Stunde. Dann jedoch zeigt das GasGas auf den Trails einen witzigen Charakter. Man steht eher kompakt aber gut integriert hinter der hohen Front, die kurzen Kettenstreben und der in unserem Fall kleine Rahmen aber nicht unpassende Rahmen verleihen dem Bike ein quirliges Handling.
Für uns etwas unerwartet: Wer länger auf einem Bike mit Auto-Shift sitzt, lernt die Automatik wirklich zu schätzen. Gerade bergab verstärkt die Schaltung das Flow-Erlebnis deutlich, wenn man sich einfach nur auf den Trail konzentriert und darauf vertrauen kann, das nach der nächsten Kurve der passende Gang zum Antreten schon eingelegt ist. Bergauf schiebt der Brose-Motor des Powertrain-Systems kräftig aber nicht ganz so leise, wie von anderen Brose-Motoren gewohnt. Das Vorderrad will wegen flachem Sitzwinkel und hoher Front auf steilen Rampen aber aktiv im Zaum gehalten werden. Der 600er Akku reichte für Vollgas-Touren bis 1000 Höhenmeter mit 85-Kilo-Fahrer und anspruchvollen Uphills gut aus. Für nur 600 Wattstunden in der Praxis ein guter Wert, wer deutlich mehr will, muss aber Akku sparen.
Und das Fahrwerk? Das machte nach anfänglichen Setup-Schwierigkeiten insgesamt einen sehr guten Job. Die lange Gabel und den kurzen Federweg im Heck harmonisch zueinander abzustimmen, fällt aber nicht ganz leicht. Die Dämpfung fühlt sich dabei sehr anders an, als in klassischen MTB-Gabeln von Fox und Rockshox. Gerade die Gabel arbeitet zunächst sehr definiert, ändert den Charakter bei schnellen harten Schlägen aber drastisch. Gerade wer durch tiefe Bremslöcher mit viel Speed in einen Anlieger hämmert, wird von viel Federbewegung überrascht. Das sorgt für einen hohen Fahrkomfort und wirkt trotzdem erstaunlich kontrolliert. Schade: Die Dämpfung der Gabel schmatzt recht laut, auch das Bike klapperte trotz fest verschraubtem Akku und leisem Motor etwas. Das verschenkt Potential bergab und wirkt nicht ganz so wertig, wie man es sich bei einem Preis von 9999 Euro wünschen würde.
Kaum ein Bike ist so sehr Mullet wie das GasGas MXC. Kleines Hinterrad und kurzer Federweg im Heck, lange Gabel und großes Vorderrad, dazu die kurzen Kettenstreben: Das macht das GasGas zu einem spaßigen Spielkamerad für den Hometrail, mit der langen Gabel und dem großen Vorderrad sind auch kurze aber technisch sehr anspruchsvolle Passagen kein Problem. Leider ist der Preis hoch, einige Details wirken noch nicht ganz ausgegoren und das komplexe Setup des Fahrwerks dürfte viele Händler und Kunden ganz schön fordern. - Adrian Kaether, EMTB-Redakteur