Zu Smartphone-Apps haben Mountainbiker ein ambivalentes Verhältnis. So praktisch Strava, Komoot und Co. manchmal sind: Wer beim Biken ständig das Handy aus der Tasche ziehen muss, für Akkustand, Navigation oder U-Stufe, der ist schnell genervt vom digitalen Overload. Aber was, wenn Screens von E-Bikes einfach funktionieren wie bei Autos? Wenn man alle wichtigen Funktionen auf einem großen Display immer in Griffweite hat? Schon mit dem Siryon zeigte Forestal erstmals diese Vision, mit dem E-Cygnus soll sie nun Wirklichkeit werden.
Rückblende: 2020 landete Forestal als damals noch völlig unbekanntes Startup einen echten Kracher. Nur wenige Wochen nach dem Launch des allerersten Specialized Levo SL präsentierte die junge Firma ein das Siryon. Keine 20 Kilo schwer, satter Federweg und ein auffälliger Rahmen mit fettem Display. Die zweite Überraschung folgte dann einige Monate später in unserem Test. Das E-Bike sah nicht nur spannend aus, sondern funktionierte auch noch richtig gut. Bis heute gehört der vermeintlich simple Eingelenker zu den herausragenden Hinterbauten, aus unzähligen E-MTB-Tests.
Genauso brandneu sind auf diese beiden Bikes von Forestal:
Nun schlägt Forestal eine Richtung ein, die viele überraschen dürfte. Statt konsequent auf E-Mountainbikes zu setzen, stellt Forestal mit dem Downcountry-Bike Cygnus und dem Enduro Siryon ausgerechnet zwei Mountainbikes ohne Motor vor - obwohl die sich am Markt aktuell besonders schwer tun. Und mit dem E-Cygnus setzt die Brand aus den Pyrenäen erstmals auf knappen Federweg und auf einen Bosch-SX-Motor statt dem hauseigenen Eon-Drive. Was aber kann das schnelle 120-Millimeter-Bike mit dem smarten Screen in der Praxis?
Zunächst die Fakten: Mit 120 Millimetern Federweg hinten und 130 oder 120 Millimetern vorne ist das E-Cygnus hart an der Grenze zwischen Cross-Country- und Trailbike. Der Rahmen ist vollständig aus Carbon. Um das Gewicht niedrig zu halten setzt Forestal auch erstmals auf eine Dämpfer-Anlenkung aus Kohlefaser. Das Hinterbausystem mit dem auffälligen Eingelenker à la Bananenschwinge kennt man schon vom All Mountain Bike Cyon (hier im Test) und dem Enduro Siryon (hier im Test). Das dürfte dem E-Cygnus zu einer hohen Abfahrtsstärke verhelfen - auch mit wenig Federweg.
Angetrieben wird das E-Cygnus nicht mehr vom Forestal-eigenen Eon Drive System (hier im Test), sondern von einem konventionelleren Bosch SX. Neben der hohen Dynamik des Motors soll dafür auch die Infrastruktur und nicht zuletzt die gute App von Bosch den Ausschlag gegeben haben. Denn die ist für das neue Display besonders wichtig (s. u.). Den SX-Motor selbst kennen wir schon aus anderen Bikes. Er liefert eine für Light E-MTBs besonders hohe, kurzzeitige Spitzenleistung und belohnt kräftigen Fahrer-Antritt und hohe Trittfrequenzen mit spritziger Beschleunigung. Nachteile: Wenig Drehmoment untenrum und deutliches Derating bei längeren Anstiegen unter Volllast. Außerdem klappert der SX bergab leicht aus dem Getriebe.
Für Strom sorgt der bekannte Compact Tube 400, der beim Forestal aus Gewichtsgründen fest im Unterrohr integriert ist. Wer mehr Reichweite will, kann natürlich noch den Range Extender Powermore mit 250 zusätzlichen Wattstunden andocken. Da die Ladebuchse bei Forestal direkt unter dem Range Extender sitzt, kann das Kabel hier besonders kurz ausfallen. Das sorgt für eine aufgeräumte Optik.
Wie bei vielen anderen Light-Bikes mit SX wird das Forestal über die Kombination aus Mini-Remote und System-Controller gesteuert. Die Besonderheit: Statt klassischem Bosch-Display sitzt ein eigener 4-Zoll-Touchscreen mit sattem Funktionsumfang im Oberrohr. Quasi ein etwas abgespecktes Smartphone, das per Bluetooth an das Antriebssystem von Bosch angebunden ist.
Schon das Datenblatt liest sich eindrucksvoll: Moderner Prozessor von Qualcomm, hohe Display-Auflösung, Android-12-Betriebssystem und ein integriertes GPS das auf alle gängigen Navigationssatelliten zugreifen kann. So ist das Dashboard 2.0 gleichzeitig deutlich leichter als der Vorgänger Dashboard 1.0 und braucht auch weniger Bauraum. Obendrein soll es sich besser warten lassen. Das Display ist natürlich wasserdicht und soll wenig kratzempfindlich sein. Größter Unterschied zum klassischen Smartphone: Eine Kamera oder eine Mobilfunk-Anbindung hat das System nicht.
Trotzdem laufen schon jetzt diverse relevante Apps auf dem Dashboard. Die Bosch-App eBike Flow inklusive Ride-Screen, Navigationsfunktion und U-Stufen-Einstellung dürfte das bislang größte Feature sein. Auch die Sram App ist praktisch, etwa um ohne großen Aufwand den Ladestand der AXS-Akkus zu checken, oder die Schaltung fein einzustellen. An Kompatibilität mit weiteren beliebten Apps wie etwa Komoot oder Strava arbeitet Forestal bereits.
Das Forestal E-Cygnus ist keineswegs extrem gezeichnet. Gerade der Lenkwinkel von 67 Grad bleibt auf der moderaten Seite. Man muss fast sagen: Konservativ. Selbst viele modere Racebikes wie das Cannondale Scalpel und erst recht Specializeds Epic fallen im Lenkwinkel deutlich aggressiver aus. Das verbessert die Laufruhe bei hohen Geschwindigkeiten und die Fahrsicherheit in steilem Gelände. Die Kettenstreben des E-Cygnus sind mit 448 Millimetern keineswegs auffällig kurz. Typisch Racer: Die Front steht tief, der Radstand beträgt nur knapp unter 1200 Millimeter. Bei den Größen ist etwas Vorsicht geboten: Mit der neuen Größe S/M hat sich Forestal von der kleinsten Größe verabschiedet. Für Fahrer deutlich unter 170 dürfte das E-Cygnus damit zu groß sein.
Ein auch nur annähernd günstiges Einstiegsbike des Forestal E-Cygnus bietet Forestal nicht an. Damit wird das Bike eindeutig im High-End-Segment positioniert. Das spiegelt auch die Ausstattung wieder: Schon das günstigere Modell “Halo” hat ein High-End-Fahrwerk von Fox mit 34 Performance Elite Grip X und Float Dämpfer mit Druckstufen-Verstellung sowie 1700er-Laufrädern von DT Swiss. Gespart wird bei der mechanischen GX. Für Trailbiker ist “Halo” trotzdem die klare Empfehlung. Die längere Gabel harmoniert besser mit dem Heck und entschärft die tiefe Front etwas. Wer es raciger mag, greift zum Topmodell mit 120er-Gabel und Rockshox-Fahrwerk und wertiger X0-Transmission. Auch hier verbaut Forestal Alu-Laufräder. Carbon wird laut Hersteller vom Kunden kaum gefordert und würde das E-Cygnus nochmal deutlich teurer machen.
Mit dem Topmodell Diode konnten wir uns schon einen ersten Eindruck vom neuen E-Cygnus und auch seinem ungewöhnlichen Display verschaffen. Eingeschaltet wird das Bike ganz normal über den System-Controller. Dann vergeht wie beim Smartphone ein kurzer Moment bis auch das Display voll da ist. Die Software an unserem Testbike war noch Vorserie, dennoch funktioniert der Screen so intuitiv und zuverlässig, wie man das vom Handy gewohnt ist.
Der Touch-Screen reagiert sensibel und ist trotzdem nicht überempfindlich - Fehlbedienungen haben wir auch bei Nässe nicht erlebt. Die Reaktionsgeschwindigkeit geht schon jetzt in Ordnung. Forestal will sie in Serie noch deutlich steigern können. Bei unserem Testbike mit Vorserie liefen noch einige Hintergrundprozesse, die laut den Ingenieuren das System ausbremsten. Größte Schwierigkeit: Im extremen Hochformat des Displays werden noch nicht alle Apps optimal dargestellt. Schrift und Grafiken fallen außerdem recht klein aus - das Display ist beim Fahren ja ein gutes Stück vom Auge entfernt.
Insgesamt hinterlässt der große Screen trotzdem einen sehr positiven Eindruck. Vom Potential des Systems, wenn in Zukunft noch mehr Apps gut laufen, ganz zu schweigen. Damit das zuverlässig auch in Zukunft funktioniert wird Forestal aber kontinuierlich einiges an Arbeit in das System und die Kommunikation mit den verschiedenen App-Anbietern stecken müssen.
Das Forestal E-Cygnus hat - wenig überraschend - für ein E-MTB einen ausgesprochen sportlichen Charakter. Die tiefe Front und die hauseigene Lenker-Vorbau-Einheit am Topmodell bringen den Fahrer in eine sportliche Position. Wer im Forestal nur einen entspannten Partner für wenig traillastige Touren sucht, ist hier also nicht ganz an der richtigen Adresse. Dafür animiert das Bike auch bergauf zum kräftigen Tritt. Hier gefällt die dynamische Sitzposition und die passt gut zum spritzigen Bosch-Motor. Mit längeren Kettenstreben, tiefer Front und griffigen Reifen meistert das Forestal bergauf auch anspruchsvolle Challenges. Gerade für ein Light E-MTB ist das richtig stark.
Der Nachteil von so viel Traktion: Der Hinterbau wippt um den SAG-Punkt minimal, die griffigen Reifen werden auf langen Touren im Flachland etwas mehr Akku kosten als leichte Touren-Pneus. Dafür vermitteln sie bergab viel Sicherheit, auch wenn man das Bike etwas außerhalb des angedachten Einsatzbereiches bewegt. Denn von der Cross-Country-Gabel und der tiefen Front einmal abgesehen, macht das E-Cygnus mit kräftiger Bremse und starkem wenn auch konstruktionsbedingt straffem Hinterbau eine gute Figur. So kann man sich ruhig auch in rumpelige Abfahrten wagen, die man mit klassichen Down-Country-Bikes eher nicht mehr ansteuern würde. Das zusätzliche Gewicht durch Motor und Akku gibt hier eher Sicherheit, als dass es stört.
Der Hinterbau entwickelt in schnellen Kurvenwechseln und an Absprungkanten einen guten Gegendruck, als ausgesprochen handlich empfanden wir das Bike aber nicht. Wer darauf großen Wert legt ist vermutlich mit anderen Light-E-MTBs aus dem Downcountry-Segment à la Lumen oder R.X275 etwas besser bedient. Dabei spielt allerdings auch die Erwartungshaltung eine Rolle. Unsere Einschätzung: Auch mit knappem Hub im Heck ist das E-Cygnus mehr solides Trail- als gewichtsfokussiertes Downcountry-Bike. Die günstigere Variante mit längerer Gabel und konventionellem Cockpit dürfte daher dem Potential des Bikes deutlich mehr gerecht werden.
Das große Display des Forestal E-Cygnus denkt E-MTBs konsequent weiter und zeigt, was technisch mittlerweile möglich ist. Forestal will damit einen eigenen Mehrwert schaffen, der eher an hochwertige Autos oder Motorräder erinnert. Mit Erfolg! Das Bike ist außerdem ein fähiges Trail-E-MTB. Der hohe Preis und die sportliche Sitzposition dürften den Käuferkreis aber recht exklusiv halten. - Adrian Kaether, BIKE-Redakteur