Barbara Merz-Weigandt
· 13.07.2024
Ganz ehrlich? Ich gehörte auch mal zu denen, die E-MTB-Fahrer belächelt haben. Nach dem Motto “Wenn nicht mit eigener Kraft, dann gar nicht”. Aber: Ich habe meine Meinung geändert. Nicht zuletzt, weil sich auch meine Fahrgewohnheiten geändert haben. Früher standen auf meiner Tourenliste vor allem klassische Cross-Country-Touren. Ein langer, steiler Anstieg bergauf und meist eine Forststraße wieder runter.
Mittlerweile wähle ich meine Touren immer mehr nach dem Trail-Faktor aus. Wenn schon bergauf quälen, dann wenigsten bergab den maximalen Fahrspaß haben. Immer öfter auch in Bikeparks oder auf Naturtrails in Österreich, Südtirol und jetzt auch in der Toskana. Die Gelegenheit mit dem Focus Jam² SL 8.8 ein leichtes Trail-E-MTB über einen längeren Zeitraum zu testen, kam da gerade recht. Die Idee: Je mehr Körner man bergauf sparen kann, umso mehr Kraft und Konzentration bleiben für technische Abfahrten und umso mehr Trails kann man am Tag bergab rauschen.
Focus setzt beim Jam² SL 8.8 auf den Mittelmotor des bayrischen Herstellers Fazua. Keine schlechte Wahl, denn der Ride 60 konnte auch in unserem letzten Motorentest überzeugen und sicherte sich den Tipp für leichte E-Mountainbikes vor Bosch und TQ. Tolles Leistungsgewicht, viel Reichweite gemessen am kompakten Akku und eine sehr dezente Soundkulisse können begeistern. Nur der Minimalist HPR 50 von TQ ist nochmal etwas leiser. Optischer Vorteil des Fazua: Der Rahmen fällt dank der kompakt gestalteten Motor-Einheit für ein E-Mountainbike sehr schlank und elegant aus.
Die Integration des Akkus ist bei Light-E-MTBs von besonderer Bedeutung, da hierdurch erheblich Gewicht eingespart werden kann. Focus legte bei der Entwicklung großen Wert auf benutzerfreundliches Handling. Das Focus Jam² SL 8.8 zeichnet sich durch eine einfache und schnelle Akku-Entnahme aus, die bei Light-E-MTBs eher selten zu finden ist.
Der Fazua-Akku ist so verbaut, dass er bei Bedarf bequem über eine große Öffnung im Unterrohr zu entnehmen ist. Mittels Inbusschlüssel lässt sich die Abdeckung entfernen und der 430-Wh-Akku aus dem Rahmen entnehmen. Clever: Der passende Inbusschlüssel sitzt in der hinteren Steckachse des Focus JAM² SL und ist somit immer zur Hand. Nach dem Öffnen der Abdeckung kann die Fazua-Batterie mit nur einem Klick aus dem Rahmen entnommen werden.
Eine Ladebuchse am Bike fehlt, der Akku muss also zum Laden immer raus. Das erlaubt es den Konstrukteuren, beim Rahmen noch etwas Gewicht zu sparen. Insgesamt ist das Vollcarbon-Chassis von Focus so relativ leicht für ein Bike dieser Preisklasse mit klassisch entnehmbarem Akku.
Zum schicken Rahmen in Zweifarben-Lackierung verbaut Focus am Jam² SL 8.8 ein cleanes, integriertes Cockpit. Alle Kabel laufen am Lenker in einem speziellen Vorbau und durch den Steuersatz in den Rahmen des Jam² SL. 8.8. Das sorgt für eine aufgeräumte Optik. Von der zwischenzeitlich bei Focus üblichen Kabelführung durch den Vorbau hat man sich wieder verabschiedet - wer selbst schraubt, atmet hier auf.
Federweg gibt’s reichlich. Focus verpasst dem Jam² SL an der Front eine Fox Float Rhythm Gabel mit 160 Millimetern, 150 liefert der Fox Float DPS Dämpfer am Heck. Eine Shimano XT 12-fach Schaltung, Maguras MT 5 Bremsen und Laufräder von Raceface mit der potenten Kombi Assegai/Dissector von Maxxis runden die Ausstattung ab. Unser Testmodell Focus Jam² SL 8.8 bringt in Rahmengröße L 19,9 kg auf die Waage und kostet 6999 Euro. Alles in allem ein überzeugendes Preis-Leistung-Verhältnis.
Das Jam² SL 8.8 positioniert sich damit als Trailbike mit All-Mountain-Federweg und einem entsprechend breiten Einsatzbereich. Das Focus macht auf lockeren Touren wie auch im schweren Gelände eine gute Figur. Besonderheit: Die Geometrie und damit auch das Fahrverhalten des Bikes können umfangreich angepasst werden. Über zwei Flipchips im Hinterbau kann die Länge der Kettenstreben länger oder kürzer eingestellt werden - je nachdem, ob mehr Laufruhe oder ein agileres Handling gewünscht ist. Außerdem lässt sich der Lenkwinkel über einen Winkelsteuersatz um ein Grad verstellen. Das sorgt ebenfalls entweder für mehr Laufruhe oder ein direkteres und neutraleres Handling.
Für einen ersten Praxistest geht es in die Toskana-Trails bei Massa Marittima. Der Spaghetti Uphill-Trail eignet sich perfekt fürs Gewöhnen ans Bike. Gar nicht so leicht, als ehemaliger Normal-Biker auf den engen, teils wurzeligen Kurven bergauf die richtige Mischung aus Motorunterstützung, Speed und Balance auf dem Bike zu finden.
Aber ich habe ja ausreichend Akku und mache den Spaghetti-Uphill gleich dreimal hintereinander. Das hätte ich mit dem Mountainbike sicher nie gemacht. Mit jedem Mal stellt sich der viel zitierte Uphill-Flow ein Stück weit mehr ein. Und das Beste: Genügend Körner für die Trails zwischendrin bergab habe ich so auch noch.
Ein regelmäßiges Update zum Dauertest des Focus Jam² SL 8.8 gibt es hier. Nächstes Highlight wird der Trip ins Vinschgau. Dort soll sich das Jam² auf den Trails rund um Latsch bewähren. Mehr dazu gibt’s demnächst.