Das Focus Jam² SL war eines der ersten E‑MTBs mit dem neuen Fazua Ride 60. Und noch immer ist es eines der wenigen Bikes, bei denen der reichweitenstarke 430er-Akku schnell und einfach aus dem Unterrohr herausgenommen werden kann. Trotzdem leidet das Focus dank edlem Vollcarbonrahmen nicht an Übergewicht. Gut 20 Kilo gehen in Anbetracht der günstigen und dennoch abfahrtsorientierten Ausstattung in Ordnung.
Das Bike an sich ist als klassischer Trail-Allrounder ausgelegt, der Abfahrtsspaß steht hier im Fokus. Mit 160/150 Millimetern Federweg steht ordentlich Hub auch für grobes Gelände zur Verfügung. Leider hat die Ausstattung des Focus Jam² SL 8.7 einige Makel, die die Funktion des Bikes im Gelände deutlich schwächen. Für 6300 Euro ist das kein Highlight. Ambitionierte Piloten sollten zum 700 Euro teureren SL 8.8 greifen – oder zumindest Geld für ein Update von Reifen und Bremsen einplanen.
Der Fazua-Antrieb Ride 60 ist so kompakt, dass das Focus Jam² SL eine richtig schlanke Silhouette aufbieten kann. Das gelingt E-Bikes mit dem Konkurrenzmotor Bosch Performance Line SX so nicht. Dennoch gehört der Fazua Ride 60 zu den kräftigeren Light-Antrieben. Nominell bietet er 60 Newtonmeter maximales Drehmoment, die man im Gelände auch deutlich spürt. Bei niedriger Trittfrequenz ist kein anderer Motor dieser Gewichtsklasse so kräftig.
Obendrein ist der Fazua sehr standfest. Der Ride 60 kann seine Power also auch an längeren Anstiegen gut halten, während andere Light-Motoren schon merklich in die Knie gehen. Die geringe Geräuschkulisse ist angenehm – wenngleich der Ride 60 immer klar hörbar bleibt und der Unterschied zu den Aggregaten von Specialized und Giant nicht riesig ist. Im Vergleich mit einem Bosch Performance SX fehlt dem Ride 60 aber etwas die Dynamik. Der Schub ist eher gleichförmig und wenig spritzig.
Als eines der wenigen Fazua-Bikes bietet Focus einen leicht entnehmbaren Akku. Dafür gibt´s keine Ladebuchse. Die Batterie muss zum Laden also zwingend aus dem Bike entnommen werden. Der schlank integrierte Motor bietet einen kräftigen Schub und richtig starke Reichweite - deutlich mehr, als der Durchschnitt in diesem Segment. Kritik gibt’s für die schlichte, aber wenig wertige und etwas undefinierte Bedieneinheit Ringcontrol.
Das Focus Jam² SL ist ein Wandlungskünstler. Verstellbarer Lenkwinkel, verstellbarer Hinterbau – so variiert der Radstand um eineinhalb Zentimeter, was auf dem Trail einen deutlichen Unterschied macht. So kann man das Jam² SL entweder als wendigen Trailräuber mit neutralem Handling fahren (steiler Lenkwinkel, kurzes Heck), oder aber als Grenzgänger zum Enduro-Segment (flacher Lenkwinkel, langes Heck). Auch Zwischenlösungen sind möglich. Gerade bei den Flip-Chips im Hinterbau ist aber etwas Vorsicht geboten. Eine eindeutige Beschriftung fehlt, alle vier müssen gleichzeitig gedreht werden. Sonst ergibt sich eine ungünstige Geometrie und Kinematik. Hier lohnt ein genauer Blick ins Handbuch. In Summe: Langer Reach, kurzes Heck, steiler Sitzwinkel: das sind moderne Trail-Maße!
Hohes, breites Cockpit, sportlicher Reach und üppiger Federweg: Gerade in der langen Einstellung versprüht das Focus Trailbike den Duft eines abfahrtsorientierten Enduros. Trotzdem bleibt es leichtfüßig und agil. Die Handling-Vorteile eines Light-E‑MTBs bleiben auch so klar spürbar. Wer noch mehr Agilität will, kann das Focus mit der Geo-Verstellung deutlich in Richtung Trailbike trimmen.
Bergab gibt aber vor allem der laufruhige und solide Charakter die Richtung vor. Wenn es ruppig zur Sache geht, wäre das Bike voll in seinem Element. Allerdings arbeitet das Fahrwerk nicht so traktionsstark, wie man es sich von einem Mini-Enduro wünschen würde. Die DVO-Gabel kommt dafür bei derben Schlägen richtig in Schwung und zeigt sich schluckfreudig auf ruppigen Geraden. Das verführt dazu, im harten Geläuf Gas zu geben. Die schwachbrüstigen Reifen und günstigen, schwachen Guide-T-Bremsen limitieren die Abfahrtsstärke aber deutlich.
Auch bergauf gibt es Licht und Schatten. In der langen Kettenstreben-Einstellung klettert das Bike sehr gut. Dank steilem Sitzwinkel und zentraler Position steigt das Vorderrad erst spät. Mit der Boost-Funktion des kräftigen Ride 60 ist man für steilste Stiche gewappnet. Aber auch im Uphill könnte das Heck traktionsstärker arbeiten, und die hohe Front erschwert die Kontrolle in besonders steilen Stichen oder sehr engen Kurven.
Abfahrtsstarkes Light-E‑Bike mit kräftigem Fazua-Motor und Wechsel-Akku, aber überwiegend günstiger Ausstattung. Ein Bike mit Nehmerqualitäten, aber etwas sprödem Fahrwerk. Dafür sehr vielseitig. Tipp: Für mehr Abfahrtsleistung zum teureren Modell greifen! - Josh Welz, Chefredakteur BIKE und EMTB