Wir alle kennen die Vorteile von Carbonfasern: Sie sind extrem leicht, zugfest und nahezu beliebig formbar. Diesen Eigenschaften haben wir nicht zuletzt die leistungsfähigsten Mountainbikes der Geschichte zu verdanken. Doch wer sein Bike so richtig in die Mangel nimmt, wünscht sich nicht immer maximalen Leichtbau oder ausgefallenes Design. Ein robuster Begleiter mit simpler Technik scheint für den Alltag im Gelände oft besser geeignet – einer wie aus dem Hause Starling zum Beispiel.
Seit 2015 steht die Marke für langlebige und unkomplizierte Mountainbikes „Made in UK“. Streng genommen beschränkt sich das Angebot der Briten auf nur zwei Modelle: Das Hardtail Roost und das Trailfully Murmur – das war’s. Dank einer variablen Dämpferaufnahme zaubert Starling jedoch aus der Murmur-Plattform noch zwei weitere Modelle – bei sonst exakt gleichem Rahmen. Ein Enduro namens Mega Murmur mit 165 Millimeter Federweg und unser erst kürzlich vorgestelltes Testbike: das Mini Murmur.
Mehr von Starling? Hier sind weitere Artikel zum britischen Stahlrahmen-Experten
Mit 120 Millimetern Federweg, 29er-Laufrädern, einer Vario-Sattelstütze und der langen Geometrie gesellt sich die neueste Abwandlung des Murmur zur Downcountry-Clique im Fully-Segment. „A simple bike is a fast bike“ – diese Überzeugung liegt allen Starling-Bikes zugrunde. Um der Firmenphilosophie gerecht zu werden, vertraut das Mini Murmur, genau wie die anderen Modelle, auf den am einfachsten zu verarbeitenden Rohstoff im Rahmenbau: Stahl. Während Kohlefasern stundenlang im Autoklav backen müssen oder Aluminium wegen seiner physikalischen Eigenschaften spezielle Schweißverfahren erfordert, könnte die Reynolds-853-Rohrsätze des Starling auch ein Hobby-Schweißer aneinanderbrutzeln – salopp gesagt natürlich.
Komplexe Kinematik mit virtuellem oder gar hohem Drehpunkt (High Pivot) sucht man am Heck des Exoten vergebens. Dafür lässt ein einfacher Eingelenker-Hinterbau die Herzen von Puristen höherschlagen. Durch den Verzicht auf zusätzliche Gelenke wirkt sich die reduzierte Bauweise auch positiv auf die Haltbarkeit aus und erleichtert Wartungsarbeiten. Zweites gilt übrigens auch für die externe Kabelführung, das geschraubte Tretlager und den eingelegten Steuersatz. Kurzum: Wer stressfrei biken will, landet bei der Marke aus Bristol einen Volltreffer. Auch gut: Beim Mini Murmur stehen sechs Rahmengrößen von S bis XXL zur Wahl, und auf Anfrage setzt die Crew sogar Custom-Farben um.
Aber zurück zum Herzstück des Bikes: ein schwerer Stahlrahmen an einem sportlichen Downcountry-Bike? Das klingt erst mal so fehl am Platz wie ein Veganer im Steakhouse. Warum? Diese Bike-Kategorie hat ihren Ursprung im Rennsport. Was vor rund vier Jahren mit aufgemotzten Racefullys begann, hat sich mittlerweile zu einer eigenständigen Bike-Kategorie entwickelt, die den immer schwereren Trailbikes im Touren-Einsatz den Rang abläuft. Die Kombination aus kurzen Federwegen, angenehmem Gewicht und abfahrtslastigen Geometrien macht Lust auf lange Touren und bringt dennoch Fahrspaß bergab. Beim Blick auf die Waage hält sich der Drang zu treten allerdings in Grenzen: 13,47 Kilo wiegt das Mini Murmur. Zum Vergleich: Downcountry-Bikes aus Carbon knacken in diesem Preisbereich oft sogar die 12-Kilo-Marke. Da stellt sich die Frage: Kann das Mini Murmur neben Purismus, Wartungsarmut und dem ikonischen Stahl-Charakter auch mit seinen Fahreigenschaften punkten? Oder torpediert der schwere Stahlrahmen die eigentlichen Vorzüge eines Downcountry-Bikes und demonstriert nur einmal mehr die Vorteile von Carbonfasern?
Ein Downcountry-Bike mit Stahlrahmen – dass die Starling-Crew gerne ihr eigenes Süppchen kocht, steht außer Frage. Aber auch die Sitzposition besitzt eine ganz eigene Note. Mit 492 Millimetern in Größe L fällt der Reach sehr lang aus. Der steile Sitzwinkel (79,1 Grad) drängt den Fahrer aber trotz des langen vorderen Rahmendreiecks in eine sehr kompakte Sitzposition. Mit viel Druck auf der Front steuert das Mini Murmur so präzise durchs Gelände. Kurbelt man dagegen in der Ebene, lastet zu viel Druck auf den Händen. Besser, man schiebt den Sattel etwas nach hinten, um den steilen Sitzwinkel zu entschärfen. Der Hinterbau gehört ebenfalls zur langen Sorte. So bleibt das Vorderrad auch in steilen Rampen am Boden und man kann seine volle Konzentration der nächsten Schlüsselstelle widmen.
Und das Gewicht? 13,47 Kilo klingen für ein fast 10.000 Euro teures Downcountry-Bike erst mal zu viel. Der superleichte Laufradsatz mit schnellen Michelin-Gummis hält die rotierende Masse aber maximal gering. Mit dem Ergebnis, dass sich das Bike sehr gut beschleunigen lässt, vorzüglich rollt und die Extrapfunde des Rahmens in den Hintergrund rücken. Bergab profitiert das Starling von seinem langen Radstand. Auch bei hohen Geschwindigkeiten hält das Mini Murmur sicher die Spur. Der Hinterbau leistet dabei ganze Arbeit. Leider können die zahmen Cross Country-Pneus und die wenig sensible Federgabel das Potenzial der Geometrie nicht ganz ausreizen.
Wer aufgrund des hohen Gesamtgewichts dem Starling Mini Murmur die Allround-Fähigkeiten eines Downcountry-Bikes abspricht, der irrt. Im Gelände bietet die lange Geometrie zudem große Reserven und hält den Spaßfaktor hoch. Dennoch lohnt sich die Investition nur für Liebhaber, die Stahl-Mountainbikes vor allem für ihr Charisma lieben und bereit sind, bei diesem Preispunkt auf Hightech zu verzichten.