Jan Timmermann
· 27.11.2024
Beim Pinarello Dogma XC Hardtail sorgt bereits der Name für funkelnde Augen von Radsportfans. Bis dato liefen unter dem Dogma-Label legendäre Rennränder aus Italien - wunderschön und sündhaft teuer. Gleich einem Adelstitel schmückt es auch das erste Hardtail von Pinarello. Dass die Italiener mit dem Faible für rassiges Design überhaupt auf breite Gummis aufsprangen, ist den Teamfahrern der Ineos Grenadiers Mannschaft zu verdanken. Die Straßen-Profis wollten auch im MTB-Sport auf höchstem Niveau angreifen und brauchten dafür einen passenden Untersatz - unter ihnen niemand geringeres als Pauline Ferrand-Prévot und Tom Pidcock. Echte Radsort-Tausendsassa, die neben Asphaltschneider-Reifen eben auch Mountainbikes auf Spitzenebene bewegen können. Heute Tour de France, morgen Cyclocross-Weltmeisterschaft, übermorgen Olympische Spiele im Cross-Country-MTB: Ein gewöhnliches Durchschnitts-Hardtail würde weder zu den Legenden, noch zu Pinarello passen.
Nicht lange, nachdem Pidcock und Ferrand-Prévot einen XC-Worldcupsieg nach dem anderen einheimsten, erscheinen auch erstmals Bilder von einem Pinarello Hardtail Prototypen in der Öffentlichkeit. Wilde Formen, eine starke Asymmetrie und natürlich die sportliche Dominanz der Piloten weckten eine große Neugierde. Im April 2024 ließ Pinarello die Katze dann endlich aus dem Sack und präsentierte das serienreife Dogma Hardtail. Nun können also auch Normalos dasselbe Bike besitzen, wie die besten der Besten. Ein Marketing-Geniestreich war der Olympiasieg von Pauline Ferrand-Prévot kurz nach Release. Auch Pidcock holte bei den Spielen in Paris auf einem Pinarello Dogma Gold - allerdings auf dem gleichnamigen Fully.
Als Ausgangsmaterial für ein Spitzen-Mountainbike von Pinarello kamen natürlich nur hochwertigste Carbonfasern in Frage. Das Chassis des Dogma XC besteht vollständig aus Toray M40J Carbon, wobei das Layup an unterschiedlichen Stellen des Rahmens je nach Belastungsspezifika variiert. Gemeinsam mit dem asymmetrischen Dreiecks-Design des Hinterbaus will Pinarello eine besonders hohe Steifigkeit im Heck erreichen. Die Nicht-Antriebsseite ist im Kohlenstoff-Laminat zusätzlich verstärkt, um die hohen Kräfte der weltbesten Radsportler Stand zu halten. Die Italiener sind nicht gerade für Zurückhaltung bekannt und sprechen gar vom steifsten Tretlager-Bereich der Mountainbike-Welt.
Viel Entwicklungsaufwand hat Pinarello nach eigenen Angaben auch in das einteilige Carbon-Cockpit am neuen Dogma Hardtail investiert. Geringes Gewicht, hohe Lenkpräzision - so das Versprechen. Um den Rahmen vor Beschädigungen zu schützen stoppt der Lenkanschlagsbegrenzer bei 60 Grad Einlenkung. Für unseren Geschmack ist das allerdings deutlich zu früh. Problem ist nicht die Kollisionsgefahr von Lenker und Oberrohr, sondern von Gabelkrone und Unterrohr. In der Praxis besitzt das Dogma durch die extrem früh einsetzende Limitierung den Wendekreis eines Langholzlasters. Allein schon dadurch wird die Kompetenz auf verwinkelten Kursen unnötig stark beschnitten. Pidcock lenkt wahrscheinlich niemals ein, sondern steuert die schwarz-rote Rakete alleine durch Speed und Power. Für den Durchschnitts-Menschen ist der Lenkanschlag eher ein Bug als ein Feature, ebenso wie die knappe Reifenfreiheit von maximal 2,3 Zoll.
Dass es ein Pinarello Dogma nicht zum Schnäppchenpreis gibt, versteht sich von selbst. Erst bei 7000 Euro startet der Verkauf. Das Topmodell kostet 11.000 Euro, der Preis von 5000 Euro für das Rahmenset alleine treibt Interessierten die Tränen in die Augen. Jedenfalls dürfte man das High-End-Hardtail in der “echten” Welt nur selten zu Gesicht bekommen. Alleine an den kalten Zahlen darf man den Wert eines Pinarello Dogma aber wohl nicht bemessen. Die Preis-Leistung eines Ferraris lässt sich ja auch rational kaum erfassen. Der Italiener ist das teuerste Bike unseres Vergleichs und hat auch noch den teuersten sowie schwersten Rahmen:
Weit nach vorne gestreckt und tief geduckt nehmen Rennfahrer auf dem Pinarello Dogma XC Hardtail Platz. Die Lenker-Vorbau-Einheit ist dermaßen lang und flach, dass der Pilot sogleich in Sprintposition gezwungen wird. Die Griffe mit doppelter Schraubklemmung wirken am leichten Supersportler leider inkonsequent. Gerne hätten wir die Steuerzentrale etwas höher gelegt, um das Handling der Race-Feile zu entschärfen und die Nackenmuskeln zu entspannen, doch Pinarello scheint Design wichtiger zu sein als Funktionalität. Die einteiligen Spacer lassen sich nur tauschen, wenn das hydraulische System der Hinterradbremse geöffnet wird. Mamma mia! Managgia!
Bei der Geometrie entscheidet sich Pinarello für etwas ungewöhnliche Proportionen. Das Dogma XC Hardtail besitzt den flachsten reellen Sitzwinkel in unserem Testfeld. Zwar lässt man dem Kunden ohnehin nur wenig Sattelstütze zum ausziehen, bei großem Auszug treten Biker aber weit von hinten. An steilen Rampen fehlt so etwas der Druck auf der Kurbel. Wahrscheinlich ist das kein Problem, wenn man ein Radsport-Halbgott ist, für alle anderen aber gewöhnungsbedürftig. Zusammen mit dem langen Hauptrahmen und der tiefen Front ist das Pinarello Hardtail aufgrund des großen Hebels in technischen Kletter-Sektionen nur schwer zu kontrollieren. Um das Dogma sicher auf Linie zu halten braucht es definitiv ein erfahrenes Händchen am Lenker.
Nicht nur beim Rahmen-, sondern auch beim Laufradgewicht ist das Pinarello Dogma XC Hardtail das Schlusslicht unserer Testgruppe. Die Beschleunigung der Dt Swiss Carbon-Laufräder ist per se nicht schlecht aber eben die langsamste im Vergleich. Dass das Dogma trotzdem passabel von dannen zieht, ist dem Chassis zu verdanken, das den Power-Input direkt in Geschwindigkeit umsetzt. In Sachen Tretlagersteifigkeit scheint Pinarello den Nagel tatsächlich auf den Kopf getroffen zu haben. Umso erstaunlicher ist, dass der Hinterbau einen beachtlichen vertikalen Flex besitzt, der sogar mit bloßem Auge eindeutig zu erkennen ist, wenn sich der Fahrer in den Sattel fallen lässt. Diese Nachgiebigkeit sorgt beim Sitzkomfort für die besten Werte, die wir seit langem gemessen haben. Leider knackt und knarzt es im Sitzbereich des Rahmens immer wieder laut - unschön für so ein teures Produkt!
Bergab zeigt das Dogma XC ein ähnliches Bild wie im Uphill: Trödeln ist nicht! Durch den 468 Millimeter langen Reach zusammen mit dem 100 Millimeter langen Vorbau wirkt das Pinarello Dogma bei niedrigen Geschwindigkeiten schnell sperrig und wenig spritzig. Aufgrund der Länge fühlt es sich in vielen Fahrsituationen deutlich träger an, als die anderen Spitzenkandidaten von Bike Ahead und Cannondale. Ohne Variostütze und mit zahm profilierten Reifen ist eine solide Fahrtechnik gefragt. Auf Cross-Country-Trails kann das Bike seine Stärken nur dann ausspielen, wenn die Grundgeschwindigkeit hoch und der Fahrer extrem selbstbewusst ist. Betreffen sollte das auch das Bremsverhalten, denn die Shimano XTR Stopper liefern zwar ausreichend Verzögerungskraft, vor allem die kleine 160er Bremsscheibe am Vorderrad kommt aber schnell ans Limit.
Nicht nur das Handling wird durch die eigensinnige Kombination aus Geometrie und Cockpit beeinflusst. Obwohl die filigrane Fox 32 SC SL eigentlich einen sensiblen, souveränen Job macht, agiert sie bei so viel Last auf der Front schwächer, als die Lefty-Gabeln in Cannondale und Bike Ahead. Ihre Zugstufe lässt sich auf dem Trail zudem kaum einstellen, da dies einen langen 2,5er Inbusschlüssel erfordert. Aus demselben Grund, weshalb die Gabel es im Dogma schwer hat, wird auch der Vorteil des flachen Lenkwinkels in Steilabfahrten zunichte gemacht und das Sicherheitsgefühl leidet. Wer nicht den Nachnamen Pidcock trägt, sollte das Pinarello unbedingt mit höherer Steuerzentrale ordern.
Das Gewicht des Komplettbikes ohne Pedale ermitteln wir im BIKE-Testlabor. Das Laufradgewicht versteht sich pro Satz mit Reifen, Kassette und Bremsscheiben. Bei der Laufradträgheit gilt: Je niedriger der Messwert, desto leichter zu beschleunigen.
Note Fahrverhalten (45%): 2,65
Note Labor (30%): 1,20
Note Ausstattung: 2,23
Gesamtnote: 2,23
Folgendes müssen sich Pinarello-Fans einfach klar machen: Das Dogma Hardtail ist ein extrem eigensinniges Mountainbike. Spezialproportionen und Design-Features bei Rahmen und Cockpit machen Bikern das alltägliche Leben schwer. Doch dafür wurde der Ferrari unter den Racebikes mit starrem Heck auch nicht gebaut. Für die besten Profis ihres Faches mag das Konzept funktionieren. Rational denkende Otto-Normal-Verbraucher lassen besser die Finger vom brandheißen Dogma. - Jan Timmermann, BIKE-Testredakteur
Pro
Contra