Jan Timmermann
· 09.10.2025
Dass Berge mit einem Singlespeed-Fahrrad deutlich schwieriger zu bewältigen sind, als mit einer großen Übersetzungsbandbreite, verstanden Mountainbiker schon früh. Mit der Beschränkung auf ein einziges Ritzel am Hinterrad steigt das Risiko signifikant, im Uphill mit einem zu schweren oder im Downhill mit einem zu leichten Gang dazustehen.
Bis die Technik bereitstand, um an einem Mountainbike mehrere Gänge zu wechseln, sollte es seit den Anfangsjahren der ursprünglichen “Klunker”-Bikes aber noch dauern. Erst 1982 kam mit der Shimano XT die erste MTB-spezifische Gangschaltung auf den Markt, welche - nach damaligen Standards - stabil genug war, um im rauen Gelände zum Einsatz zu kommen. In 53 Jahren Mountainbike-Schaltung hat sich materialseitig vieles eindeutig zum Besseren gewendet. Warum also stirbt die Singlespeed-Bewegung nicht aus?
Dirtbiker und BMXer brauchten noch nie viele Gänge. Ohne Schaltwerk, das vom Bike absteht, ohne Schalthebel, der am Lenker klemmt, und ohne Züge, die über die gesamte Länge des Bikes verlaufen müssen, bietet ein Singlespeed-Fahrrad weniger Möglichkeiten für einen Defekt.
Kein Akku, der geladen werden muss, keine Verschleißteile, die ins Geld gehen, kein nerviges Rasseln, weil die Einstellung nicht stimmt: In der Handhabung sind Singlespeeder denkbar unkompliziert. Simpel und robust - das sind Eigenschaften, die sich Mountainbiker von ihrem Sportgerät wünschen. In letzter Konsequenz lassen sie sich nur mit einem Singlespeed-Bike erreichen. Ein Fortbewegungsmittel, das durch zwei über eine Kette verbundene Zahnräder antreibt, ist puristisch, einfach, effizient.
Für Singlespeed-Bikes gilt nicht nur “was nicht dran ist kann nicht kaputt gehen”, sondern auch “was nicht dran ist, wiegt auch nichts”. Auch Singlespeed-Antriebe müssen robust konstruiert sein, um dauerhaft haltbar zu bleiben. Sie sparen sich jedoch das Gewicht von Schaltwerk, Trigger, Kassette und gegebenenfalls Leitungen.
Das Ein-Gang-Konzept findet sich jedoch nicht nur an leichten Hardtails, sondern auch am anderen Ende der Nahrungskette, nämlich an manchen Freeride- und Downhill-Bikes. Da die Bikes der Gravity-Gattung ohnehin nicht zum Höhenmeter-Sammeln eingesetzt werden, sparen sie sich rund 400 Gramm ungefederte Masse am Hinterrad.
In der Theorie reduziert das den Widerstand des Fahrrads gegen Fahrwerksbewegungen und erhöht dadurch die Effizienz der Federung. Bis zu 15 Prozent der gesamten ungefederten Masse entfallen auf den Antrieb. Singlespeed-Fullys können deshalb von mehr Grip durch ein besser funktionierendes Fahrwerk profitieren.
Können Mountainbiker nicht schalten, entfällt die Frage nach der Wahl des optimalen Gangs. Singlespeed-Biker berichten in der Abfahrt von einem verbesserten Fokus auf die beste Linie und einen saubereren Fahrstil.
Wer sein Rad nicht in jeder Situation durch Pedalieren effizient beschleunigen kann, ist gezwungen, auf eine saubere Technik zu achten, um möglichst wenig Schwung zu verlieren. Unvergessen bleibt zum Beispiel der Run von Aaron Gwin beim Downhill-Worldcup in Leogang 2015, wo der Amerikaner ganz ohne Kette aufs Siegertreppchen fuhr.
Auf Touren gilt die Konzentration auf einem Singlespeed-Bike nicht nur dem Geschwindigkeitserhalt, sondern auch dem Tritt. Ohne die Anpassung der Übersetzung ans Tempo müssen Biker bergauf häufiger in den Wiegetritt wechseln und bergab hohe Trittfrequenzen fahren.
Wird der Fokus von der richtigen Gangwahl auf den Tritt verlagert, stellt sich mittel- bis langfristig ein neues Fahrgefühl ein. Viele Singlespeed-Biker schätzen ihr spezielles Sportgerät für eine meditative Wirkung durch veränderte Tret-Gewohnheiten.
An den meisten Mountainbikes übernimmt das Schaltwerk die Funktion der Kettenspannung. Fällt dieses an einem Singlespeed-Bike weg, braucht es einen anderen Weg, um den Antriebsstrang auf Zug zu halten. Ohne Spannung läuft die Kette nämlich nicht zuverlässig auf den Zähnen von Kettenblatt und Ritzel. Um sie ohne Schaltwerk zu spannen gibt es drei Optionen:
Die federgespannten Umlenkrollen lassen sich an jedem Schaltauge montieren. Hochwertige Modelle besitzen eine Möglichkeit, um die Kettenlinie anzupassen. Weil bei den meisten vollgefederten Fahrrädern der Drehpunkt nicht in der Mitte des Tretlagers liegt, ändert sich die Kettenlänge beim Einfedern (Ausnahme sind nur einige wenige Slopestyle-Fullys), sodass ein Kettenspanner hier die einzige Option ist.
Eine weit verbreitete Option, um die Kettenstrebenlänge zu variieren sind längenverstellbare Ausfallenden, die mittels massiver Schrauben am Rahmen geklemmt werden. Meist zu finden an klassischen Hardtails.
Durch die außermittige Platzierung des Tretlagers im Rahmengehäuse ändert sich die Kettenstrebenlänge durch Drehen. Wird das Tretlager Richtung Front rotiert, geht die Kette auf Spannung. Fixiert wird der Exzenter meist mit zwei Schrauben an der Unterseite. Der Verzicht auf ein klassisches Schaltauge/Ausfallende macht eine besonders cleane Optik möglich. Erhältlich sind spezielle Singlespeed-Rahmen mit exzentrischem Tretlager beispielsweise von Sour, Veloheld oder Niner.
Im Gegensatz zu einer Fixie-Nabe besitzt eine Singlespeed-Nabe einen Freilauf, sodass der Fahrer nicht permanent mittreten muss. Theoretisch lassen sich alle Naben mit den entsprechenden Adaptern Singlespeed fahren. Bei klassischen HG-Freilaufkörpern aus Aluminium ist zu beachten, dass sich einzelne Ritzel durch die einseitige Belastung mit der Zeit ins Material einarbeiten und die Nabe beschädigen können. Inzwischen gibt es auch Adapter-Kits für Freiläufe nach dem Sram XD Standard, deren Verschraubung eine längere Dauerhaltbarkeit verspricht.
Spezielle Singlespeed-Naben mit Freilaufkörpern aus Stahl für den Mountainbike-Einsatz und mit Boost-Einbaubreite gibt es zum Beispiel von Chris King, Hope, Noa oder White Industries. Sie sind auf die Belastungen eines Singlespeed-Antriebs ausgelegt und lassen meist kleinere Ritzel zu. Obacht: Nicht mit allen Naben sind alle Optionen bei der Ritzel-Größe umsetzbar und günstig kommt man mit hochwertigen Singlespeed-Komponenten leider nicht weg.
Legen sich Biker auf einen einzelnen Gang fest, sollten sie sichergehen, dass dieser für möglichst viele Fahrsituationen passt. Ausprobieren kann man dies auf einem konventionell geschalteten Bike: Einfach die potentielle Übersetzung einlegen und verschiedene Gefälle sowie Steigungen testen. Für großenteils flache Pendelstrecken ist zum Beispiel ein Verhältnis von 32 Zähnen am Kettenblatt zu 13 Zähnen am Ritzel empfehlenswert. Für echten Geländeeinsatz sollte die Übersetzung kleiner sein (etwa 34 zu 18). Spezielle Singlespeed-Ketten sind extra tough ausgelegt.
Viele Singlespeed-Bikes setzen auf eine Starr- anstatt einer Federgabel. Singlespeed-Biker müssen naturgemäß häufig im Wiegetritt fahren und schließen so wippende Federelemente aus. Zusätzlich zahlt eine starre und damit leichte sowie wartungsfreie Gabel auf die Stärken eines Singlespeeders ein.
Das Einsatzgebiet liegt meist nicht auf dem Trail sondern eher auf flachen bis welligen Fahrten über Gravel und Waldwege. Um die Aerodynamik auf dem Singlespeed-MTB ohne Dropbar zu verbessern bieten sich sogenannte Innerbarends an.
Ich bin ein großer Singlespeed-Fan und nutze mein Ein-Gang-Bike nicht nur zum Pendeln sondern ab und an sogar für 300-Kilometer-Tagesritte und Bikepacking-Trips. Dass das Biken ohne Gangschaltung eine absolute Nische ist, ist so klar wie Kloßbrühe. Ausprobieren sollten Radsport-Enthusiasten die monogame Beziehung zu einem Ritzel aber in jedem Fall mal. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur