Es surrt und doch bewegt sich nichts. Zumindest fast nicht. Während mein Daumen krampfhaft die Schiebehilfe drückt, warte ich auf Unterstützung, um das gewichtige Crivit erneut den Steilhang hinauf zu bugsieren. Fotograf Max braucht einen weiteren Versuch für das perfekte Bild. Doch statt mit Schmackes anzuschieben, setzt sich das Lidl-Schnäppchen nur zögerlich, ja fast in Zeitlupe, in Bewegung. Wahrscheinlich so gewollt, denke ich mir und stemme mein gesamtes Gewicht hinter den Lenker. Doch was kann man von einem E-Hardtail für unter 2000 Euro überhaupt erwarten?
Um genau diese Frage zu klären, haben wir uns nicht nur das Crivit Peak 709, sondern auch ein Referenz-Bike von Canyon besorgt. Aber Achtung: Das getestete Canyon Grand Canyon:On 7 ist ein Auslaufmodell und nicht mehr unbegrenzt verfügbar - aktuell nur in den Größen L und XL. Der Vorteil: Statt ursprünglich 3299 Euro kostet das Versender-Hardtail nur noch 2299 Euro - und ist damit schon deutlich näher dran am unschlagbaren Preis des Crivit Peak von Lidl. Deutlich teurer bleibt es dennoch.
Mehr Infos zum 2025er-Modell des Canyon Grand Canyon On gibt’s hier. Der Nachfolger setzt auf den neuen Bosch Performance CX, der nach einem Update bis zu 100 Nm Drehmoment und 750 Watt Spitzenleistung liefert, also nochmal deutlich stärker ist. Doch neben dem Motor-Upgrade gab es am 7er-Modell für 2025 auch einige Sparmaßnahmen. So kommt der Nachfolger zum Beispiel nur mit Stahlfedergabel von SR Suntour und Zweikolbenbremsen von Shimano. Der Akku ist dafür entnehmbar und liefert wahlweise 600 (2799 Euro) oder 800 Wattstunden (2999 Euro). Doch unser Vergleich hier bezieht sich explizit auf die oben gezeigten Modelle mit dem 2024er E-Hardtail von Canyon.
Für 9,95 Euro liefert der Discounter den stattlichen Karton samt E-Hardtail nach Hause. Lidl verspricht eine 93-prozentige Vormontage. Während sich meine Bandscheiben wieder sortieren, nachdem ich das sorgfältig verpackte 26-Kilo-Bike samt Zubehör aus dem Karton gehievt habe, denke ich über die verbleibenden sieben Prozent bis zum Trail-Vergnügen nach. Alle nötigen Inbusschlüssel liegen – in bester Ikea-Qualität – gleich mit dabei. Die sieben Prozent gehen zügig von der Hand: Lenker gerade stellen, Vorderrad rein, Pedale dran, Luft aufpumpen und fertig. Sogar die Bremsen bieten einen erstaunlich knackigen Druckpunkt, laufen schleiffrei und auch die günstige Shimano Cues-Schaltung verschluckt sich nicht beim Jonglieren der Gänge.
Damit gestaltet sich das Setup sehr einfach, fast schon zu einfach. Denn bis auf den Reifendruck gibt es wenig Stellgrößen, um das Crivit aufs Fahrergewicht anzupassen. Die verbaute Federgabel besitzt nur eine vorspannbare Stahlfeder, die wenig Spielraum lässt und nahezu ungedämpft nach einer Kompression wieder herausschnellt. Einstellbare Zugstufe? Leider Fehlanzeige. In diesem Punkt erfüllt die Rockshox Judy Silver im Canyon weitaus besser die Minimalanforderungen. Per Luftdruck lässt sich die Federgabel ans Fahrergewicht anpassen und die einfache Zugstufe unterbindet ein unkontrolliertes Ausfedern.
Das Lidl Crivit Peak 709 kostet 1799 Euro und ist hier erhältlich.
Im Praxistest schiebt der Mivice-X700-Motor stetig an und soll laut Werksangabe sogar 100 Newtonmeter Drehmoment liefern. Dabei kann der Fahrer zwischen drei Unterstützungsstufen wählen. Im direkten Vergleich zum „alten“ Bosch CX der vierten Generation, der in unserem Canyon-Referenzbike verbaut ist, hat der Mivice deutlich weniger Power. Das macht sich auch im Reichhöhentest bemerkbar, wo es bei einem konstanten Fahrerinput von 150 Watt mit lediglich 10,2 km/h im Schnitt vorwärts geht. Diesen Wert erreichen aktuell bereits Light-Motoren, wie beispielsweise der neue TQ im Yeti. Auch das Einsetzen des Motors geschieht etwas träger als beim reaktiven Bosch. Das Crivit braucht eine Extra-Bedenkzeit bis der Wunsch des Fahrers in Vortrieb umgewandelt wird. Sogar auf einen Nachlauf des Motors verzichtet das Crivit im Gegensatz zum Bosch. Hat hier etwa keiner an das Überwinden von Schlüsselstellen an steilen Stufen gedacht? Wohl kaum. Das Crivit wird in freier Wildbahn mit hoher Wahrscheinlichkeit kein anspruchsvolles Gelände sehen.
Entspanntes Cruisen zum Biergarten oder eine Radtour am Wochenende mit Sightseeing stehen auf der Bucketlist des Crivit ganz weit oben. Und dafür ist das günstige E-Hardtail auch wie geschaffen. Selbst in Größe L fällt die Sitzposition sehr entspannt und deutlich kürzer als beim Canyon aus. Man sitzt aufrecht und kompakt. Der Sattel ist weich gepolstert, die Hände werden von ebenso weichen Flügelgriffen gestützt. Das gelingt zumindest im Sitzen, solange nicht zu viel Last auf den Händen liegt. Durch die zahm profilierten Maxxis-Rekon-Reifen rollt das Crivit auch auf Asphalt leise ab. Interessant: Lidl spendiert seinem Preisbrecher sogar einen Fidlock-Flaschenhalter, der alleine für immerhin rund 20 Euro gehandelt wird. Auch die Zugverlegung durch den Steuersatz hat sich das Crivit von der teuren Konkurrenz abgeschaut, wenn auch der Lenkanschlag fehlt.
Wer doch den Abzweig vom Schotterweg in den Trail wagt, kommt mit dem Crivit früh ans Limit. Die Gabel bietet zu wenig Gegenhalt und von Dämpfungskontrolle kann man hier noch nicht mal ansatzweise sprechen. Zudem klappern Gabel, Kette, Motor und Züge um die Wette. Hier fährt das Canyon eine Spur souveräner, wenn auch ebenfalls mit lauter Geräuschkulisse.
Bei ernsthaften Gelände-Einsätzen kommt das Lidl E-Hardtail erwartungsgemäß schneller ans Limit als das teure Canyon. Vor allem die Gabel und die schwachen Bremsen limitieren. Dennoch ist es erstaunlich, was der Discounter hier für 1799 Euro auf die Reifen stellt. - Peter Nilges, BIKE-Testleiter