Christian Schleker
· 25.10.2023
Das Lapierre Overvolt GLP III ist ganz klar ein Hingucker. Aber keiner, der auf den ersten Blick jedem gefällt. Denn der Akku sitzt hier nicht, wie mittlerweile üblich, im Unterrohr versteckt. Sondern thront - in Form einer klassischen externen Batterie - direkt über dem Motor und tief unten im Hauptrahmen. Um diesen massigen Antriebsblock mit 725 Wattstunden ist das gesamte Konzept, bei den Franzosen Gravitiy Logic Project (kurz: GLP) genannt, herumkonstruiert. Der Hinterbau ist ein klassischer Viergelenker mit Horst-Link, der 173 Millimeter Hub bietet. Der Carbon-Hauptrahmen stützt sich vorne auf eine ZEB Ultimate mit ebenfalls 170 Millimetern Hub. Das Lapierre Overvolt GLP III 2023 kommt als Mullet-Bike, also mit Laufrädern in 29” vorne und 27,5” hinten. 23,4 Kilo bringt das Topmodell auf die Waage. Keine Gewichtssensation, aber etwas leichter als die meisten Konkurrenten ist es dann doch.
Dass Lapierre am externen Akku festhält, hat einen Grund. Und der heißt Nico Vouilloz. Die DH-Rennlegende arbeitet seit vielen Jahren als Entwickler für den Hersteller und hat schon diverse klassische DH-Bikes und Race-Enduros mitentwickelt. Der Franzose hat den Spitznamen E.T. - der Außerirdische, weil er seinen Konkurrenten stets wie ein Mann vom anderen Stern um die Ohren fuhr und dabei wie kein anderer Wert auf perfekt optimiertes Material legte. Beim GLP wurde deshalb ab Generation zwei auf einen externen PowerPack-Akku gesetzt, obwohl die Konkurrenz durch die Bank auf optisch elegantere, schlank-integrierte Batterien umstieg. Doch die haben den Nachteil, sehr lang zu sein und den Schwerpunkt des Bikes nach vorne, Richtung Steuerkopf zu verlagern. Solche E-Bikes gehen relativ schwer aufs Hinterrad und schieben beim Anbremsen über den Vorderreifen. Für Nico Vouilloz war das nicht akzeptabel.
Denn bei Nico dreht sich alles um die perfekte Balance eines Bikes. “Wenn die Balance stimmt, macht das mehr aus, als ein paar Zentimeter Federweg. Dann reagiert das Bike schneller, es ist besser zu navigieren und damit schneller”, erklärt er uns Journalisten auf dem Pressecamp zum neuen E-Enduro am Lac d`Annecy in Frankreich. Dafür wurde vor allem am Schwerpunkt des Bikes und speziell an der Position des Akkus gefeilt. Der Motor wurde ein paar Grad nach vorne gedreht, damit das PowerPack sehr dicht, fast waagerecht und genau mittig über ihm zum liegen kommt. Typisches Vouilloz-Detail: Der Flipchip in der Wippe ist keine klassische Geometrieverstellung, sondern soll bei der Balance helfen: Wer es gerne softer mag, soll das Bike steiler einstellen und den SAG erhöhen. Wer es raciger und straffer liebt, soll die flachen Winkel einstellen und den SAG verringern. Und das bei gleichbleibender Geometrie. So geht das also. Aus dem gleichen Grund bekommt das Lapierre Overvolt auch nur 440 Millimeter kurze Kettenstreben und ein Mullet-Laufradset. In Kombi mit dem neutralen Anti-Squat, dem ziemlich steilen Lenkwinkel und der nicht zu hohen Front verspricht der Konstrukteur - wieder dank guter Balance - sehr gute Klettereigenschaften bei gleichzeitig sehr flinkem Handling bergab in engen Kehren. Mal sehen, ob das stimmt.
Beim Test des neuen Lapierre E-Bike hatten wir zudem die Möglichkeit Nico Vouilloz ausführlich zu sprechen. Lesen Sie auch unser Exklusivinterview: Darum beendet DH-Legende Nico Vouilloz seine Rennkarriere!
Sehr flink gelingt jedenfalls die Akkuentnahme. Schlüssel rein, ein Griff und der kompakte 725-Wattstunden-Klotz ist draußen. So schnell und einfach klappt das heutzutage bei kaum einem anderen Bike mehr. Praktisch und effektiv in einem. Mit Rockshox ZEB Ultimate Gabel und Ultimate Deluxe Dämpfer sind hochwertige und sehr gut einstellbare Federelemente an Bord. Auf den hauseigenen Carbonlaufrädern sind Schwalbe Pneus mit der mittleren Karkasse Super Trail montiert. Am Vorderrad in der griffigen Ultrasoft-Mischung. Und das Lapierre hat noch ein wichtiges Detail vorzuweisen: Das kurze Sitzrohr ist nämlich eher ein irrelevanter Zahlenwert, denn durch die spezielle Konstruktion kann man die Teleskopstütze nicht ganz versenken. Perfektionist Nico hat aber aufgepasst und dem GLP III eine leicht zu verstellende Stütze verpasst. Die JD Dropper lässt sich mit ein paar Handgriffen im Hub reduzieren. So kann man auch mit kurzen Beinen eine passende Sitzhöhe finden, ohne dass die Stütze noch im Shop getauscht werden muss. Sehr gut.
Am Motor wird es jedenfalls nicht liegen, wenn das GLP III den Berg nicht hochkommt. Denn natürlich hat Nico Vouilloz das kraftvolle Race-Modell aus dem Hause Bosch in das Overvolt gepflanzt (nur im Modell Team). Zusätzlich zum Turbo-Modus besitzt dieses Aggregat den Race-Modus, der die 600 Watt Spitzenleistung schon bei deutlich niedrigerem Fahrer-Input abliefert. Als Ass im Ärmel gibt´s den extrem nachlaufenden “Extended Boost”. Während der Nachlauf im klassischen Turbo-Modus sofort sanft ausfadet, wenn man aufhört zu treten, bietet der Race-Modus für eine Strecke von zwei Metern die volle Motorkraft. Dieses Feature hilft theoretisch beim Uphill enorm: Man kann vor einer Felsstufe aufhören zu treten und das Bike fährt dann quasi allein nach oben. Zumindest in der Theorie. In der Praxis muss man den Modus beherrschen können, sonst landet man ungewollt in den Rabatten. Aber dazu gleich mehr.
Vor dem Fahrtest hier noch ein paar Zahlen: Das Chassis des neuen Lapierre Overvolt GLP III bietet eine moderne Geometrie mit sehr kurzem Sitzrohr in allen Größen (Größe M hat nur 400 Millimeter!). Der Lenkwinkel ist nicht extrem flach (64°), der Sitzwinkel ist mit 77 Grad durchaus steil. Mit 460 Millimetern Reach ist das Bike in M schon recht lang, aber durch die 440er-Kettenstreben und das kleine Hinterrad soll es ja handlich bleiben, sagt zumindest der Designer Nico Vouilloz. Und der weiß schließlich, wovon er redet.
Nun aber genug der grauen Theorie. Ab aufs Bike und schauen, was der Meister da zusammenkonstruiert hat. Drei Tage lang durften wir das neue GLP III Team auf den Trails rund um den Lac d’Annecy in Frankreich auf Herz und Nieren prüfen. Das Gelände bietet hier alles, was man braucht, um ein E-Enduro hoch wie runter ans Limit zu bringen und einen klaren Eindruck von den Fähigkeiten - und den Schwächen - zu bekommen.
Das GLP III positioniert den Piloten sehr ausgewogen und zentral im Bike. Der Bosch Motor arbeitet hörbar, aber nicht störend laut und bietet jederzeit mehr als ausreichend Power und Drehmoment, selbst für steilste Passagen. Besonderes Highlight ist der angesprochene Race-Modus. Neben der brachialen Kraft beim Treten, bietet er den “Extended Boost” und der liefert, was uns versprochen wurde: hat man die Funktionsweise einmal verstanden, eröffnet einem der Nachlaufeffekt ungeahnte Möglichkeiten im Uphill. Je langsamer man fährt, desto eindrucksvoller ist der Effekt: Im Schneckentempo an die Stufe herantreten und dann den Motor machen lassen. Ein kurzer Zug am Lenker und der verlängerte Boost schiebt Mann und Bike buchstäblich aufs nächste Level. Genial! Weil das Lapierre dabei sehr stabil im Hub steht und gleichzeitig sehr geschmeidig auf den Untergrund reagiert, ist die Traktion am Hinterrad ausgezeichnet und kein Anstieg zu krass. Gleichzeitig liegt das Bike an der Front satt auf und steigt spät. Aufpassen muss man nur, wenn man nach erfolgreicher Überwindung einer extremen Passage anhält, um sich von den Kumpels feiern zu lasen: mit dem Fuß auf dem Pedal aktiviert man schon mal ungewollt den 2-Meter-Boost und das Bike saust mit dem Piloten ab ins Gebüsch. Uns ist das mehrmals passiert. Deshalb empfehlen wir, entweder im Stand auf den Turbomodus zu wechseln, oder immer die Hinterradbremse gezogen zu halten.
Lange Geo, hochwertigste Federelemente, 170 Millimeter Hub und eine - vom Downhillpapst Nico Vouilloz optimierte - ausbalancierte Geometrie und Gewichtsverteilung. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Und es geht nichts schief. Das GLP III ist eine echte Race-Wucht, wenn sich das Gelände gen Tal neigt. Das Fahrwerk ist enorm schluckfreudig und sensibel. Top Bodenhaftung und Kontrolle sind die Folge. Genial ist aber das Handling: die Front ist dank der Gewichtsverteilung überraschend leicht. Das Fahrverhalten erinnert stark an ein Light-E-Bike. Das Lapierre geht willig aufs Hinterrad, besitzt guten Pop und springt ausgewogen und wie eine 1. Beim Anbremsen macht sich der gute Masseschwerpunkt und die leichte Front nochmal positiv bemerkbar. Das Bike lässt sich ohne große Anstrengung durch Kehren werfen und reagiert dynamisch, aber präzise auf Lenkimpulse. Der Schwalbe-Reifen mit Supersoft-Gummimischung bietet Grip ohne Ende. Besser mag es theoretisch noch gehen, wir erinnern uns aber an kein E-Enduro, dass es besser kann. Volltreffer!
Die Modellpflege des GLP-Designs ist absolut gelungen. Optisch polarisiert das E-Bike von Lapierre zwar nach wie vor, wer aber die Form hinter die Funktion stellt, wird kaum ein besseres E-Enduro auf dem Markt finden. Dank des nun größeren Akkus ist die Reichweite auch für längere Touren völlig ausreichend. Der Race-Modus im Bosch-Motor (nur im Team- und SE-Modell) eröffnet bergauf neue Optionen und bergab ist das Handling ein Gedicht. Eine erschwingliche Einstiegsvariante gibt´s aber leider nicht!
Los geht´s beim Modell “Elite” für 8999 Euro. Günstig ist das nicht gerade. Das von uns getestete Topmodell “Team” kostet 11.499 Euro. Dafür gibt es die mechanische Sram XO Schaltung, Code RSC 4 Bremsen, hauseigene Carbonlaufräder, Carbonkurbel und ein Renthal Carbon-Cockpit. Die Rockshox Ultimate Federung rundet das sehr gelungene Chassis ab.
Im genauso teuren Overvolt GLP III SE stecken ebenfalls sehr hochwertige Parts und der Bosch CX Race. Ein Fox Fahrwerk mit Kashimabeschichtung lockt das Auge. Leider verbauen die Franzosen die Fox 38 mit der Fit4 Kartusche. Die fällt erfahrungsgemäß in der Leistung gegenüber der Grip2 deutlich ab. Das kann die schicke Lackierung der limitierten Edition in unseren Augen nicht ausgleichen. Als Laufräder spendiert der Hersteller kultige Mavic Deemax (Alu). Trotz hochwertigster XTR-Schaltung aber ein Modell, das so nicht ganz ideal ausgestattet wurde.
In schicker Farbe (dunkellila) kommt das Einstiegsmodell daher. Die Fox Performance Federelemente funktionieren erfahrungsgemäß gut - speziell bei der Gabel auch kaum schlechter, als das Pendant mit der Fit4 Kartusche im SE-Modell. Die XT-Schaltung nebst Bremsen mögen wir sehr und vertrauen ihr blind. Da es beim Rahmen und Motor keine Einschränkungen gibt, sind die 2500€ weniger schon fast “günstig”. Allerdings bleibt dafür eben auch der Race-Modus auf der Strecke mit seinem genialen “Extended Boost”. Mit dem normalen Bosch Performance CX werkelt aber dennoch ein Top-Motor im Rad. Wer bergauf keine extremen Stufen erklimmen will, ist damit sehr gut bedient.