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Vergilbte Flatterbänder hängen verloren im Wald. Hier und da säumen sogar noch Fangnetze den Streckenrand. Wie Spürhunde einer Fährte folgen wir den Überresten des Enduro-Worldcups durch die zerfurchten Trails um Canazei in den Dolomiten. Noch vier Wochen zuvor kämpfte die Enduro-Weltspitze auf demselben Boden um Podestplätze. Wir dagegen nutzen die fünf Stages im Herzen der Dolomiten, um auf den Spuren der Profis die vielleicht schnellsten Enduros der Welt zu testen. Die Zusammenstellung der Räder unterscheidet sich in diesem Test deutlich von unseren üblichen Vergleichen. Denn anstatt nur Enduros einer bestimmten Preisklasse auf den Rundkurs zu schicken, fühlen wir in diesem Test speziell den vier schnellsten Profi-Bikes des Weltcups in Canazei auf den Zahn, und das unter Rennbedingungen auf der Originalstrecke.
Aus der Pole-Position startet das Sieger-Bike von Pivot-Pilot Matthew Walker. Mit dem Pivot Firebird Team bietet die US-Marke ihren Kunden eins zu eins die Rennspezifikation des Profi-Teams als Serien-Bike an. An Bord des Carbon-Enduros findet sich so eine lupenreine Shimano-XTR-Ausstattung, Reynolds-Laufräder aus Carbon, Reifen von Continental und ein Fox-Fahrwerk der Factory-Güteklasse. Lediglich ein zusätzlicher Durchschlagschutz (Insert) am Hinterreifen verleiht Walkers Racebike gegenüber unserem Testmodell noch etwas mehr Pannenschutz.
Das zweitschnellste Bike – das Commencal Meta V5 – des Franzosen Alex Rudeau stand uns für diesen Test leider nicht zur Verfügung. Somit geht das Yeti SB 160 von Enduro-Star Richie Rude als Verfolger in unseren Vergleich. Als Basismodell dient die Ausstattungsvariante T1 für 10.390 Euro. In puncto Ausstattung stimmt unser Kandidat allerdings nicht komplett mit dem Arbeitsgerät des Rennteams überein. Sowohl die Bremsanlage als auch der Antrieb kommen von Sram. Die Team-Fahrer dagegen vertrauen auf Shimano-Komponenten. Anbauteile, die maßgeblich über die Fahreigenschaften entscheiden, bleiben jedoch gleich. Sprich: Das Fahrwerk besteht aus einer 38er-Fox-Gabel und einem Float-X2-Dämpfer aus der Factory-Baureihe. Bei den Reifen geht Yeti speziell für diesen Test in die Vollen und spezifiziert an Front und Heck neben Maxxis-Reifen mit der robusten Double-down-Karkasse auch Inserts für maximalen Pannenschutz – genau wie Richie Rude eben.
Podiumsanwärter Nummer drei hört auf den Namen Specialized Stumpjumper EVO S-Works. “Das ist doch aber gar nicht das eigentliche Enduro-Bike von Specialized”, denkt sich vermutlich jetzt der ein oder die andere. Nicht ganz zu Unrecht. Doch Team-Fahrer Charlie Murray hatte für Canazei nicht etwa das falsche Bike eingepackt, sondern sich über die gesamte Saison bewusst für das leichtere und kompaktere Bike mit etwas weniger Federweg entschieden. In seinem Racebike steckt deshalb ein Rockshox-Fahrwerk mit einer schmächtigeren Lyrik-Ultimate-Gabel an der Front. Unser Test-Bike ist mangels Verfügbarkeit allerdings mit dem Fox-Pendant ausgestattet. Zudem übernimmt an Murrays Bike Srams neue Eagle-Transmission die Schaltvorgänge, nicht der von uns getestete Eagle-XX1-AXS-Antrieb. Das Reifen-Setup? Race-ready!
Das letzte Bike unter den Top Vier folgt dem Kommando von Canyon-Pilot Jesse Melamed. Ausgestattet mit einem Stahlfederdämpfer sowie einer 170er-ZEB-Federgabel von Rockshox kommt das Serienrad Canyon Strive CFR TLD Melameds Racebike sehr nahe. Genau wie bei Specialized liegt der größte Unterschied im Antrieb. Denn auch hier setzten die Profis bereits auf die neueste Transmission-Technologie. Bei den Reifen spezifizieren die Koblenzer eine Maxxis-Kombi mit zahmer EXO+Karkasse, während der Kanadier auf die wuchtigste DH-Ausführung setzt.
Auch spannend: Während des Rennens in Canazei fuhr Melamed sein Strive mit einer asymmetrischen Steuersatzschale, um die außergewöhnlich lange Geometrie zu entschärfen.
Zurück auf der Rennstrecke: Kollege Peter Nilges fräst auf dem extrem flachen Canyon Strive durch die lang gezogenen Schotterkurven der ersten Stage. Vor uns liegen noch etwa 600 Tiefenmeter Singletrail. Auf dem offenen, oberen Teil der Skipiste beneide ich meinen Kollegen noch um die Laufruhe und Souveränität des längsten Bikes in unserem Test. Auch das Yeti ist ähnlich lang und extrem traktionsstark. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf den Vollgaspassagen des Infinity-Trails und im oberen Teil des berühmten Tutti-Frutti-Trails. Hier hält man durch den stabilen Geradeauslauf der beiden Bikes alle Trümpfe in der Hand.
Doch die Highspeed-Kompetenz alleine reicht nicht aus, um die zahmere Konkurrenz von Pivot und Specialized in der Downhill-Wertung zu schlagen. Denn in Canazei dominieren Streckenabschnitte, auf denen nicht alleine die Schwerkraft für Geschwindigkeit sorgt. Enge Kurven, wellige Trails, kurze Zwischenanstiege und sogar Spitzkehren verlangen viel Körpereinsatz, um Tempo zu generieren und auch zu halten. In diesen Szenarien entpuppen sich Gewicht und Länge der beiden Boliden als spürbarer Nachteil gegenüber den Bikes von Pivot und Specialized.
Knapp vier Wochen nachdem Matthew Walker mit seinem Pivot Firebird als Schnellster über die Ziellinie rauschte, sind wir uns sicher: In Canazei, auf den Spuren der Profis, fällt auch unsere Bewertung zu Gunsten der kompakten Geometrie und der intuitiven Fahreigenschaften des Firebird aus. Auch das reaktive und leichte Specialized kann unter diesen Umständen fleißig Punkte sammeln. Das Stumpjumper EVO meistert die Transferstücke bergauf sowie knackige Zwischenanstiege am besten. Die Erfolge von Richie Rude und Jesse Melamed zeigen aber auch: Wer die Fähigkeiten besitzt, die Bikes unter Renndruck einen Tag lang durch die Dolomiten zu scheuchen, der vermag auch auf einem Kurs wie Canazei die Vorzüge von Laufruhe und extremer Souveränität für Bestzeiten zu nutzen. Anders als wir Tester, die mit ihren bescheideneren Fähigkeiten nur vergilbten Flatterbändern nachjagen.
Länger und flacher, dieser Trend hat in den letzten Jahren die Geometrien von Mountainbikes nachhaltig geprägt. Doch sind die Hersteller mittlerweile über ihr Ziel hinausgeschossen?
62,9 Grad Lenkwinkel, 475 Millimeter Reach und ein Radstand von 1276 Millimeter: Nimmt man die Geometrie des Canyon Strive in diesem Vergleich genauer unter die Lupe, erinnern die Maße eher an ein Downhill-Bike als an ein Enduro. Damit loten die Koblenzer in diesem Vergleich die Extreme aus. Und das, obwohl es sich bei unserem Test-Bike um Rahmengröße M handelt. Damit alle Bikes in Sachen Reach in einer ähnlichen Liga spielen, mussten wir auch das Pivot mit seinem großen Reach in Rahmengröße M bestellen.
Aber zurück zu den Extremen. Beschäftigt man sich mit dem Material der Profis, wird schnell klar: Lange und flache Geometrien, wie bei Canyon, verhelfen einem auf den meisten Enduro-Strecken nur eingeschränkt zur Bestzeit. Canyon-Fahrer Jesse Melamed nutzt deswegen die Option an seinem Strive, mit speziellen Steuersatzschalen den Reach zu verkürzen. Das entschärft die lange Geometrie für Enduro-Strecken á la Canazei.
Aber auch das Racebike von Specialized-Pilot Charlie Murray zeigt, dass andere Hersteller ebenfalls den Zenit überschritten haben. Zumindest, was den Einsatz im Enduro-Weltcup anbelangt. Denn nach ausgiebigen Tests stieg der Neuseeländer für den Enduro-Weldcup von seinem Specialized-Enduro auf das All Mountain Stumpjumper EVO um. Mit diesem Zug opfert Murray sogar einen Zentimeter Federweg und die steiferen Standrohre von Rockshox’ Enduro-Gabel ZEB sowie das Schluckvermögen am Hinterbau zu Gunsten der kompakteren Geometrie.
Doch damit nicht genug. Um für ein direkteres Fahrverhalten mehr Gewicht auf die Front zu verlagern, verpasste Matthew Walker seinem ohnehin schon moderaten Pivot Firebird die steile Flipchip-Einstellung. So misst der Lenkwinkel nur 65,3 Grad. Zum Vergleich: Bei unserem letzten Highend-Trailbike-Test mit Federwegen zwischen 120 und 140 Millimetern lag der Durchschnitt bei 65,6 Grad.
Rainer Lauterbach, Produkt-Manager Canyon
Bei der Geometrie des Strive haben wir bewusst die Extreme ausgereizt. Laufruhe en masse und maximale Souveränität in Steilstücken sind der Schlüssel im Enduro-Racing. Und wem unser Bike trotzdem zu lang ist, dem bieten wir Möglichkeiten, die Geometrie anzupassen. Zum einen kann man via Shapeshifter wie mit einem Flipchip – nur eben per Knopfdruck – den Lenkwinkel um 1,5 Grad steiler stellen. Im gleichen Zug schrumpft auch der Radstand, das Tretlager hebt sich, und der Sitzwinkel wird steiler. Zudem kann man mit speziellen Steuersatzschalen den Reach um fünf Millimeter verkürzen oder längen. So haben wir im Extremfall ein maximal schnelles Bike, können die Geometrie aber trotzdem noch für verschiedene Einsatzbereiche anpassen.
Charlie Murray, Specialized Enduro Team
Ich bevorzuge das Stumpjumper Evo auf den schmalen Trails, die wir hier in Europa fahren. Die engen „französischen Kurven“ sind mit einem kleineren, leichteren und kürzeren Bike einfacher zu bewältigen. Ich habe das Gefühl, dass das Specialized Enduro seine Stärken nur dann ausspielen würde, wenn wir ausschließlich auf schnellen, ruppigen Vollgas-Trails unterwegs wären. Aber da das Stumpjumper Evo bereits so leistungsfähig ist und die Trails in der EDR (UCI Enduro MTB World Cup) viele technische Abschnitte haben, war es in dieser Saison das perfekte Bike für die europäischen Rennen. Übrigens: Ich fahre Rahmengröße S4 sowohl beim Stumpjumper als auch beim Enduro und das bei 182 cm Körpergröße.
Fünf verschiedene Downhills, 2936 Tiefenmeter und insgesamt 43,5 Kilometer: Der Rundkurs in Canazei bringt Mensch und Maschine gleichermaßen ans Limit.
Schnell und offen zu Beginn, steil und verwinkelt ab dem zweiten Drittel. Der Titans-Trail ist eine Enduro-Strecke wie aus dem Lehrbuch, aber leider nur während des Rennens oder mit Genehmigung befahrbar.
Nach der ersten Gondel muss man sich die letzten 310 Höhenmeter zum Trail-Einstieg selbst erarbeiten. Danach wartet eine Mixtur aus sehr schnellen, bikeparkähnlichen Trails und verblockten Wurzelabschnitten.
Nach 211 Höhenmetern auf Asphalt hält die Electric-Line von Geröll übersäte Hohlwege, wellige Natur-Trails und einige Zwischen-Sprints bereit.
Zornige Highspeed-Passagen zu Beginn, gefolgt von zähen Zwischenanstiegen, technischen Natur-Trails und schnellen Kurven zum Schluss: Die längste Stage des Rennens stellt rigorose Anforderungen an die Kondition und den gesamten Bewegungsapparat des Fahrers.
Die letzte Stage mussten wir leider aus unserer Testrunde streichen. Ein Sturz gegen Ende der vierten Stage zwang uns, den Test vorzeitig zu beenden.
Max Fuchs, BIKE-Testredakteur
Müsste ich ein Bike im Rennen fahren, würde ich sofort zum Pivot Firebird greifen. Das Gewicht ist top, das Fahrwerk erste Sahne. Durch die moderate Geometrie entwickelt das Bike keine Eigendynamik und bleibt in wirklich jedem Gelände leicht kontrollierbar.
Peter Nilges, BIKE-Testleiter
Das Fahrwerk des Yeti SB 160 funktioniert sensationell, und die Geometrie schafft auf dem Großteil der Strecken den perfekten Spagat zwischen Laufruhe und Wendigkeit. Nur die Laufräder würde ich auf Diät setzen, um dem Bike mehr Spritzigkeit zu verleihen.
Thomas Weschta, BIKE-Tester
Profis mögen Boliden wie das Yeti SB 160 oder Canyon Strive ja vielleicht händeln können. Mir sind die Bikes abseits steiler Bikepark-Strecken aber einfach zu träge. Auf dem leichten Specialized Stumpjumper bin ich schneller, habe mehr Spaß und genieße den breitesten Einsatzbereich.