So war es auch bei der wohl schnellsten Familie der Radsportwelt. Dank der Worldcup-Erfolge der drei Geschwister Rachel, Dan und Gee kennt die ganze Bike-Szene den Namen Atherton. Mit dem Wunsch nach Veränderung verließen sie 2019 die Worldcup-Bühne und kehrten kurz drauf nicht nur mit einem eigenen Rennteam, sondern gleich mit einer eigenen Bike-Firma zurück. Dans ehemaliger Mechaniker Ed Haythornthwaite hatte sich unter dem Label Robot Bikes auf Carbon-Rahmen mit Titan-Muffen spezialisiert. Nun fusionierte er seine Firma mit den Ideen des Geschwister-Trios. Das Ergebnis: Atherton Bikes. Seit 2022 können auch Hobbyracer Atherton Bikes direkt aus dem walisischen Machynlleth bestellen.
150 Meilen weiter nördlich liegt in der englischen Grafschaft Yorkshire eine kleine Gemeinde, welche den Liebhabern farbig eloxierter und CNC-gefräster Bikeparts längst ein Begriff ist. In Barnoldswick laufen die Fräsmaschinen bereits, seit zwei ehemalige Rolls-Royce-Ingenieure 1991 die Firma Hope gegründet haben. Zunächst beschränkte sich die Produktion auf Scheibenbremsen. Bald kam erst ein buntes Portfolio an Alu-Anbauteilen, dann ein erster Carbon-Lenker hinzu. Als Hope jedoch ankündigte, ein komplettes Bike auf den Markt zu bringen, versetzte das die Fans der englischen Fräskunst in Erregung. Das Hope HB916 mit High-Pivot-Hinterbau ist ein exquisites Puzzle aus Kohlenstoff und Aluminium. Hauptrahmen, Sitz- und Kettenstreben bestehen aus Carbon. Bei Wippe, Lagersitzen, Umlenkrolle und integrierter Kettenführung leben die Meister der Alu-Fräse ihre Paradedisziplin voll aus. Ein Flipchip ermöglicht den Mullet-Aufbau mit 27,5-Zoll-Hinterrad, und via Steuersatzeinsätzen lässt sich der Lenkwinkel variieren.
Nicht weniger fesselnd ist der erste Eindruck des Atherton AM.150.1. Schlichte Rohre aus Mitsubishi-Carbon stecken in Muffen aus Titan. Volle 16 Stunden braucht ein 3D-Drucker, um die 3500 Schichten aus bis zu zehn Mikrometer kleinen Titan-Partikeln zu einem Satz Muffen zu verschweißen. Diese werden anschließend mit den Carbon-Rohren verklebt – die Athertons geben dafür eine lebenslange Garantie. Füttert man auf der Atherton-Homepage den Rechner mit seinen Körpermaßen, schlägt ein Algorithmus zwei der insgesamt 22 möglichen Rahmengrößen vor. Eine intensive Beschäftigung mit der Größenwahl ist ratsam, denn ein Knick im Sitzrohr verhindert den vollen Sattelstützeneinschub und kann so bergab den Wohlfühlfaktor drosseln. Weil das Familienunternehmen unabhängig von Carbon- und Schmiedeformen ist, kann es aber auch individuelle Custom-Rahmen realisieren und in der Wunschkonfiguration zum Beispiel das Sitzrohr kürzen. Auf eine Möglichkeit zur Geometrieverstellung müssen Atherton-Fahrer jedoch verzichten.
Im Uphill treten sich beide Bikes angenehm den Berg hoch. Auf ebenen Passagen fühlt sich das Hope gedrungen an. Beide Hinterbauten neigen im Uphill zum Wippen und lassen sich auch bei geschlossener Plattform nur bedingt beruhigen. Kritik für beide Parteien: Trotz Hightech-Materialien landen sie oberhalb der 15-Kilo-Marke.
In der Abfahrt fühlen sich auf dem Atherton alle Tester auf Anhieb wohl. Sensationell sensibel filtert das Atherton AM.150.1 Steine und Wurzeln aus dem Trail. Dabei fühlt sich der Federweg nach deutlich mehr an als die von uns ermittelten 142 Millimeter. Etwas unterdimensioniert wirkt die Fox 36 im Vergleich zur 38er-Öhlins-Gabel am Hope. Weil die Athertons bei der Geometrie auf Extreme verzichten, zeigt das Bike im Enduro-Vergleich einen gefälligen Charakter. Sportlich und leichtfüßig animiert es den Piloten zu einem aktiven Fahrstil. In fähigen Händen mutiert das AM.150.1 schnell zum Spaß-Bike und zirkelt verspielt durch enge Turns, ohne auf der Race-Linie Spurtreue vermissen zu lassen.
Dem Hope gelingt dank der niedrige Steuerzentrale eine sehr direkte Kontrolle über das Vorderrad. Gleichzeitig pflanzt das tiefere Tretlager den Fahrer besser ins Bike als beim Atherton und wirkt in grobem Geläuf sicherer und souveräner. Zwar erfordert das Öhlins-Fahrwerk etwas mehr Zeit bei der Findung des richtigen Setups, dann aber überzeugen die schwedischen Weichmacher mit viel Traktion. Auch bei harten Schlägen verspringt das Hope HB916 nicht, sondern flubbert satt und potent über große Brocken. So smooth wie kaum ein anderes Enduro, das wir je gefahren sind.
Leider surren die starken Hope-Bremsen auf Grund des Scheiben-Designs laut und durchschneiden die ansonsten britisch-kultivierte Geräuschkulisse. Die Maxxis-Reifen-Kombi konnte das Potenzial von Geometrie und Fahrwerk nicht ganz ausschöpfen. Besser wären eine weichere Mischung an der Front und mehr Pannenschutz am Heck. Hier punktet die griffig-softe Conti-Downhill-Bereifung am Atherton AM.150.1. Im direkten Vergleich zum Enduro-Ballermann von Hope fühlt sich das Atherton trotz dicker Schlappen aber nach einem leichteren Kaliber an und verlangt nach mehr Arbeit vom Fahrer.
Am Ende spalten die unterschiedlichen Charaktere der Duellanten die Meinungen der Tester wie der Brexit die Briten. Nach Punkten übertrumpft das souverän-erwachsene Hope das spaßig-direkte Atherton. Im groben Enduro-Einsatz schlägt ein sattes Hovercraft eben den quirligen Aston Martin. Sieg für das Hope aus Yorkshire.
Schnell, schneller, Hope. Der Sahne-Hinterbau hat für einen Aha-Effekt im Test-Team gesorgt. Die Anbauteile sind zudem erste Klasse. Für mich der deutliche Sieger.
Der Hinterbau vom Hope mag Benchmark sein, ich würde mich trotzdem für das quirlige Atherton mit der besseren Geo entscheiden. Es kann fast alles, und das ist jede Menge.