E-Bikes mit Trail-Drang haben bei Pivot Tradition. Denn die Kult-Schmiede aus Arizona stieg deutlich früher ins E-MTB-Geschäft ein, als viele andere Marken. Und das erste E-Mountainbike von Pivot - schon 2017 hörte es auf den Namen Shuttle - setzte damals einen neuen Meilenstein in Sachen Abfahrtsstärke und Trail-Handling. Kaum ein anderes E-MTB bot damals so viel Fahrspaß und Nehmerqualitäten auf dem Trail. Das neue Shuttle LT knüpft genau da an, hat darüber hinaus aber auch einige Überraschungen an Bord.
Inzwischen blickt das Shuttle auf eine stattliche Zahl an Evolutionsstufen zurück. Der Vorgänger mit Shimano-Motor sogar in unserem Test gegen die Highend-Konkurrenz von Santa Cruz und Evil zum Testsieg brausen. Und das E-MTB der Amis hat sich inzwischen ausdifferenziert. Das Shuttle SL als Light-EMTB mit Fazua Ride 60, das Shuttle AM mit Bosch-Motor als Alleskönner – und eben das Shuttle LT als Abfahrtsmaschine und spiritueller Bruder des unmotorisierten Enduros Firebird. Während die ersten E-MTBs von Pivot allesamt auf Shimano-Motoren setzten, scheint das neue Shuttle LT damit Schluss zu machen. Denn im Tretlagerbereich sitzt ein Bosch-Aggregat – während im Vorgänger aus dem Jahr 2022 noch Shimanos EP8 werkelte.
Pivot scheint bei seinen starken E-MTBs jetzt voll auf Bosch zu setzen. Denn bei der Neuauflage des Shuttle LT ersetzt ein CX den Shimano EP8 bzw. EP801 des Vorgängers. Das ist erstmal keine Überraschung, denn diesen Schritt gehen aktuell viele Hersteller. Spannend ist die Motorwahl aber dennoch. Denn alle Modelle des neuen Shuttle LT werden vom exklusiven Bosch Performance Line CX-Race angetrieben. Der limitierte Power-Motor mit Spezial-Software basiert allerdings nicht auf dem neuen, gerade vorgestellten Bosch Performance Line CX der fünften Generation (hier im Test!). Sondern auf dessen Vorgänger, dem altbekannten und beliebten Performance CX Gen4.
Die besondere Race-Variante mit höherer Unterstützung (400 statt 340 Prozent) und verlängertem Nachlauf gibt es vom neuesten CX-Motor nicht. Doch genau diese Besonderheit war Pivot nach eigener Aussage wichtig. Den Test des Bosch Performance Line CX-Race lest ihr HIER!
Auch bei den Akkus greift Pivot zu altbekannter Technologie. In allen Modellen steckt der Bosch Powertube 750, der für eine richtig stattliche Reichweite sorgt. Allerdings ist diese Batterie verhältnismäßig schwer. 4350 Gramm wiegen die Powertube 750 im Schnitt. Der neue Powertube 800 ist mit 3950 Gramm spürbar leichter. Allerdings auch deutlich dicker. Drum passt er nicht in das schlanke Chassis des neuen Pivot Shuttle LT.
A propos schlankes Chassis. Die Ingenieure haben sich für die gewichtssparende Option einer festverbauten Batterie entschieden. Heißt: Der Akku kann zum Laden oder Wechseln nicht mal eben aus dem Unterrohr entnommen werden. Doch keine Sorge: Im Service-Fall oder bei einem Problem mit dem Akku kann die Batterie natürlich ausgebaut werden. Nur eben mit erhöhtem Aufwand. Während das Shuttle AM ebenfalls auf eine feste Batterie setzt, kam der Vorgänger des Shuttle LT noch mit der Option auf eine Entnahme.
Hauptrahmen und Hinterbau des Shuttle LT sind aus Carbon. Herzstück des Chassis ist die Konstruktion der Heckfederung. Der einteilige Hinterbau ist über zwei separate Wippen mit dem Hauptrahmen verbunden. Der Drehpunkt ist virtuell, verändert seine Lage also über den Verlauf des Federwegs. Durch diese Technik können die Entwickler die Kinematik über den gesamten Federweg sehr fein anpassen. Ein Aufwand, der sich lohnt. Das zeigt der Praxistest weiter unten im Artikel.
Die Verarbeitung des Bikes ist richtig edel. Schrauber werden sich zudem über die fehlende Integration der Kabel im Steuersatz freuen. Denn die klassische Leitungsführung in den Hauptrahmen erleichtert die Wartung von Steuersatz, Zügen und Bremsen. Oder auch schon das Handling beim Ein- und Ausbau von Spacern unter dem Vorbau.
Langer Reach und hoher Stack – diese Charakterzüge sind wir von den Pivot-Bikes gewohnt. Und das trifft auch auf das neue Shuttle LT zu. So fällt das Bike etwas größer aus, als die meisten anderen E-Enduros. Radstand und Lenkwinkel sind allerdings nicht extrem. Richtig kurz sind sogar die Kettenstreben, die über alle vier Rahmengrößen gleich lang bleiben.
Der Sitzwinkel fällt eher etwas flacher aus. Dank sehr kurzer Sitzrohre können Biker das Shuttle LT nach der Länge auswählen und so nach ihren Vorlieben und dem Einsatzbereich die passende Rahmenlänge wählen. Schade, dass die verbauten Teleskopstützen an den Serienbikes eher kurz ausfallen. In Größe L sind es maximal 175 Millimeter Hub. Optional lassen sich die Werte über einen Flipchip anpassen. Dann werden Lenk- und Sitzwinkel um 0,2 Grad flacher, das Tretlager sieben Millimeter tiefer.
Vorneweg: Das Pivot Shuttle fällt groß aus. Das war schon beim Vorgänger so und macht sich gerade auch bei der Sitzposition bemerkbar. Denn durch den gemäßigten Sitzwinkel wächst die reale Oberrohrlänge. So nimmt man sportlich auf dem Bike Platz. Verlässt man den Asphalt, fällt sofort die starke, charakterprägende Heckfederung auf. Denn der Hinterbau reagiert sehr sensibel auf kleine Unebenheiten. Dennoch saugt sich das Heck nicht am Boden fest, sodass der Dämpfer tief in den Hub gezogen wird. Im Gegenteil. Der Federweg wird sehr definiert und behutsam freigegeben. Gerade soviel, dass Traktion und Komfort immer voll parat sind.
Dadurch bleibt der Fahrer bergauf in einer zentralen Position und behält gut die Kontrolle über das Bike. Trotz kurzer Kettenstreben und dem eher flachen Sitzwinkel steigt die Front nicht übermäßig schnell. Für wirklich steile und technische Climbs hätten wir uns allerdings eine vorderradorientiertere Fahrposition gewünscht. Denn so gelingt es nicht immer, genug Druck auf die sehr hohe Front zu bekommen. Dann folgt das Vorderrad nicht so exakt der gewünschten Linie.
Dickes Plus für anspruchsvolle Klettereinlagen ist der Race-Motor. Zwar fordert die aggressive Abstimmung mit dem langen Nachlauf einiges an Gewöhnung. Doch hat man sich mit dem Feature einmal angefreundet, kann man es bewusst für technische Moves über Hindernisse und Absätze nutzen.
Richtig in seinem Element ist das Shuttle LT aber erst im Downhill. Auch hier konnte uns der erstklassige Hinterbau voll überzeugen. Denn er trifft einen idealen Kompromiss aus sattem Schluckvermögen und sportlichen Gegenhalt. Der sinnbildliche Begriff „Staubsauger“ will einem bei der Beschreibung der Heckfederung nicht in den Sinn kommen. Das Heck geht auch bergab betont bewusst mit seinem Hub um. Der Vorteil: So kann das Bike sehr aktiv und definiert bewegt werden. Wir konnten anvisierte Linien besonders exakt treffen. Und trotz des hohen Gegendrucks leidet die Traktion nicht. So meistern versierte Piloten mit dem Shuttle LT super präzise und schnell auch ruppige Tracks.
Zur hohen Fahrsicherheit auf garstigen Downhills trägt auch die lange Geometrie bei. Hinter der hohen Front steht man zudem sicher und entspannt. Und auch die Ausstattung mit den starken Conti-Reifen und zuverlässigen XTR-Stoppern gibt richtig viel Vertrauen. Bei schneller Fahrweise und ruppiger Gangart gibt der Hinterbau gekonnt seinen kompletten Hub frei. Dann ist das Bike kaum mehr zu Bremsen. Das Fahrwerk glättet auch fiese Abschnitte und grobe Einschläge richtig souverän.
Nächster Charakterzug des Shuttle LT: Das sehr direkte Fahrwerk haucht dem Bike auch auf flowigen Strecken Leben ein. So fühlt sich der Bolide deutlich leichtfüßiger an, als es das recht hohe Gewicht und der üppige Hub vermuten lassen würden. Durch Anlieger und Bodenwellen pushen oder das Bike in die Luft ziehen, das klappt ziemlich gut. Insbesondere im Vergleich mit anderen langhubigen E-Enduros der Power-Kategorie. Auch aufs Hinterrad lässt sich das Shuttle dank kurzem Heck und kleinem Hinterrad leicht ziehen. Doch über die schiere Länge kann das nicht hinwegtäuschen. Bei langsamer Fahrt und auf sehr engen Kursen verlangt das Bike etwas mehr Nachdruck, um ums Eck zu kommen.
Zur Geräuschkulisse: Der CX-Race hat noch nicht den neuen Bosch-Freilauf, der den neuen CX klapperfrei macht. Dennoch bleibt das Shuttle LT verhältnismäßig leise und das Motorklappern dezent. In Summe bleibt ein extrem gelungener Eindruck. Der Charakter spricht dabei eher versierte Biker an, die ein potentes Tool für sportliche Abfahrten und Highspeed-Downhills suchen.
Wer Schnäppchenpreise erwartet, ist bei der Boutique-Brand Pivot an der falschen Adresse. Das ist nichts Neues. Und auch das Shuttle LT macht da keine Ausnahme. Los geht´s erst bei 9099 Euro für das Shuttle LT Ride SLX/XT. Immerhin sind bei allen Modellen der hochwertige Vollcarbonrahmen, der CX-Race-Motor und der große 750er-Akku mit an Bord. Das Topmodell Team XX Eagle kostet dann 13 399 Euro. Wer will, kann das sogar noch mit dem neuen Live Valve Neo-Fahrwerk von Fox aufstocken. Dann landet der Highend-Flitzer bei 14 899 Euro. Diese Update-Option gibt´s für 1500 Euro zu den Modellen Pro und Team, dann mit dem Stahlfederdämpfer Fox DHX.
Weitere Option ist der Bosch Power More 250. Der Range-Extender kann für 500 Euro zu allen Varianten hinzugefügt werden. Alle drei Modelle gibt es wahlwiese in den Farben “Blue Scrub Jay” oder “Willow Green”.
Bergab und auf dem Trail ist das Pivot Shuttle LT eine Macht! Das E-Bike beweist, dass eine exzellente Hinterbaufederung den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Abfahrer machen kann. Für ein E-Bike dieser Hubklasse schlägt sich das Bike auch auf zahmen Trails richtig gut, denn es bleibt immer stabil im Hub. Doch brillieren kann es insbesondere, wenn es im Downhill zur Sache geht. Genialer Abfahrer für versierte Enduro-Fans - auch wenn der Motor nicht der neuesten Generation entstammt. - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur BIKE Magazin