Max Fuchs
· 20.10.2025
Dass durch die Adern des Pedroni Charger italienisches Blut fließt, erkennt selbst der Laie. Ferrarirote Decals, Typografie wie auf Ducati-Superbikes und eine lebendige, detailverliebte Designsprache – typisch italienisch eben. Dass dabei alles vom Laminieren und Aushärten der Carbonfasern über Schweißarbeiten bis hin zum Fräsen von CNC-Teilen im eigenen Werk in Reggio Emilia erledigt wird, gehört so selbstverständlich zu Pedroni wie Salz ins Nudelwasser. „Das gibt uns maximale Kontrolle über die Produktion unserer Bikes“, erklärt Pedroni-Teilhaber Stefano Giussani. Nur so können sie Spitzenqualität liefern – und genau dafür steht die Boutique-Marke aus Italien.
Noch mehr besondere Bikes findet ihr hier:
Aber eins nach dem anderen. Für alle, denen Pedroni Racing bisher kein Begriff war, ein kurzer Abriss der Geschichte. Namensgeber ist Michele Pedroni, ehemaliger Downhill-Racer der 1990er Jahre – italienischer Meister inklusive. 1998 gründete er das Pedroni Kjub Racing Team – eines der ältesten Gravity-Teams überhaupt – und begann, eigene Downhill-Rahmen aus Aluminium zu entwickeln. Anfangs nur für sich und sein Team, ab 2001 dann auch für den Verkauf.
So viel zur Vorgeschichte. Pedroni Racing, wie wir es heute als Highend-Label kennen, entstand deutlich später: 2021, um genau zu sein. Der Luftfahrtexperte Stefano Giussani fand Gefallen an Micheles Bikes, sah ihr Potenzial und wusste: Mit seinem Know-how aus der Carbon-Fertigung kann Pedroni ein Highend-Hersteller werden. Das erste Resultat der jungen Partnerschaft: das Enduro Mate. Kurze Zeit später rollte unser Test-Bike, das E-Enduro Charger, von der Werkbank – basierend auf derselben Plattform. Für das Modelljahr 2026 steht bereits das dritte Pedroni in den Startlöchern: ein Highpivot-Downhill-Bike mit einarmiger Hinterbauschwinge, schlicht EVO25 genannt. Mittlerweile produziert das achtköpfige Pedroni-Team 50 bis 60 Bikes pro Jahr – Tendenz steigend. Rund die Hälfte der Fertigung entfällt auf das Charger.
Mit 170 Millimetern Federweg vorne und 165 Millimetern hinten positioniert sich das Charger klar in der Enduro-Liga der E-Mountainbikes. Die Laufräder messen vorne wie hinten 29 Zoll – laut Pedroni die ideale Rezeptur fürs E-Racing. Herzstück des Chassis ist der Mate-XP-Hinterbau – ein abgestützter Eingelenker, der sich besonders in den Händen erfahrener Piloten und Rennfahrer bezahlt machen soll. Aber dazu später mehr.
Beim Hauptrahmen setzt Pedroni auf Carbon – Stefanos Spezialgebiet, wir erinnern uns. Das geschlossene hintere Rahmendreieck schweißt Pedroni selbstredend inhouse. „Für die zweite E-Bike-Generation wollen wir den Hinterbau komplett aus Carbon bauen“, kündigt Stefano an. Kein Wunder: Ohne den Verzug durch die enorme Hitze beim Schweißen können Fertigungstoleranzen noch besser eingegrenzt werden – ein konsequenter Schritt für einen Edelschlitten wie das Charger. Apropos edel: Das Qualitätsiegel „Made in Italy“ hat seinen Preis. 5950 Euro kostet das Rahmen-Set inklusive Dämpfer, Akku und Motor.
Um den südländischen Charme des Chargers abzurunden, stammt der Antrieb ebenfalls aus Italien – genauer gesagt von Oli, einem Motorenhersteller aus Cesena, etwa 50 Kilometer nordwestlich von Rimini. Außerhalb Italiens ist der Hersteller bisher wenig bekannt. Auch wir hatten den Oli Edge im Rahmen unserer Vergleichstests erst einmal in der Hand.
Am Pedroni Charger speist ein entnehmbarer 720-Wattstunden-Akku den 90 Newtonmeter starken Motor. Je nach Einsatzbereich lässt sich das Charger aber auch mit kleineren Akkus betreiben – 540 oder sogar nur 360 Wattstunden sind möglich. Als würde das nicht schon genug Flexibilität bieten, können Kunden ihr Charger alternativ auch mit einem komplett anderen Antrieb bestellen: dem Bosch Performance CX Race. Mehr zu den Hintergründen erklärt Stefano im Interview.
BIKE: Das Pedroni Charger gibt es mit dem italienischen Oli-Motor, aber auch als Modell-Variante mit Boschs Performance CX Race. Warum die beiden Optionen?
STEFANO: Bislang verkaufen wir fast ausschließlich an italienische Kundschaft. Hier kommt der Rahmen „Made in Italy“ zusammen mit dem italienischen Motor super an. Aber wir wollen auch in andere europäische Länder expandieren. Um hier einen Fuß auf den Boden zu bekommen, braucht man einen Motor, den die Leute kennen und dem sie vertrauen. Deshalb gibt es beim Charger auch die Bosch-Option.
Auf dem Papier und in der Praxis ist der Bosch das bessere Aggregat. Warum greift der Großteil eurer Kunden dennoch zum Oli-Motor?
Wer sich für ein Charger entscheidet, kauft kein Bike aus Vernunft, sondern aus Leidenschaft. Es geht um Emotionen. Mit 100 Prozent italienischem Ursprung – vom Rahmen bis zum Motor – weckt das Charger deutlich mehr Gefühle als ein Italo-Bike mit deutschem Motor, das zwar technisch überzeugt, aber nicht denselben Charme hat.
Was ist der größte Nachteil des Oli-Motors im Vergleich zu Bosch?
Der deutlich kürzere Nachlauf. Der Bosch schiebt länger nach, wenn man aufgehört hat zu treten. Das ist in technischen Uphills ein entscheidender Vorteil.
Schon beim ersten Kontakt zeigt der Oli-Edge-Motor seinen Charakter. Im Vergleich zu Boschs aktuellem Bestseller, dem Performance CX Gen 5, reagiert er etwas ungestümer. Auf losen, steilen Uphills braucht es Präzision, um die Power dosiert auf den Boden zu bringen. Die 90 Newtonmeter Drehmoment liefern kräftigen Durchzug, entfalten ihr volles Potenzial aber erst bei vergleichsweise hoher Trittfrequenz. Ein klarer Nachteil im Renneinsatz: der kurze Nachlauf. Sobald der Fahrer den Druck von den Pedalen nimmt, schiebt der Motor kaum nach. Sich mit einem kleinen Pedalkick über Geländekanten wuchten – wie bei Boschs aktuellen Aggregaten – funktioniert hier leider nicht.
Abgesehen vom Antrieb fährt sich das Charger aber wie ein Race-Enduro aus dem Lehrbuch. Besonders beeindruckt der Hinterbau: Anfangs sensibel mit voller Traktion, in der Mitte schluckfreudig, gegen Ende progressiv. Selbst bei harten Einschlägen hat man nie das Gefühl, dass der Federweg ausgeschöpft ist – bravo! Auch spannend: Mit deutlich mehr 100 Prozent Anti-Rise über den gesamten Federweg neigt das Fahrwerk beim Anbremsen zum Einfedern. In steilen Passagen mindert das Überschlagsgefühle, und man steht sicherer und zentraler im Bike – ideal fürs Handling.
Kleiner Wermutstropfen: Wandert der Hinterbau beim Bremsen in den Federweg, leidet die Traktion am Hinterrad, und das Heck leitet Schläge verstärkt an den Fahrer weiter. Im Fachjargon nennt man das „Stempeln“. Der üppige Federweg, die ausgewogenen Proportionen von Hauptrahmen und Heck sowie der angenehm flache Lenkwinkel geben Sicherheit bei hohen Geschwindigkeiten, ohne die Spielfreude komplett der Laufruhe zu opfern. Will heißen: Präzise Richtungswechsel auf verwinkelten Trails beherrscht das Charger ebenso gut wie Vollgas-Passagen. Leider fällt das Sitzrohr in Rahmengröße M etwas lang aus und schränkt die Bewegungsfreiheit ein. Der Sitzwinkel wirkt für moderne Verhältnisse eher flach. Dank der relativ langen Kettenstreben und der niedrigen Front behält man dennoch im steilen Gelände genug Kontrolle über das Vorderrad und meistert Schlüsselstellen problemlos.
Zugegeben, der Vergleich mit Ferrari hinkt vielleicht ein wenig – zumindest beim Pedroni Charger mit Oli-Motor. Design, Fertigungsqualität und Fahreigenschaften sind aber spitzenmäßig. Beim Antrieb – der entscheidende Unterschied zum Ferrari – gibt es noch Luft nach oben. Paart man das fahrstarke Chassis mit dem Bosch-Antrieb, sieht die Sache anders aus. Dann bekommt man ein hervorragendes E-Enduro mit Seltenheitswert inklusive.