„Beliebtestes E-Enduro des Jahres.“ Diesen Titel konnte sich das Orbea Wild bei unserer Leserwahl im Sommer 24 sichern. Und nach nicht einmal zwei Jahren am Markt wollen die Spanier mit einem Update ihr Erfolgsmodell nochmal besser machen. Warum diese Eile? Klar: Der neue Bosch-Antrieb ist da. Auch wenn das Schwaben-Aggregat in der fünften Ausbaustufe keine neue Benchmark in Sachen Leistung oder Gewicht setzt, bringt der neue CX doch einige Updates mit sich, auf die Orbea nicht verzichten will. Dazu später mehr.
Fernab vom E-Antrieb ist das neue Wild eher eine seichte Evolution, denn krasse Revolution. 170 Millimeter Federweg vorne und hinten sind jetzt gesetzt. Der Vorgänger hatte 160 am Heck und wahlweise 160 oder 170 an der Gabel. Geometrie und Kinematik wurden nur dezent angefasst. Wie bei Orbea üblich, kann die Ausstattung über den Online-Konfigurator individuell angepasst werden. Unter den Optionen sind neben den Komponenten auch die beiden Akku-Größen 600 oder 750 Wattstunden, und – 2025 neu – ein kleines 27,5er-Laufrad fürs Heck.
Für unseren Test stellte uns Orbea das sündhaft teure Topmodell M-LTD für 11.999 Euro ins Testlabor. An der Waage kann der Highend-Flitzer glänzen: 21,66 Kilo mit dicken Federelementen und robuster Ausstattung. Einen solchen Wert hatten wir bei einem starken Bosch-Bike dieser Federwegsklasse noch nie gemessen. Ein ähnlich ausgestattetes Wild der vorherigen Generation mit Powertube 625 brachte über 800 Gramm mehr auf die Waage. Die neue 600er-Batterie bringt also eine erfolgreiche Diät.
Erfreulich: Die Reichweite bleibt dennoch auf gutem Niveau. 1630 Höhenmeter erkletterten wir in unserem standardisierten Reichweitentest. Das ist, typisch Bosch CX, deutlich mehr als ein durchschnittlicher Wert für einen 600er-Akku. Doch was kann der Neuling im Gelände? Genau das haben wir in diesem Test herausgefunden.
Mit Carbon-Chassis gibt’s das Wild M ab 7499 Euro. Günstiger kommt das Wild H mit Alu-Rahmen (1,5 Kilo Mehrgewicht!) ab 6499 Euro. Wie gewohnt sind die Schweißnähte am Alu-Rahmen schick verschliffen. Ganz neu und günstiger: das Wild ST für gemäßigte Einsätze aus Aluminium und mit reduziertem Federweg von 150 Millimetern. Das Bike für Touren und gemäßigte Trails gibt´s in zwei Ausstattungsvarianten für 5299 und 5999 Euro. Mehr Infos zur gesamten Palette des Orbea Wild gibt es in unserer ausführlichen Vorstellung.
Grund für die frühe Neuauflage des noch jungen Orbea Wild ist der neue Bosch Performance Line CX. Was kann der Neue besser? Allen voran die Geräuschkulisse. Denn ein eingebautes Klappern, wie es der Vorgänger und auch die großen Konkurrenten von Shimano und Yamaha haben, hat der neue Motor endlich abgelegt. Auch bergauf schiebt er etwas leiser und obendrein noch kultivierter. Außerdem ist der neue CX minimal leichter.
Nächster Punkt auf der Diätenliste: Der neue 600er-Akku. Wie beim Vorgänger ist er fest im Unterrohr verbaut. Und im Vergleich zum alten 625er-Akku spart er noch mal gut 500 Gramm ein. Wer maximale Reichweite will, muss allerdings auch beim neuen Wild zum alten und schweren Powertube 750 greifen, der optional auch ins Unterrohr passt. Das bringt satte 1250 Gramm extra und bedeutet einen Aufpreis von 249 Euro.
Nicht im Programm ist der neue und deutlich leichtere Powertube 800 (400g leichter als PT 750). Denn der fällt dick aus, was die Ingenieure nach eigener Aussage zu sehr in der Konstruktion des Rahmens eingeschränkt hätte. On top passt auch der Range Extender Bosch Powermore 250 ans Bike.
Bei den Bedienelementen setzt Orbea auf die Kombi aus kabelloser Mini-Remote und der LED-Anzeige Systemcontroller im Oberrohr. Im Konfigurator kann für 149 Euro ein Kiox 300 hinzugefügt werden, nicht aber das neue, sportlichere Purion 400, das schlank hinter dem Lenker sitzt.
Die Geometrie des neuen Orbea Wild wurde nur minimal angepasst, bleibt in ihren Grundzügen aber extrem nahe an der des Vorgängers. Die Werte sind passend für ein hubstarkes E-Enduro, aber keinesfalls extrem. Insbesondere der Reach fällt mit 469 mm in Größe L (gemessen im BIKE Testlabor) gemäßigt aus. Die größte Größe XL soll 25 Millimeter länger sein. Große Fahrer, die einen langen Reach bevorzugen, schauen hier in die Röhre. Das Wild gibt´s von S bis XL.
In Sachen Ausstattung gehen die Spanier von Orbea einen besonderen Weg. Denn viele Parts können bei der Bestellung über den Konfigurator MyO individuell angepasst werden. Die Grundkonfiguration des Topmodells M-LTD für happige 11.999 Euro geht bei den Parts schon ab Werk in die Vollen.
Bergauf ist das Orbea Wild ein absolut kompetenter Partner. Die moderne Sitzposition, zentral im Bike dank steilem Sitzwinkel, bringt auch in steilen und technischen Passagen eine gute Kontrolle. Das Fahrwerk arbeitet extrem sensibel und generiert dadurch eine enorme Traktion. So kann man in schwierigen Anstiegen die Grenzen ausloten. Auch die starke Modulation des CX-Motors kann punkten. Nur wer sich passiv steilste Stiche hochschieben lassen will, bekommt Probleme. Dann wird die Front leicht, und die Präzision leidet.
Im Downhill drückt das fluffige Fahrwerk dem Wild seinen Stempel auf. Das Bike klebt förmlich am Boden und versprüht dadurch massig Komfort und Traktion. Das Heck gibt seinen Federweg recht großzügig frei. Gerade im schwierigen Gelände oder im Nassen gibt das richtig viel Sicherheit. Wer nicht unbedingt in Profi-Manier in harte Trails einbiegt, wird diesen Charakter lieben. Hinzu kommt die integrierte Fahrposition, die zusätzlich das Selbstvertrauen fördert. Das Handling ist sehr intuitiv, so kann man auf garstigen Abfahrten ohne große Eingewöhnung Vollgas geben. Dabei ist das Wild aber kein Extremfall. Wer das letzte Quäntchen Highspeed im Downhill herauskitzeln will, könnte sich sogar etwas mehr Reach (auch Rahmengröße XL ist nicht sehr lang!) und Gegenhalt im Heck wünschen.
Die Fahrposition fällt durch den mäßigen Reach und kurzen Vorbau eher kompakt aus. Dafür bleibt das Wild für ein E-Enduro mit viel Hub und starkem Motor auf der handlichen Seite. Hier punkten neben der nicht allzu extremen Geometrie auch das geringe Gesamtgewicht und die leichten Laufräder. So zischt das Wild spaßig und souverän von einer Kurve in die nächste. Auch enge Kehren meistert es verhältnismäßig willig. Ultimativ spritzig kommt der Neuling dabei aber nicht daher. Denn wer auf ein explizit poppiges Fahrwerk mit betont viel Gegenhalt Wert legt, dem könnte die Heckfederung etwas zu fluffig ausfallen. Auch auf flowigen Strecken mit zahmem Untergrund würde ein strafferes Heck noch mehr Spritzigkeit liefern.
Die Neuauflage des Orbea Wild ist keine Revolution. Doch das Bike ist in vielen Details noch mal eine Nummer besser geworden. Abfahrtsstark, leicht, wendig und endlich auch schön leise. Für uns gehört der Spanier zu Recht zu den beliebtesten E-Enduros. Zumindest die sauteure Topversion kann voll überzeugen. Wir hoffen, dass sich Orbea mit dem Wild auch in gemäßigteren Preisbereichen in einen BIKE-Vergleichstest wagt. Das war in der Vergangenheit leider kaum der Fall. - Florentin Vesenbeckh, stellv. Chefredakteur BIKE Magazin