Florentin Vesenbeckh
· 07.10.2025
Giant geht mit seinen E-Mountainbikes traditionell eigene Wege. In Kooperation mit Yamaha hat der Bike-Gigant seit vielen Jahren seinen eigenen E-Antrieb in petto. Genannt: Syncdrive. Und genau diesen Antrieb haben die Ingenieure jetzt auf ein neues Level gehievt. Der Motor Syncdrive Pro 3 läuft auf 48 statt 36 Volt und soll satte 800 Watt Spitzenleistung und bis zu 90 Newtonmeter Drehmoment liefern. Noch entscheidender sind in der Praxis die Neuerungen an den anderen E-Komponenten des Syncdrive-Universums. Dazu gleich noch mehr.
Die Eckdaten des Reign Advanced E+ zeigen voll auf Enduro. Klar, das Reign E+ ist schon immer das abfahrtslastigste und hubstärkste E-MTB in der Giant Palette. Im Vergleich zum Vorgänger wurde der Federweg sogar nochmal aufgestockt. Der Vollcarbon-Rahmen ist auf den bekannten Maestro-Hinterbau getrimmt. Die Kinematik mit virtuellem Drehpunkt entlockt dem Heck satte 170 Millimeter Federweg, an der Gabel kommen 180 Millimeter hinzu. Geblieben ist das Mullet-Setup mit großem 29er-Vorderrad und 27,5er im Heck. Neu am E-Enduro: erstmals setzt das Reign E+ auf einen Carbon-Rahmen, was der Namenszusatz “Advanced” schon verrät. Dadurch hat der Neuling sehr deutlich abgespeckt.
Doch das geringere Gewicht liegt nicht nur am Kohlefaser-Chassis, das laut Giant über ein Kilo leichter sein soll, als der Alu-Vorgänger. Auch das Antriebssystem hat Giant auf geringeres Gewicht und damit bestmögliches Trail-Handling getrimmt. Denn der Akku liefert sparsame 560 Wattstunden und fällt mit weniger als 2,8 Kilo schön leicht aus. Unser Testbike, das mittlere Modell Reign E+ 1, legt mit 23,3 Kilo zwar kein absolutes Rekordgewicht hin, doch im Vergleich zum Vorgänger ist es satte zwei Kilo leichter. Und bei der Ausstattung lässt es gewichtstechnisch noch etwas Luft nach oben. Robustheit vor Leichtbau. Das teurere Topmodell, das an vielen Stellen mit Carbon-Parts aufwartet, dürfte vermutlich noch ein gutes Stück leichter ausfallen. Giant verspricht 22,7 Kilo in Größe M. Das alles bei leicht entnehmbarem Akku. Dieser Fakt ist erwähnenswert, denn viele gewichtsoptimierte E-Enduros wie das Santa Cruz Bullit oder das neue YT Decoy haben die Batterie fest im Unterrohr verbaut.
Mit dem Syncdrive Pro 3 geht Giant das Wettrüsten um mehr Power am E-Bike Motor mit. 90 Newtonmeter und bis zu 800 Watt soll der neue Antrieb liefern. Das Aggregat läuft auf jetzt auf 48 statt 36 Volt. Durch dieses Änderung soll das System trotz höherer Leistung weniger gestresst werden und dadurch resistenter gegen Hitze und Dauerbelastung bleiben. Die fünf Unterstützungsstufen des Systems können über die App individuell angepasst werden.
Mindestens genauso beachtlich ist das Update bei den Bedienelementen – denn die waren bisher ein Schwachpunkt der Syncdrive-Antriebe. Insbesondere das neue Oberrohr-Display wirkt extrem wertig und elegant. Gestochen scharf, perfekt ablesbar, geschützt im Oberrohr eingelassen und obendrein individualisierbar. Das gefällt! Besonders: Die Individualisierung der Ansichtsseiten kann direkt am Display über den Remote-Hebel erfolgen - der Griff zur App ist nicht zwingend erforderlich!
Hinzu kommen smarte Features wie eine automatische Reifendruckanzeige, ein Diebstahlalarm und eine „Find-my“-Funktion (nur mit Apple). Gerade die Reifendruckanzeige hat Giant einen Schritt weiter gedacht, als die meisten bisherigen Systeme dieser Art. Der Druck wird direkt im Display angezeigt, eine zusätzliche App ist nicht nötig. Fällt der Luftdruck plötzlich ab, wird davor im Display gewarnt. Und wer möchte, kann sich einen “grünen Bereich” für den Druck in Vorder- bzw. Hinterrad definieren. Weicht der tatsächliche Druck davon ab, ist das ebenfalls im Display ersichtlich.
Ich bin kein Fan von zusätzlichen Elektro-Gadgets am Bike und zu viel App-Firlefanz nervt mich eher. Doch so wie Giant die Reifendruckanzeige umgesetzt hat, bietet sie echten Mehrwert. Gerade für Tubeless-Fahrer ist das mehr als nur ein fancy Gimmick. - Florentin Vesenbeckh, Testredakteur BIKE
Bei der Batterie setzt Giant auf Leichtbau: Nur gut 2,7 Kilo wiegt der 560er-Akku. Trotzdem kann der Energieträger schnell und einfach aus dem Bike entnommen werden. Für längere Ausfahrten gibt es auch einen Range Extender , der die Kapazität um 280 Wh aufstockt. Wer regelmäßig lange Ausfahrten im Programm hat, kann also entweder mit einem Zweit-Akku oder dem kleineren Zusatz-Akku agieren. Das gibt einiges an Flexibilität für individuelle Anforderungen.
Von der ganz extremen Geometrie-Linie, die Giant einst fuhr, ist der Neuling abgekommen. Insbesondere die der niedrige Stack ist Geschichte. Doch Radstand und Lenkwinkel machen noch immer klar, dass es sich hier um ein laufruhiges Abfahrtsbike handeln soll.
Der Reach kann über drehbare Lagerschalen um plus bzw. minus fünf Millimeter angepasst werden und auch für Lenkwinkel und Tretlagerhöhe gibt es eine dreistufige Verstellung über einen Flipchip an der Dämpferaufnahme. So können die Winkel um bis zu 0,8 Grad verändert werden. Das gibt dem Fahrer die Möglichkeit für individuelle Anpassungen. Das Profil des Bikes kann somit noch weiter geschärft werden. Mehr Reach und flacherer Lenkwinkel für noch mehr Speed und Laufruhe bergab, oder ein kürzerer Reach und steilerer Lenkwinkel für ein agileres, weniger extremes Fahrgefühl.
Damit der Bolide artgerechten Einsatz dauerhaft mitmacht, ist das Akku-Cover über das komplette Unterrohr gezogen und schützend gummiert. Am Motor sitzt eine austauschbare Skidplate aus Titan. Das alles macht einen sehr robusten Eindruck - der sich auch über die komplette Ausstattung hinweg durchzieht. Auch die hohe Gewichtsfreigabe von 156 Kilo gibt, typisch Giant, viel Vertrauen in das Bike.
Die intuitive Bedienung und der schlanke Look des neuen Antriebs gefallen direkt beim Erstkontakt mit dem Reign E+. Die Reifendruckanzeige direkt im Display bietet echten Mehrwert – insbesondere für Tubeless-Fahrer. Der neue Syncdrive Pro 3 schiebt trotz seiner Power angenehm leise und geschmeidig an. Geblieben sind das sehr direkte Einsetzen der Motorkraft beim Anfahren (einstellbar via App) und die dynamische Kraftentfaltung. Der Syncdrive schiebt nicht plump nach oben, sondern reagiert deutlich auf den Input des Fahrers. Ein angenehmer Kompromiss aus geschmeidig und spritzig.
Neben dem neuen Interface fällt auch sonst direkt ein deutlicher Unterschied zum Vorgänger auf. Durch die deutlich höhere Front ist die Position auf dem Bike viel ausgewogener. Das gilt im Sitzen wie im Stehen. Bergauf ist der Fahrer zentral im Bike platziert, denn der Sitzwinkel ist nach wie vor sehr steil. Durch die angehobene Front fühlt sich das aber nicht mehr unnatürlich oder extrem, sondern schlicht modern und aktiv an. An steilen Anstiegen bringt das Reign E+ dadurch nichts so schnell aus der Ruhe. Dazu kommt die extrem gute Traktion durch die stabile Heckfederung und den klebrigen Maxxis-Reifen mit extraweichem Gummi - auch am Hinterrad.
Bergab steht man gut integriert im Bike. Auch hier macht die höhere Lenkzentrale das Handling ausgewogener und weniger extrem. Eine Eingewöhnung braucht es nicht, man kann direkt Gas geben. Und das fordert das Bike auch ein. Denn ein gemütlicher Tourenpartner will auch die Neuauflage des Reign E+ nicht sein. Mit seiner gesunden Länge und dem flachen Lenkwinkel mag es das Giant gerne schnell und wild. Dann blüht die Heckfederung richtig auf. Schluckfreudig und dennoch nicht zu träge findet sie einen guten Kompromiss. Das Bike versackt nicht im Federweg und lässt sich aktiv und direkt dirigieren.
Für ein Bike dieser Federwegsklasse bleibt das Reign E+ auch auf zahmeren Trails noch recht lebhaft. Doch eines ist klar: Hier steht Enduro drauf - und hier steckt auch Enduro drin! Wer ein komfortables Bike für Touren sucht, und maximal auf seichte Flowtrails abbiegt, findet in einem gemäßigteren Bike mit weniger Federweg einen geeigneteren Partner. Und auch wer ein maximal lebhaftes und agiles Trailbike sucht, wird in einer anderen Kategorie besser bedient. Das Reign E+ macht dann Sinn, wenn anspruchsvolle Trails im Fokus stehen. Dann bietet es ein sehr ausgewogenes und richtig vielseitiges Paket. Denn es schafft einen starken Spagat zwischen Up- und Downhill, sowie Fahrspaß und Fahrsicherheit.
Ausgewogener, moderner, reifer: Das Reign E+ ist im Vergleich zu seinem Vorgänger in allen Facetten besser geworden, Hut ab! Auf dem Trail überzeugt es als sportliches E-Enduro für anspruchsvolles Gelände. Und das Syncdrive-System hat mit dem neuen Display und den smarten Funktionen nicht nur optisch und haptisch richtig zugelegt. - Florentin Vesenbeckh - stv. Chefredakteur BIKE Magazin
Das Einstiegsmodell der Carbon-E-Enduro-Serie punktet mit einem attraktiven Preis-Leistungs-Verhältnis. Auch hier steckt der gleiche Rahmen samt SyncDrive Pro 3 Motor und 56 Wh Akku drin. Die Ausstattung setzt auf Shimano Deore 12-fach, Fox Performance Fahrwerk und solide Giant AM30-Alulaufräder. Damit ist das E+ 2 die preisgünstigste Variante.
Das mittlere Modell vereint viel Highend-Technik mit einem attraktiveren Preis. Der Carbonrahmen und das Giant 48V System mit 800Wh Akku bleiben, beim Fahrwerk kommt ein Fox Performance Elite Set-up mit 38 Float und Float X2 zum Einsatz. Die Schaltung ist eine SRAM Eagle Transmission (nicht XO), und das e-TRA-Alulaufradsystem ersetzt die Carbonvariante des Topmodells.
Das Topmodell der Serie setzt auf maximale Highend-Performance: Ein leichter Carbonrahmen trifft auf das neue Giant E+ 48V System mit EnergyPak Smart 800Wh Akku. Dazu gibt’s das edle TRX-Carbon-Laufradsystem mit Dynamic Balanced Lacing und eine elektronische SRAM XX Eagle Transmission-Schaltung. Hochwertige Federelemente von Fox Factory (38 Float und Float X2) sorgen für feinste Fahrwerksabstimmung. Der Range Extender mit 280 Wh ist beim Topmodell im Preis inklusive.