Ganz ehrlich: Das erste Haibike Hybe (sprich engl. „hype“) war ein wenig spannendes Rad. Technisch gesehen garnierten die Schweinfurter hier ihren bestehenden All-Mtn-Rahmen mit etwas mehr Federweg, viel Marketing und mit einem ambitionierten Preisschild. Dass neben dem alten All-Mtn gleichzeitig auch das Nduro mit Alu-Rahmen denselben Namen bekam, verwässerte das Konzept des Hybe zusätzlich. Ein neuer Name für zwei ältere, technisch völlig unterschiedliche Räder. Wer sollte da noch durchblicken?
Mit dem neuen Hybe räumt Haibike damit auf und schiebt ein völlig neu entwickeltes Rad an den Start, das dem Namen nun auch gerecht wird. Haibike besinnt sich hier auf die Tugenden der Marke: Statt großem Tam-Tam gibt’s raffinierte Technik und auch die eine oder andere innovative Lösung. Allerdings: Die große Revolution überlassen die Hybe-Konstrukteure lieber dem brandneuen E-MTB TRN/IQ (hier im Test) mit Pinion-MGU, Schaltautomatik, krasser Geometrie und extravagantem Vollcarbon-Rahmen. Das Hybe knüpft mehr an Bekanntes an und bringt dabei doch die Idee des fahrstarken Tourers zu einem spannenden Höhepunkt.
Kernstück ist der neue Bosch Performance CX, den die Ingenieure stark gedreht im Zentrum des Bikes verbauen. Das erinnert an Haibikes gelungenes Light-E-MTB Lyke und sogar an das 2011er Xduro – das erste Serien-E-MTB mit Mountainbike-Handling überhaupt. Beim neuen Hybe kann dank des gedrehten Motors der Powertube 800 nach unten aus dem Unterrohr gezogen werden. Der Rahmen kommt ohne großes Loch für die Akkuentnahme aus und wird dadurch steifer und leichter.
Aus Gewichtsgründen ist auch das Heck des Bikes aus Carbon. Der Federweg beträgt üppige 170/160 Millimeter. Trotz dicker Zeb-Gabel, pannensicherer Reifen, brachialer Maven-Stopper und großem Bosch-Akku bleibt die Waage bei knapp über 23 Kilo stehen. Das Haibike ist damit fast das leichteste Rad, dass wir je mit der 800er Bosch-Batterie im Test hatten. Eine große Reichweite versteht sich so von selbst. Unser Testbike kam noch mit minimalistischem System-Controller. Das Hybe ist aber bereits für das neue Kiox 400 C Oberrohr-Display vorbereitet. Ab 7499 Euro gibt’s das Hybe zu kaufen, unser Testbike kostet 10.000 Euro. Kein Schnapper, aber immerhin fällt die Ausstattung dem Preis angemessen hochwertig aus.
Performance-Flaggschiff oder gemäßigter Tourer? Hier soll das neue Hybe gar nicht klar Stellung beziehen, sondern scheinbare Gegensätze miteinander vereinen. Das wird auch beim Blick auf die Geometrie deutlich. Gemessen am Federweg fallen Radstand und Lenkwinkel nämlich eher moderat aus. Das macht das Hybe komfortabel und leicht zu fahren.
Durch die nicht zu lange Geometrie klettert das Hybe zudem ausgesprochen souverän. Der steile Sitzwinkel sorgt für viel Kontrolle im Anstieg und in engen Kurven und bringt bergauf gut Druck auf die Front. Eine abkippende Lenkung wird hier nicht zum Problem – mit 64,5 Grad ist der Lenkwinkel beim Hybe nur in etwa so flach wie bei einem modernen E-All-Mountain. Federung und Conti-Reifen liefern eine starke Traktion, die der neue Bosch-Motor auch unter widrigen Bedingungen zuverlässig in Vortrieb ummünzt. Die Sram-Transmission-Funkschaltung auf GX-Level ist für ein Bike der 10.000-Euro-Klasse nicht ausgesprochen glanzvoll, wechselt die Gänge jedoch unter Last ebenso geschmeidig wie die teureren X0- und XX-Modelle.
Bergab kann das Haibike Hybe mit ausgesprochen hohem Federungskomfort glänzen. Im Unterschied zu vielen modernen E-Enduros muss man das Hybe nicht zwingend mit Vollgas durch den Bikepark scheuchen, um es in den Arbeitsbereich zu bringen. Auch bei moderatem Tempo auf natürlichen Wanderwegen flubbert das Fahrwerk schon viele Unebenheiten angenehm weg. Dabei punktet das Hybe mit neutralem und unkompliziertem Handling und bleibt für ein E-Enduro mit viel Federweg verhältnismäßig handlich.
Wird das Gelände steiler und rauer freut man sich über den sicheren Stand hinter der hohen Front. Die kräftigen Bremsen werfen im Zweifel heftig den Anker. Gerade am Vorderrad braucht die Sram Maven mit der 220er Scheibe etwas Eingewöhnung. Dann vermittelt das Hybe aber auch weniger versierten Piloten viel Sicherheit und lässt sich gut auf dem Trail bewegen.
Erst bei Vollgas werden auch die Nachteile des gemäßigten Ansatzes deutlich: Laufruhe bei High-Speed bieten andere Konkurrenten noch mehr. Da die Federung für den hohen Fahrkomfort bei mittlerem Tempo schon viel Hub verbraucht, landet man bei hohem Tempo bald in der zunehmend straffen Endprogression. Auch hier wirkt das Haibike noch ausgewogen, zu noch höherem Tempo animiert es dann aber nicht mehr. Größter Nachteil des Bikes: Wegen des gedrehten Motors fällt das Sitzrohr lang und die Teleskopstütze kurz aus. Das beschränkt die Bewegungsfreiheit auf dem Rad gerade für kleine Fahrer spürbar.
Nicht radikal neu, aber beeindruckend ausgewogen. Das Haibike Hybe verwischt die Grenzen zwischen All Mountain und Enduro und bietet einen besonders breiten Einsatzbereich und hohen Fahrspaß, bei geringem Gewicht. In schwerem Gelände bis auf die kurze Teleskopstütze ein rundum gelungener Allrounder. - Adrian Kaether, Redakteur Test & Technik