Stehen das Grin One und das Last Coal MX direkt nebeneinander, kommt für einen kurzen Moment Verwirrung auf. Nein, es handelt sich nicht etwa um eine optische Täuschung, sondern tatsächlich um zwei erschreckend ähnliche Bikes. Die Enduros von Grin und Last wirken wie Geschwister von unterschiedlichen Eltern: Mit analoger Alu-Silhouette, einheitlichen Federwegen, vielen deckungsgleichen Maßen in der Geometrietabelle, denselben Reifen und sogar fast identischen Rahmenpreisen schicken die beiden deutschen Hersteller ihre Bikes ins Testduell. Ist ein Vergleich da nur Makulatur? Einfach kaufen, was besser gefällt?
Während sich das Last Coal unter den Fans von Leichtmetall-Rahmen bereits einen Namen gemacht hat, ist das Grin One ein absoluter Newcomer. Der Kopf hinter dem Startup heißt Philipp Brunn. Zwar startete er seine eigene Bike-Firma auf einem weißen Blatt Papier, Brunn bringt jedoch über 20 Jahre Konstruktions-Erfahrung aus der Automobilindustrie mit. Was während des Corona-Lockdowns als Privat-Spaß begann, ging im Frühjahr 2025 in Serie. 150 Rahmen orderte Brunn bei Genio Bikes in Taiwan, einem renommierten Produzenten, bei dem zum Beispiel ebenfalls die Rahmen von Raaw gefertigt werden. Komplettbikes sind aktuell nicht geplant, Partner-Shops unterstützen jedoch beim Aufbau. Auch bei Last schweißt man schon länger nicht mehr im eigenen Land, sondern bezieht die Aluminium-Rahmen aus Taiwan. Allerdings behält sich das kleine Team die Fertigstellung in Deutschland vor. So werden Lagersitze und Gewinde auf einer eigenen fünfachsigen CNC-Maschine in Dortmund nachbearbeitet.
Einschließlich der Carbon-Modelle verlassen jährlich rund 500 Rahmen die Hallen von Last. Im Online-Konfigurator können diese nach den persönlichen Vorlieben zu Komplettbikes zusammengestellt werden. Selbst im Kleingedruckten scheint es als hätten Last und Grin voneinander abgeschrieben. Sie beide bieten die Option den Rahmen mit drei unterschiedlichen Federwegen aufzubauen. Bei Grin entscheidet die Dämpferlänge, ob der Hinterbau 165, 160 oder 150 Millimeter Hub generiert. In die Rahmen der Größe L und XL passt ohne Einschränkungen wahlweise ein 27,5er oder ein 29er Hinterrad. Über einen Flip-Chip im Dämpferauge kann die Geo angepasst werden. Bei Last funktioniert der Umbau zwischen 165, 150 oder 126 Millimetern, Full-Twentynine oder Mullet über einen Austausch des Umlenkhebels.
Für Individualisten sind Alu-Bikes von deutschen Marken meist ein heißer Tipp. Dass da die Enduros von Grin und Last quasi in Uniform auflaufen ist erstaunlich. Der Underdog und der alte Bekannte liefern sich ein Match auf Augenhöhe. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur
„Uff, gar nicht so leicht da Unterschiede auszumachen!“ stöhnt einer der Testkollegen. Um die Nuancen zwischen den zweieiigen Zwillingen auszumachen brauchen wir so einige Abfahrten im Bikepark Oberammergau. Die größten Differenzen gibt es beim Fahrwerk. Während der Grin-Hinterbau in erster Linie sehr definiert aber nicht ganz so feinfühlig rüberkommt, flubbert das Pendant von Last mit ausgesprochen hoher Sensibilität durchs Steinfeld - vorausgesetzt man findet das richtige Setup mit der unkonventionellen Kombi aus Rockshox-Gabel und Fox-Dämpfer. Letzterer verlangt nach viel Luftdruck, bleibt jedoch stets schluckfreudig. Nur schwerere Enduros liegen noch satter in der Falllinie. Vorne schafft an beiden Bikes die mächtige ZEB mit 170 Millimetern Knautschzone in 63 Grad Flachlage alles weg, was sich ihr in den Weg stellt.
Zweite Auffälligkeit: Beim One ist das Längenverhältnis von Hauptrahmen und Kettenstrebenlänge ausgeglichener. Gerade große Fahrer werden etwas besser im Bike platziert. Das ausgewogene Handling schafft ein hohes Sicherheitsgefühl und animiert zum Faxenmachen und Gasgeben. Auch wenn es nicht die ursprüngliche Intention von Philipp Brunn war: Mit diesem Bike würden wir uns bedenkenlos zum nächsten Enduro-Race anmelden. Schnell kann das Coal auch. Hier kommt die Souveränität neben dem komfortablen Hinterbau durch einen längeren Hauptrahmen. Gleichzeitig fallen die Kettenstreben stattliche 14 Millimeter kürzer aus. Leichtfüßig geht das Last aufs Hinterrad, tänzelt durch S-Kurven und lässt sich auch bei niedrigen Geschwindigkeiten noch easy anlupfen. Beide Charaktere lassen das Spaß-O-Meter nach ganz weit oben zucken.
Ist bei so viel Schnittmenge der Uphill das Zünglein an der Waage? Nur 50 Gramm Gewichtsunterschied liegt zwischen den Kontrahenten, wobei beide Hersteller betonen, dass auch um ein Kilo leichtere Aufbauten möglich seien. Bei identischem Sitzwinkel sitzt es sich auf dem Grin aufgrund des kürzeren Oberrohres nochmals kompakter und für seichte Mittelgebirgshänge schon zu gestaucht. Dafür bleibt der Hinterbau selbst im Wiegetritt erfreulich wippfrei. Das Last stellt im Heck mehr Traktion her und beschleunigt vor allem die leichteren Laufräder trotz Einheitsreifen deutlich agiler. In diesem Aufbau gehört der Vorsprung in der Touren-Wertung dem Coal.
Die BIKE-Note setzt sich aus Praxiseindrücken der Testfahrer und Labormesswerten zusammen. Die Note ist preisunabhängig. Notenspektrum: 0,5–5,5, analog zum Schulnotensystem. Die Bewertung fand in der Kategorie Enduro statt.
Gewichtung in % | Last | Grin | |
Uphill Fahrverhalten | 8 | 1,75 | 3,00 |
Uphill Effizienz Fahrwerk | 10 | 3,00 | 1,50 |
Spieltrieb | 7 | 1,50 | 2,50 |
Downhill Fahrverhalten | 20 | 2,50 | 2,00 |
Downhill Fahrwerk | 20 | 1,50 | 2,50 |
Note Fahrverhalten | 65 | 2,07 | 2,25 |
Gewicht ohne Pedale | 6 | 3,50 | 3,50 |
Laufradträgheit | 4 | 3,50 | 3,50 |
Note Labor | 10 | 3,50 | 3,50 |
Ausstattungsqualität | 5 | 1,65 | 1,88 |
Usability / Mehrwert | 5 | 3,00 | 3,00 |
Transportvolumen Flaschenhalter | 5 | 3,00 | 3,00 |
Versenkbarkeit Sattel | 5 | 0,50 | 0,50 |
Qualität / Verarbeitung | 5 | 1,00 | 1,00 |
Note Ausstattung | 25 | 1,83 | 1,88 |
Garantie (Anzahl Jahre) | 6 | 5 | |
Servicefreundlichkeit | gut | gut | |
Rahmensteifigkeit vorne / hinten in N/mm | 6,3 / 18,7 | 5,7 / 26,9 | |
BIKE-Gesamtnote | 2,15 | 2,28 |
Beeindruckend, was Grin mit dem Premieren-Bike geschafft hat. Selten waren wir vom Erstlingswerk einer One-Man-Show so überzeugt. Gegen das ausgereifte Coal zieht es trotzdem knapp den kürzeren. Dank feinfühligem Hinterbau und Touren-Kompetenz geht der Sieg an Last. - Jan Timmermann, BIKE-Redakteur